Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

ihre ehemaligen Glaubensgenossen zu bekehren, wie der bekehrte Rabbiner
Jerome de Sainte-Foi auf dem Kongreß von Tortosa (1413) zwölf der an¬
wesenden Rabbiner von der Falschheit ihres Glaubens überzeugt hat, den sie
sosort abschwuren, worauf Tausende von Juden ihrem Beispiel folgten, ähnlich
wie Salomon, der Sohn des Levi, zum Christentum bekehrt und zum Bischof
von Burgos gewählt (f 1435), mit seinen drei Söhnen, darunter zwei Bischöfen,
als Bekehrer mit so großem Erfolge thätig gewesen ist.

Nicht minder bedenklich scheinen die Ausführungen des Abb" Josef Lsmcmn
zu sein, durch die bewiesen werden soll, daß es Ludwig XVI. gewesen sei, der die
Emanzipation der Juden durch das Edikt von 1784 vorbereitet habe und an
der vollen Verwirklichung seiner Absichten nur durch die Revolution verhindert
worden sei. "Die Revolution ist eine Diebin," sagt Abbs Josef Lvmann,
denn sie hat dem Königtum die Ehre der Emanzipation der Juden wegge¬
schnappt, wie der Teufel von Anbeginn, den die Kirchenlehrer den "Affen
Gottes" nannten. Damit soll wohl nur für das Königtum in Frankreich
unter den umbekehrten Juden geworben werden. Der Patentbrief vom 10. Juli
1784, der sich nur auf die Juden im Elsaß bezieht und die Juden zur Wahl
eines festen Wohnsitzes zwingt, fremde Juden verbannt, die Eheschließung der
königlichen Genehmigung vorbehält, die Ausübung von Gewerben von schweren
Bedingungen abhängig macht, einer Judenfamilie nur die Erwerbung eines
ihren Vermögensverhältnissen entsprechenden Hauses mit Garten gestattet, wäre
also nach Lmnann ein erster Schritt zur Emanzipation der Juden gewesen;
als solcher könnte aber höchstens die Aufhebung des Thorzolls der Juden
durch das Edikt vom Januar 1784 betrachtet werden. Diese Abgabe (imxot
an xieä touroliu) wurde von Juden und vom Vieh nach ähnlicher Abstufung
erhoben. Die Vorgeschichte des Patentbriefes vom Juli 1784 dagegen weist
schon darauf hin, daß der König nicht die Rechte der Juden erweitern, sondern
Ordnung schaffen wollte. Seit 177g war nämlich im Elsaß, wo Juden aus
der Schweiz, aus Deutschland und Polen, besonders als Pferdehändler für
den Bedarf des Heeres, Aufnahme gefunden hatten, eine außerordentliche Ver¬
schuldung des Bauernstandes, vorzüglich im Sundgau zu Tage getreten. Da¬
mals wurden plötzlich allenthalben von den Schuldnern, die verklagt worden
waren, gefälschte hebräische Quittungen vorgewiesen, als deren Urheber der
Landvogt Hell zu Landser verdächtig war. Vergeblich sicherte der König durch
Patentbrief vom 27. Mai 1780 den Schuldnern Straflosigkeit zu für den Fall,
daß sie auf die Geltendmachung der falschen Quittungen verzichteten; vergeblich
bemühte sich der Lonssil LouvsrÄin, zu Kolmar, der mit der Ordnung der
Angelegenheit beauftragt war, einen Ausgleich zu schaffen. Das Gericht zu
Kolmar verlangte von den jüdischen Klägern zur Entkrüftung der Quittungen
die Eidesleistung nach jüdischem Ritus, wie es in Deutschland üblich war,
und auch der Patentbrief vom 10. Juli 1784 (Art. 18) bestätigte diese An-


Grenzbotm II 1807 !!5
Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

ihre ehemaligen Glaubensgenossen zu bekehren, wie der bekehrte Rabbiner
Jerome de Sainte-Foi auf dem Kongreß von Tortosa (1413) zwölf der an¬
wesenden Rabbiner von der Falschheit ihres Glaubens überzeugt hat, den sie
sosort abschwuren, worauf Tausende von Juden ihrem Beispiel folgten, ähnlich
wie Salomon, der Sohn des Levi, zum Christentum bekehrt und zum Bischof
von Burgos gewählt (f 1435), mit seinen drei Söhnen, darunter zwei Bischöfen,
als Bekehrer mit so großem Erfolge thätig gewesen ist.

