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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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planen und Wallonen

untersuchen, wer eigentlich diese Wallonen und Vlamen ihrem Ursprünge
nach sind.

Die Germanen nannten Walcih die Bewohner des römischen Reichs, ein
Name, der sich bis auf den heutigen Tag in verschiednen Formen erhalten
hat. Welschland, Wallis. Walchensee. Walachei, Welsch-Tirol, Welsh, Wales:
es ist immer dieselbe Bezeichnung für das Fremde im Süden. So geht anch
das Wort Walton (vlümisch Wale, Walenland) auf diese Wurzel zurück.
Die erste Erwähnung findet sich in den (?<z"w abdickuin Iruüoususiuur
(Non, Svrui. X, 229), wo es von einem gewissen Adelhart heißt: imtivam
lillAUüm non lmbuit, Iboutouivg-in, 80ä <iuain oorruxto nominant lioiNÄUNu,
'IIiöutoiÜLv 'UallouiLain.

Die ältesten Bewohner Belgiens waren Gallier, die aber im östlichen
Teile (in der Gegend des heutigen Lüttich) von Germanen verdrängt wurden.
Die Eburonen, Menapier und Tungern (Thüringer) waren Deutsche, und ihr
Gebiet wurde erst spät durch den Einfluß der Bischöfe von Lüttich romanisirt.
Auch Hennegau wurde später von den Franken besetzt, sie müssen aber dort
sehr dünn gesät gewesen sein, da sie die einheimische Sprache allmählich, wie
in Frankreich, annahmen. Doch kann man fränkischen Einfluß in den Mund¬
arten nachweisen, vielleicht auch in der Orthographie. So ist es möglich, daß
die Zeichen nil, Id, xll> gb. (und <zd), die das Wallonische allein anwandte
unter den Mundarten der I^W"us ä'oll, der germanischen Sprache entlehnt sind.
Auch das Wörterbuch giebt Auskunft über germanischen Einfluß. Namentlich
in der Lütticher Mundart (vlämisch ImiK) hat sich viel Deutsches erhalten. Offen¬
bar wurden beide Sprachen, die romanische und die germanische, lange neben
einander gesprochen. Wann das Germanische endgiltig verschwand, läßt sich
nicht mehr feststellen. Von Rodulfus, der Abt von Se. Trond war, wird in
den Vesw s,dha>wiu ^ruÄouönsium, unter dem Jahre 1007 berichtet, daß er
des Deutschen nicht kundig gewesen sei, obgleich er eine sorgfältige Erziehung
erhalten hatte. Also muß damals in Moustier-sur-Sambre, seinem Geburtsort,
der Gebrauch des Deutschen selten gewesen sein.

Wenn wir nach den Gründen fragen, warum das Romanische die Ober¬
hand gewann, so müssen wir berücksichtigen, daß es durch den Einfluß des
Lateinischen gestützt wurde, das die Kirchensprache und die Sprache der Wissen¬
schaft und der Jurisprudenz war. Die Urkunden pflegten ja in lateinischer
Sprache abgefaßt zu werden. Auch kaun man nicht leugnen, daß den
romanischen Sprachen ihr Satzbau ein gewisses Übergewicht über die schwer¬
fälligem germanischen Sprachen sichert. Noch heute pflegen in gemischten
Sprachgebieten die Kinder lieber die romanische als die deutsche Sprache
zu sprechen. Dazu kommt das Übergewicht der romanischen Bildung im
Mittelnlter. Die aquitanischen Glaubensboten, die das Christentum in Belgien
verbreiteten, die Geistlichen, die sich durch die Kenntnis der lateinischen Sprache


planen und Wallonen

untersuchen, wer eigentlich diese Wallonen und Vlamen ihrem Ursprünge
nach sind.

Die Germanen nannten Walcih die Bewohner des römischen Reichs, ein
Name, der sich bis auf den heutigen Tag in verschiednen Formen erhalten
hat. Welschland, Wallis. Walchensee. Walachei, Welsch-Tirol, Welsh, Wales:
es ist immer dieselbe Bezeichnung für das Fremde im Süden. So geht anch
das Wort Walton (vlümisch Wale, Walenland) auf diese Wurzel zurück.
Die erste Erwähnung findet sich in den (?<z«w abdickuin Iruüoususiuur
(Non, Svrui. X, 229), wo es von einem gewissen Adelhart heißt: imtivam
lillAUüm non lmbuit, Iboutouivg-in, 80ä <iuain oorruxto nominant lioiNÄUNu,
'IIiöutoiÜLv 'UallouiLain.

