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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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fühlen, dagegen zu Protestiren. Zu einer entwicklungsfähigen Neubildung führt
aber ein solcher Protest nur dann, wenn das, was man aus der frühern
Grundlage herübergenommen hat, einer weitern Diskussion nicht unterworfen
wird. Wollen dieser Erfahrung zum Trotz einige unsrer Freunde einen
Kirchenball auf Grund gewissenhafter Privatüberzeugung versuchen, so werden
wir ihrem Mut und ihrer Überzeugungstreue unsre Hochachtung nicht versagen,
halten uns aber verpflichtet, die zwei unvermeidlichen Konsequenzen solchen
Beginnens auszusprechen."

"Erstens wäre damit die gesetzliche Grundlage des Altkatholizismus ge¬
fährdet. Wenn einige Staaten den Altkatholiken das Recht zugesprochen haben,
sich als Mitglieder der katholischen Kirche zu betrachten und ihren Anteil am
katholischen Kirchenvermögen zu beanspruchen, so haben sie das Wort Alt¬
katholiken natürlich nicht in dem Sinne verstanden, daß wir bis auf die Apostel¬
zeit zurückgehen und dieser gemäß unser Kirchenwesen rekonstruiren wollen. In
diesem Sinne hält sich bekanntlich jede der vorhcindnen Kirchengesellschaften
für altkcithvlisch, und jede von ihnen könnte einen Teil des katholischen Kirchen¬
vermögens beanspruchen. Die Gesetzgebung konnte unter Altkatholiken nur
solche verstehen, die die vatikanische Neuerung verwerfen, übrigens aber als
Katholiken und nicht als Protestanten erkennbar sind, beide Worte in dem all¬
gemein anerkannten Sinne verstanden. Zweitens hört damit die Mission auf,
die Deutschen von Roms Herrschaft zu erlösen. Keine der vorhcindnen pro¬
testantischen Gemeinschaften übt irgend welche Anziehungskraft aus auf das
katholische Volk, und es ist nicht abzusehen, woher eine neue kleine Protestanten¬
gemeinschaft, die ja für die religiöse Befriedigung ihrer eignen Mitglieder recht
zweckmäßig sein kann, solche Anziehungskraft nehmen sollte."

Nachdem dann kurz angegeben worden war, welche Aufgaben der Alt-
katholizismus meiner Ansicht nach zu erfüllen habe, schloß der Artikel mit
den Worten: "Ist durch solche Thätigkeit dereinst das katholische Deutschland
von Rom gelöst, dann wird sich ja auch Verfassung und Kultus ändern, denn
alles Lebendige ändert sich. Es wird diese Änderung zu gegenseitiger freund¬
schaftlicher Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten und vielleicht zu
einer deutschen Nationalkirche führen. Aber dieser deutschen Zukunftskirche jetzt
in Bonn das Gewand zuschneiden wollen, das wäre ebenso, wie wenn der
Stuttgarter oder der Magdeburger Magistrat jetzt die Verfassung machen
wollte, die das deutsche Reich im zwanzigsten Jahrhundert haben soll. Die
deutsche Zutiinftskirche (falls eine solche im Rate der Vorsehung beschlossen
sein sollte) wird nicht gemacht, weder in Berlin, noch in Karlsruhe oder in
München, noch in Bonn; sondern sie wächst; sie wurzelt und wächst an jeder
Stelle, in jedem Dörflein, in jedem Haus, wo ehrliches deutsches Christentum
gehegt und gepflegt wird."

(Fortsepuno. folgt)


Grenzboten II 1897 30
München und Konstanz

fühlen, dagegen zu Protestiren. Zu einer entwicklungsfähigen Neubildung führt
aber ein solcher Protest nur dann, wenn das, was man aus der frühern
Grundlage herübergenommen hat, einer weitern Diskussion nicht unterworfen
wird. Wollen dieser Erfahrung zum Trotz einige unsrer Freunde einen
Kirchenball auf Grund gewissenhafter Privatüberzeugung versuchen, so werden
wir ihrem Mut und ihrer Überzeugungstreue unsre Hochachtung nicht versagen,
halten uns aber verpflichtet, die zwei unvermeidlichen Konsequenzen solchen
Beginnens auszusprechen."

„Erstens wäre damit die gesetzliche Grundlage des Altkatholizismus ge¬
fährdet. Wenn einige Staaten den Altkatholiken das Recht zugesprochen haben,
sich als Mitglieder der katholischen Kirche zu betrachten und ihren Anteil am
katholischen Kirchenvermögen zu beanspruchen, so haben sie das Wort Alt¬
katholiken natürlich nicht in dem Sinne verstanden, daß wir bis auf die Apostel¬
zeit zurückgehen und dieser gemäß unser Kirchenwesen rekonstruiren wollen. In
diesem Sinne hält sich bekanntlich jede der vorhcindnen Kirchengesellschaften
für altkcithvlisch, und jede von ihnen könnte einen Teil des katholischen Kirchen¬
vermögens beanspruchen. Die Gesetzgebung konnte unter Altkatholiken nur
solche verstehen, die die vatikanische Neuerung verwerfen, übrigens aber als
Katholiken und nicht als Protestanten erkennbar sind, beide Worte in dem all¬
gemein anerkannten Sinne verstanden. Zweitens hört damit die Mission auf,
die Deutschen von Roms Herrschaft zu erlösen. Keine der vorhcindnen pro¬
testantischen Gemeinschaften übt irgend welche Anziehungskraft aus auf das
katholische Volk, und es ist nicht abzusehen, woher eine neue kleine Protestanten¬
gemeinschaft, die ja für die religiöse Befriedigung ihrer eignen Mitglieder recht
zweckmäßig sein kann, solche Anziehungskraft nehmen sollte."