Nicht minder bedenklich scheinen die Ausführungen des Abb» Josef Lsmcmn
zu sein, durch die bewiesen werden soll, daß es Ludwig XVI. gewesen sei, der die
Emanzipation der Juden durch das Edikt von 1784 vorbereitet habe und an
der vollen Verwirklichung seiner Absichten nur durch die Revolution verhindert
worden sei. „Die Revolution ist eine Diebin," sagt Abbs Josef Lvmann,
denn sie hat dem Königtum die Ehre der Emanzipation der Juden wegge¬
schnappt, wie der Teufel von Anbeginn, den die Kirchenlehrer den „Affen
Gottes" nannten. Damit soll wohl nur für das Königtum in Frankreich
unter den umbekehrten Juden geworben werden. Der Patentbrief vom 10. Juli
1784, der sich nur auf die Juden im Elsaß bezieht und die Juden zur Wahl
eines festen Wohnsitzes zwingt, fremde Juden verbannt, die Eheschließung der
königlichen Genehmigung vorbehält, die Ausübung von Gewerben von schweren
Bedingungen abhängig macht, einer Judenfamilie nur die Erwerbung eines
ihren Vermögensverhältnissen entsprechenden Hauses mit Garten gestattet, wäre
also nach Lmnann ein erster Schritt zur Emanzipation der Juden gewesen;
als solcher könnte aber höchstens die Aufhebung des Thorzolls der Juden
durch das Edikt vom Januar 1784 betrachtet werden. Diese Abgabe (imxot
an xieä touroliu) wurde von Juden und vom Vieh nach ähnlicher Abstufung
erhoben. Die Vorgeschichte des Patentbriefes vom Juli 1784 dagegen weist
schon darauf hin, daß der König nicht die Rechte der Juden erweitern, sondern
Ordnung schaffen wollte. Seit 177g war nämlich im Elsaß, wo Juden aus
der Schweiz, aus Deutschland und Polen, besonders als Pferdehändler für
den Bedarf des Heeres, Aufnahme gefunden hatten, eine außerordentliche Ver¬
schuldung des Bauernstandes, vorzüglich im Sundgau zu Tage getreten. Da¬
mals wurden plötzlich allenthalben von den Schuldnern, die verklagt worden
waren, gefälschte hebräische Quittungen vorgewiesen, als deren Urheber der
Landvogt Hell zu Landser verdächtig war. Vergeblich sicherte der König durch
Patentbrief vom 27. Mai 1780 den Schuldnern Straflosigkeit zu für den Fall,
daß sie auf die Geltendmachung der falschen Quittungen verzichteten; vergeblich
bemühte sich der Lonssil LouvsrÄin, zu Kolmar, der mit der Ordnung der
Angelegenheit beauftragt war, einen Ausgleich zu schaffen. Das Gericht zu
Kolmar verlangte von den jüdischen Klägern zur Entkrüftung der Quittungen
die Eidesleistung nach jüdischem Ritus, wie es in Deutschland üblich war,
und auch der Patentbrief vom 10. Juli 1784 (Art. 18) bestätigte diese An-


Grenzbotm II 1807 !!5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225209"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_934" prev="#ID_933"> ihre ehemaligen Glaubensgenossen zu bekehren, wie der bekehrte Rabbiner<lb/>
Jerome de Sainte-Foi auf dem Kongreß von Tortosa (1413) zwölf der an¬<lb/>
wesenden Rabbiner von der Falschheit ihres Glaubens überzeugt hat, den sie<lb/>
sosort abschwuren, worauf Tausende von Juden ihrem Beispiel folgten, ähnlich<lb/>
wie Salomon, der Sohn des Levi, zum Christentum bekehrt und zum Bischof<lb/>
