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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

Dieser Antrag enthält in der Begründung wie in der Schlußfolgerung nur
Dinge, die von der katholischen Litteratur längst in allen Tonarten wiederholt
worden sind. Josef Lömcinn z. B. hat in seiner 1886 erschienenen und seitdem
schon in achter Auflage gedruckten, von I. Bechtold auch ius Deutsche über¬
setzten Schrift: "Der Eintritt der Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft der
christlichen Staaten" den Satz aufgestellt, die Emanzipation von 1791 sei
eine Übereilung gewesen, die Schraube müsse zurückgedreht, das Gesetz müsse
wieder aufgehoben werden, und dann möge man zusehen, wie man etwa stufen¬
weise die Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft wieder einführen könne.
Das Buch ist nicht nur mit Genehmigung des Kardinal-Erzbischofs Caverot
von Lyon gedruckt worden, der zuvor ein Gutachten des Senators Lucien Vrun
eingeholt hatte; auch die Bischöfe von Nancy, Montpellier, Clermont, Perri-
gueux, Rodez, die Erzbischöfe von Aix, Tours, Chambvry und Bourges, der
Nuntius Notelli in Paris und der Kardinalvikar Parrochi in Rom haben den
Verfasser beglückwünscht. Wir haben es also ohne Zweifel mit einer Schrift
zu thun, die, wenn auch nicht im Auftrage, so doch ganz im Sinne der Kirche
geschrieben worden und nicht als vereinzelte Meinungsäußerung eines Privat¬
mannes zu betrachten ist.

, > Der Senator Lueien Brun hatte in dem erwähnten Gutachten die Mei¬
nung ausgesprochen, ein besondrer Wert der Schrift von Lomann bestehe
darin, daß sie dem Wunsche Papst Leos XIII. entspreche, daß die katho¬
lischen Schriftsteller auf geschichtlichem Boden vorgehen und aus den Quellen
Beweise für die unzähligen Wohlthaten schöpfen möchten, die die bürgerliche
Gesellschaft der katholischen Religion verdanke. In der That hat Ubbo Lsmann
im zweiten Teil seiner Schrift den Gedanken ausgeführt, daß sich die katho¬
lische Kirche in der Vergangenheit den Juden gegenüber stets einer rührenden
Sanftmut, echt evangelischer Milde und liebevoller Nachsicht befleißigt und
den Juden vollständige Gewissensfreiheit und ungestörte Ausübung des Glaubens
gestattet habe; die Kirche habe sich darauf beschränkt, am Karfreitage für die
Bekehrung der Juden beten zu lassen, sie habe durch Predigten und öffentliche
Disputationen auf die Irrenden einzuwirken gesucht, den Unterricht im He¬
bräischen zur Förderung der Bekehrung verbreitet, die mosaischen Bücher mit
Ehrfurcht behandelt und nur den Talmud verbrennen lassen. Die Kirche habe
auch stets die Juden gegen die Laien geschützt, die sie ausrotten wollten; die
Kirche sei es gewesen, die den Verfolgten in Rom und in Avignon Zufluchts¬
stätten bereitet habe. Eins allerdings habe sich die Kirche immer zur Pflicht
gemacht, die Juden von der christlichen Gesellschaft fern zu halten. Nicht die
katholische Kirche, sondern gerade deren Feinde, Muhammed, Luther, Voltaire usw.
seien auch die erbittertsten Gegner der Juden gewesen.

Wir wollen diese Ausführungen auf sich beruhen lassen. Wir glauben
nicht, daß es den Gebrüdern Lvmann gelingen wird, durch solche Erörterungen


Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

Dieser Antrag enthält in der Begründung wie in der Schlußfolgerung nur
Dinge, die von der katholischen Litteratur längst in allen Tonarten wiederholt
worden sind. Josef Lömcinn z. B. hat in seiner 1886 erschienenen und seitdem
schon in achter Auflage gedruckten, von I. Bechtold auch ius Deutsche über¬
setzten Schrift: „Der Eintritt der Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft der
christlichen Staaten" den Satz aufgestellt, die Emanzipation von 1791 sei
eine Übereilung gewesen, die Schraube müsse zurückgedreht, das Gesetz müsse
wieder aufgehoben werden, und dann möge man zusehen, wie man etwa stufen¬
weise die Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft wieder einführen könne.
Das Buch ist nicht nur mit Genehmigung des Kardinal-Erzbischofs Caverot
von Lyon gedruckt worden, der zuvor ein Gutachten des Senators Lucien Vrun
eingeholt hatte; auch die Bischöfe von Nancy, Montpellier, Clermont, Perri-
gueux, Rodez, die Erzbischöfe von Aix, Tours, Chambvry und Bourges, der
Nuntius Notelli in Paris und der Kardinalvikar Parrochi in Rom haben den
Verfasser beglückwünscht. Wir haben es also ohne Zweifel mit einer Schrift
zu thun, die, wenn auch nicht im Auftrage, so doch ganz im Sinne der Kirche
geschrieben worden und nicht als vereinzelte Meinungsäußerung eines Privat¬
mannes zu betrachten ist.