Nachdem dann kurz angegeben worden war, welche Aufgaben der Alt-
katholizismus meiner Ansicht nach zu erfüllen habe, schloß der Artikel mit
den Worten: „Ist durch solche Thätigkeit dereinst das katholische Deutschland
von Rom gelöst, dann wird sich ja auch Verfassung und Kultus ändern, denn
alles Lebendige ändert sich. Es wird diese Änderung zu gegenseitiger freund¬
schaftlicher Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten und vielleicht zu
einer deutschen Nationalkirche führen. Aber dieser deutschen Zukunftskirche jetzt
in Bonn das Gewand zuschneiden wollen, das wäre ebenso, wie wenn der
Stuttgarter oder der Magdeburger Magistrat jetzt die Verfassung machen
wollte, die das deutsche Reich im zwanzigsten Jahrhundert haben soll. Die
deutsche Zutiinftskirche (falls eine solche im Rate der Vorsehung beschlossen
sein sollte) wird nicht gemacht, weder in Berlin, noch in Karlsruhe oder in
München, noch in Bonn; sondern sie wächst; sie wurzelt und wächst an jeder
Stelle, in jedem Dörflein, in jedem Haus, wo ehrliches deutsches Christentum
gehegt und gepflegt wird."

(Fortsepuno. folgt)


Grenzboten II 1897 30
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[0241] München und Konstanz fühlen, dagegen zu Protestiren. Zu einer entwicklungsfähigen Neubildung führt aber ein solcher Protest nur dann, wenn das, was man aus der frühern Grundlage herübergenommen hat, einer weitern Diskussion nicht unterworfen wird. Wollen dieser Erfahrung zum Trotz einige unsrer Freunde einen Kirchenball auf Grund gewissenhafter Privatüberzeugung versuchen, so werden wir ihrem Mut und ihrer Überzeugungstreue unsre Hochachtung nicht versagen, halten uns aber verpflichtet, die zwei unvermeidlichen Konsequenzen solchen Beginnens auszusprechen." „Erstens wäre damit die gesetzliche Grundlage des Altkatholizismus ge¬ fährdet. Wenn einige Staaten den Altkatholiken das Recht zugesprochen haben, sich als Mitglieder der katholischen Kirche zu betrachten und ihren Anteil am katholischen Kirchenvermögen zu beanspruchen, so haben sie das Wort Alt¬ katholiken natürlich nicht in dem Sinne verstanden, daß wir bis auf die Apostel¬ zeit zurückgehen und dieser gemäß unser Kirchenwesen rekonstruiren wollen. In diesem Sinne hält sich bekanntlich jede der vorhcindnen Kirchengesellschaften für altkcithvlisch, und jede von ihnen könnte einen Teil des katholischen Kirchen¬ vermögens beanspruchen. Die Gesetzgebung konnte unter Altkatholiken nur solche verstehen, die die vatikanische Neuerung verwerfen, übrigens aber als Katholiken und nicht als Protestanten erkennbar sind, beide Worte in dem all¬ gemein anerkannten Sinne verstanden. Zweitens hört damit die Mission auf, die Deutschen von Roms Herrschaft zu erlösen. Keine der vorhcindnen pro¬ testantischen Gemeinschaften übt irgend welche Anziehungskraft aus auf das katholische Volk, und es ist nicht abzusehen, woher eine neue kleine Protestanten¬ gemeinschaft, die ja für die religiöse Befriedigung ihrer eignen Mitglieder recht zweckmäßig sein kann, solche Anziehungskraft nehmen sollte." Nachdem dann kurz angegeben worden war, welche Aufgaben der Alt- katholizismus meiner Ansicht nach zu erfüllen habe, schloß der Artikel mit den Worten: „Ist durch solche Thätigkeit dereinst das katholische Deutschland von Rom gelöst, dann wird sich ja auch Verfassung und Kultus ändern, denn alles Lebendige ändert sich. Es wird diese Änderung zu gegenseitiger freund¬ schaftlicher Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten und vielleicht zu einer deutschen Nationalkirche führen. Aber dieser deutschen Zukunftskirche jetzt in Bonn das Gewand zuschneiden wollen, das wäre ebenso, wie wenn der Stuttgarter oder der Magdeburger Magistrat jetzt die Verfassung machen wollte, die das deutsche Reich im zwanzigsten Jahrhundert haben soll. Die deutsche Zutiinftskirche (falls eine solche im Rate der Vorsehung beschlossen sein sollte) wird nicht gemacht, weder in Berlin, noch in Karlsruhe oder in München, noch in Bonn; sondern sie wächst; sie wurzelt und wächst an jeder Stelle, in jedem Dörflein, in jedem Haus, wo ehrliches deutsches Christentum gehegt und gepflegt wird." (Fortsepuno. folgt) Grenzboten II 1897 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/241>, abgerufen am 23.07.2024.