von Burgos gewählt (f 1435), mit seinen drei Söhnen, darunter zwei Bischöfen,<lb/>
als Bekehrer mit so großem Erfolge thätig gewesen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935" next="#ID_936"> Nicht minder bedenklich scheinen die Ausführungen des Abb» Josef Lsmcmn<lb/>
zu sein, durch die bewiesen werden soll, daß es Ludwig XVI. gewesen sei, der die<lb/>
Emanzipation der Juden durch das Edikt von 1784 vorbereitet habe und an<lb/>
der vollen Verwirklichung seiner Absichten nur durch die Revolution verhindert<lb/>
worden sei. &#x201E;Die Revolution ist eine Diebin," sagt Abbs Josef Lvmann,<lb/>
denn sie hat dem Königtum die Ehre der Emanzipation der Juden wegge¬<lb/>
schnappt, wie der Teufel von Anbeginn, den die Kirchenlehrer den &#x201E;Affen<lb/>
Gottes" nannten. Damit soll wohl nur für das Königtum in Frankreich<lb/>
unter den umbekehrten Juden geworben werden. Der Patentbrief vom 10. Juli<lb/>
1784, der sich nur auf die Juden im Elsaß bezieht und die Juden zur Wahl<lb/>
eines festen Wohnsitzes zwingt, fremde Juden verbannt, die Eheschließung der<lb/>
königlichen Genehmigung vorbehält, die Ausübung von Gewerben von schweren<lb/>
Bedingungen abhängig macht, einer Judenfamilie nur die Erwerbung eines<lb/>
ihren Vermögensverhältnissen entsprechenden Hauses mit Garten gestattet, wäre<lb/>
also nach Lmnann ein erster Schritt zur Emanzipation der Juden gewesen;<lb/>
als solcher könnte aber höchstens die Aufhebung des Thorzolls der Juden<lb/>
durch das Edikt vom Januar 1784 betrachtet werden. Diese Abgabe (imxot<lb/>
an xieä touroliu) wurde von Juden und vom Vieh nach ähnlicher Abstufung<lb/>
erhoben. Die Vorgeschichte des Patentbriefes vom Juli 1784 dagegen weist<lb/>
schon darauf hin, daß der König nicht die Rechte der Juden erweitern, sondern<lb/>
Ordnung schaffen wollte. Seit 177g war nämlich im Elsaß, wo Juden aus<lb/>
der Schweiz, aus Deutschland und Polen, besonders als Pferdehändler für<lb/>
den Bedarf des Heeres, Aufnahme gefunden hatten, eine außerordentliche Ver¬<lb/>
schuldung des Bauernstandes, vorzüglich im Sundgau zu Tage getreten. Da¬<lb/>
mals wurden plötzlich allenthalben von den Schuldnern, die verklagt worden<lb/>
waren, gefälschte hebräische Quittungen vorgewiesen, als deren Urheber der<lb/>
Landvogt Hell zu Landser verdächtig war. Vergeblich sicherte der König durch<lb/>
Patentbrief vom 27. Mai 1780 den Schuldnern Straflosigkeit zu für den Fall,<lb/>
daß sie auf die Geltendmachung der falschen Quittungen verzichteten; vergeblich<lb/>
bemühte sich der Lonssil LouvsrÄin, zu Kolmar, der mit der Ordnung der<lb/>
Angelegenheit beauftragt war, einen Ausgleich zu schaffen. Das Gericht zu<lb/>
Kolmar verlangte von den jüdischen Klägern zur Entkrüftung der Quittungen<lb/>
die Eidesleistung nach jüdischem Ritus, wie es in Deutschland üblich war,<lb/>