, > Der Senator Lueien Brun hatte in dem erwähnten Gutachten die Mei¬
nung ausgesprochen, ein besondrer Wert der Schrift von Lomann bestehe
darin, daß sie dem Wunsche Papst Leos XIII. entspreche, daß die katho¬
lischen Schriftsteller auf geschichtlichem Boden vorgehen und aus den Quellen
Beweise für die unzähligen Wohlthaten schöpfen möchten, die die bürgerliche
Gesellschaft der katholischen Religion verdanke. In der That hat Ubbo Lsmann
im zweiten Teil seiner Schrift den Gedanken ausgeführt, daß sich die katho¬
lische Kirche in der Vergangenheit den Juden gegenüber stets einer rührenden
Sanftmut, echt evangelischer Milde und liebevoller Nachsicht befleißigt und
den Juden vollständige Gewissensfreiheit und ungestörte Ausübung des Glaubens
gestattet habe; die Kirche habe sich darauf beschränkt, am Karfreitage für die
Bekehrung der Juden beten zu lassen, sie habe durch Predigten und öffentliche
Disputationen auf die Irrenden einzuwirken gesucht, den Unterricht im He¬
bräischen zur Förderung der Bekehrung verbreitet, die mosaischen Bücher mit
Ehrfurcht behandelt und nur den Talmud verbrennen lassen. Die Kirche habe
auch stets die Juden gegen die Laien geschützt, die sie ausrotten wollten; die
Kirche sei es gewesen, die den Verfolgten in Rom und in Avignon Zufluchts¬
stätten bereitet habe. Eins allerdings habe sich die Kirche immer zur Pflicht
gemacht, die Juden von der christlichen Gesellschaft fern zu halten. Nicht die
katholische Kirche, sondern gerade deren Feinde, Muhammed, Luther, Voltaire usw.
seien auch die erbittertsten Gegner der Juden gewesen.

Wir wollen diese Ausführungen auf sich beruhen lassen. Wir glauben
nicht, daß es den Gebrüdern Lvmann gelingen wird, durch solche Erörterungen


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[0280] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich Dieser Antrag enthält in der Begründung wie in der Schlußfolgerung nur Dinge, die von der katholischen Litteratur längst in allen Tonarten wiederholt worden sind. Josef Lömcinn z. B. hat in seiner 1886 erschienenen und seitdem schon in achter Auflage gedruckten, von I. Bechtold auch ius Deutsche über¬ setzten Schrift: „Der Eintritt der Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft der christlichen Staaten" den Satz aufgestellt, die Emanzipation von 1791 sei eine Übereilung gewesen, die Schraube müsse zurückgedreht, das Gesetz müsse wieder aufgehoben werden, und dann möge man zusehen, wie man etwa stufen¬ weise die Jsraeliten in die bürgerliche Gesellschaft wieder einführen könne. Das Buch ist nicht nur mit Genehmigung des Kardinal-Erzbischofs Caverot von Lyon gedruckt worden, der zuvor ein Gutachten des Senators Lucien Vrun eingeholt hatte; auch die Bischöfe von Nancy, Montpellier, Clermont, Perri- gueux, Rodez, die Erzbischöfe von Aix, Tours, Chambvry und Bourges, der Nuntius Notelli in Paris und der Kardinalvikar Parrochi in Rom haben den Verfasser beglückwünscht. Wir haben es also ohne Zweifel mit einer Schrift zu thun, die, wenn auch nicht im Auftrage, so doch ganz im Sinne der Kirche geschrieben worden und nicht als vereinzelte Meinungsäußerung eines Privat¬ mannes zu betrachten ist. , > Der Senator Lueien Brun hatte in dem erwähnten Gutachten die Mei¬ nung ausgesprochen, ein besondrer Wert der Schrift von Lomann bestehe darin, daß sie dem Wunsche Papst Leos XIII. entspreche, daß die katho¬ lischen Schriftsteller auf geschichtlichem Boden vorgehen und aus den Quellen Beweise für die unzähligen Wohlthaten schöpfen möchten, die die bürgerliche Gesellschaft der katholischen Religion verdanke. In der That hat Ubbo Lsmann im zweiten Teil seiner Schrift den Gedanken ausgeführt, daß sich die katho¬ lische Kirche in der Vergangenheit den Juden gegenüber stets einer rührenden Sanftmut, echt evangelischer Milde und liebevoller Nachsicht befleißigt und den Juden vollständige Gewissensfreiheit und ungestörte Ausübung des Glaubens gestattet habe; die Kirche habe sich darauf beschränkt, am Karfreitage für die Bekehrung der Juden beten zu lassen, sie habe durch Predigten und öffentliche Disputationen auf die Irrenden einzuwirken gesucht, den Unterricht im He¬ bräischen zur Förderung der Bekehrung verbreitet, die mosaischen Bücher mit Ehrfurcht behandelt und nur den Talmud verbrennen lassen. Die Kirche habe auch stets die Juden gegen die Laien geschützt, die sie ausrotten wollten; die Kirche sei es gewesen, die den Verfolgten in Rom und in Avignon Zufluchts¬ stätten bereitet habe. Eins allerdings habe sich die Kirche immer zur Pflicht gemacht, die Juden von der christlichen Gesellschaft fern zu halten. Nicht die katholische Kirche, sondern gerade deren Feinde, Muhammed, Luther, Voltaire usw. seien auch die erbittertsten Gegner der Juden gewesen. Wir wollen diese Ausführungen auf sich beruhen lassen. Wir glauben nicht, daß es den Gebrüdern Lvmann gelingen wird, durch solche Erörterungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/280>, abgerufen am 23.07.2024.