Die ältesten Bewohner Belgiens waren Gallier, die aber im östlichen
Teile (in der Gegend des heutigen Lüttich) von Germanen verdrängt wurden.
Die Eburonen, Menapier und Tungern (Thüringer) waren Deutsche, und ihr
Gebiet wurde erst spät durch den Einfluß der Bischöfe von Lüttich romanisirt.
Auch Hennegau wurde später von den Franken besetzt, sie müssen aber dort
sehr dünn gesät gewesen sein, da sie die einheimische Sprache allmählich, wie
in Frankreich, annahmen. Doch kann man fränkischen Einfluß in den Mund¬
arten nachweisen, vielleicht auch in der Orthographie. So ist es möglich, daß
die Zeichen nil, Id, xll> gb. (und <zd), die das Wallonische allein anwandte
unter den Mundarten der I^W"us ä'oll, der germanischen Sprache entlehnt sind.
Auch das Wörterbuch giebt Auskunft über germanischen Einfluß. Namentlich
in der Lütticher Mundart (vlämisch ImiK) hat sich viel Deutsches erhalten. Offen¬
bar wurden beide Sprachen, die romanische und die germanische, lange neben
einander gesprochen. Wann das Germanische endgiltig verschwand, läßt sich
nicht mehr feststellen. Von Rodulfus, der Abt von Se. Trond war, wird in
den Vesw s,dha>wiu ^ruÄouönsium, unter dem Jahre 1007 berichtet, daß er
des Deutschen nicht kundig gewesen sei, obgleich er eine sorgfältige Erziehung
erhalten hatte. Also muß damals in Moustier-sur-Sambre, seinem Geburtsort,
der Gebrauch des Deutschen selten gewesen sein.

Wenn wir nach den Gründen fragen, warum das Romanische die Ober¬
hand gewann, so müssen wir berücksichtigen, daß es durch den Einfluß des
Lateinischen gestützt wurde, das die Kirchensprache und die Sprache der Wissen¬
schaft und der Jurisprudenz war. Die Urkunden pflegten ja in lateinischer
Sprache abgefaßt zu werden. Auch kaun man nicht leugnen, daß den
romanischen Sprachen ihr Satzbau ein gewisses Übergewicht über die schwer¬
fälligem germanischen Sprachen sichert. Noch heute pflegen in gemischten
Sprachgebieten die Kinder lieber die romanische als die deutsche Sprache
zu sprechen. Dazu kommt das Übergewicht der romanischen Bildung im
Mittelnlter. Die aquitanischen Glaubensboten, die das Christentum in Belgien
verbreiteten, die Geistlichen, die sich durch die Kenntnis der lateinischen Sprache


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[0243] planen und Wallonen untersuchen, wer eigentlich diese Wallonen und Vlamen ihrem Ursprünge nach sind. Die Germanen nannten Walcih die Bewohner des römischen Reichs, ein Name, der sich bis auf den heutigen Tag in verschiednen Formen erhalten hat. Welschland, Wallis. Walchensee. Walachei, Welsch-Tirol, Welsh, Wales: es ist immer dieselbe Bezeichnung für das Fremde im Süden. So geht anch das Wort Walton (vlümisch Wale, Walenland) auf diese Wurzel zurück. Die erste Erwähnung findet sich in den (?<z«w abdickuin Iruüoususiuur (Non, Svrui. X, 229), wo es von einem gewissen Adelhart heißt: imtivam lillAUüm non lmbuit, Iboutouivg-in, 80ä <iuain oorruxto nominant lioiNÄUNu, 'IIiöutoiÜLv 'UallouiLain. Die ältesten Bewohner Belgiens waren Gallier, die aber im östlichen Teile (in der Gegend des heutigen Lüttich) von Germanen verdrängt wurden. Die Eburonen, Menapier und Tungern (Thüringer) waren Deutsche, und ihr Gebiet wurde erst spät durch den Einfluß der Bischöfe von Lüttich romanisirt. Auch Hennegau wurde später von den Franken besetzt, sie müssen aber dort sehr dünn gesät gewesen sein, da sie die einheimische Sprache allmählich, wie in Frankreich, annahmen. Doch kann man fränkischen Einfluß in den Mund¬ arten nachweisen, vielleicht auch in der Orthographie. So ist es möglich, daß die Zeichen nil, Id, xll> gb. (und <zd), die das Wallonische allein anwandte unter den Mundarten der I^W"us ä'oll, der germanischen Sprache entlehnt sind. Auch das Wörterbuch giebt Auskunft über germanischen Einfluß. Namentlich in der Lütticher Mundart (vlämisch ImiK) hat sich viel Deutsches erhalten. Offen¬ bar wurden beide Sprachen, die romanische und die germanische, lange neben einander gesprochen. Wann das Germanische endgiltig verschwand, läßt sich nicht mehr feststellen. Von Rodulfus, der Abt von Se. Trond war, wird in den Vesw s,dha>wiu ^ruÄouönsium, unter dem Jahre 1007 berichtet, daß er des Deutschen nicht kundig gewesen sei, obgleich er eine sorgfältige Erziehung erhalten hatte. Also muß damals in Moustier-sur-Sambre, seinem Geburtsort, der Gebrauch des Deutschen selten gewesen sein. Wenn wir nach den Gründen fragen, warum das Romanische die Ober¬ hand gewann, so müssen wir berücksichtigen, daß es durch den Einfluß des Lateinischen gestützt wurde, das die Kirchensprache und die Sprache der Wissen¬ schaft und der Jurisprudenz war. Die Urkunden pflegten ja in lateinischer Sprache abgefaßt zu werden. Auch kaun man nicht leugnen, daß den romanischen Sprachen ihr Satzbau ein gewisses Übergewicht über die schwer¬ fälligem germanischen Sprachen sichert. Noch heute pflegen in gemischten Sprachgebieten die Kinder lieber die romanische als die deutsche Sprache zu sprechen. Dazu kommt das Übergewicht der romanischen Bildung im Mittelnlter. Die aquitanischen Glaubensboten, die das Christentum in Belgien verbreiteten, die Geistlichen, die sich durch die Kenntnis der lateinischen Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/243>, abgerufen am 23.07.2024.