und auch der Patentbrief vom 10. Juli 1784 (Art. 18) bestätigte diese An-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm II 1807 !!5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich ihre ehemaligen Glaubensgenossen zu bekehren, wie der bekehrte Rabbiner Jerome de Sainte-Foi auf dem Kongreß von Tortosa (1413) zwölf der an¬ wesenden Rabbiner von der Falschheit ihres Glaubens überzeugt hat, den sie sosort abschwuren, worauf Tausende von Juden ihrem Beispiel folgten, ähnlich wie Salomon, der Sohn des Levi, zum Christentum bekehrt und zum Bischof von Burgos gewählt (f 1435), mit seinen drei Söhnen, darunter zwei Bischöfen, als Bekehrer mit so großem Erfolge thätig gewesen ist. Nicht minder bedenklich scheinen die Ausführungen des Abb» Josef Lsmcmn zu sein, durch die bewiesen werden soll, daß es Ludwig XVI. gewesen sei, der die Emanzipation der Juden durch das Edikt von 1784 vorbereitet habe und an der vollen Verwirklichung seiner Absichten nur durch die Revolution verhindert worden sei. „Die Revolution ist eine Diebin," sagt Abbs Josef Lvmann, denn sie hat dem Königtum die Ehre der Emanzipation der Juden wegge¬ schnappt, wie der Teufel von Anbeginn, den die Kirchenlehrer den „Affen Gottes" nannten. Damit soll wohl nur für das Königtum in Frankreich unter den umbekehrten Juden geworben werden. Der Patentbrief vom 10. Juli 1784, der sich nur auf die Juden im Elsaß bezieht und die Juden zur Wahl eines festen Wohnsitzes zwingt, fremde Juden verbannt, die Eheschließung der königlichen Genehmigung vorbehält, die Ausübung von Gewerben von schweren Bedingungen abhängig macht, einer Judenfamilie nur die Erwerbung eines ihren Vermögensverhältnissen entsprechenden Hauses mit Garten gestattet, wäre also nach Lmnann ein erster Schritt zur Emanzipation der Juden gewesen; als solcher könnte aber höchstens die Aufhebung des Thorzolls der Juden durch das Edikt vom Januar 1784 betrachtet werden. Diese Abgabe (imxot an xieä touroliu) wurde von Juden und vom Vieh nach ähnlicher Abstufung erhoben. Die Vorgeschichte des Patentbriefes vom Juli 1784 dagegen weist schon darauf hin, daß der König nicht die Rechte der Juden erweitern, sondern Ordnung schaffen wollte. Seit 177g war nämlich im Elsaß, wo Juden aus der Schweiz, aus Deutschland und Polen, besonders als Pferdehändler für den Bedarf des Heeres, Aufnahme gefunden hatten, eine außerordentliche Ver¬ schuldung des Bauernstandes, vorzüglich im Sundgau zu Tage getreten. Da¬ mals wurden plötzlich allenthalben von den Schuldnern, die verklagt worden waren, gefälschte hebräische Quittungen vorgewiesen, als deren Urheber der Landvogt Hell zu Landser verdächtig war. Vergeblich sicherte der König durch Patentbrief vom 27. Mai 1780 den Schuldnern Straflosigkeit zu für den Fall, daß sie auf die Geltendmachung der falschen Quittungen verzichteten; vergeblich bemühte sich der Lonssil LouvsrÄin, zu Kolmar, der mit der Ordnung der Angelegenheit beauftragt war, einen Ausgleich zu schaffen. Das Gericht zu Kolmar verlangte von den jüdischen Klägern zur Entkrüftung der Quittungen die Eidesleistung nach jüdischem Ritus, wie es in Deutschland üblich war, und auch der Patentbrief vom 10. Juli 1784 (Art. 18) bestätigte diese An- Grenzbotm II 1807 !!5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/281>, abgerufen am 23.07.2024.