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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Wie sich die Grientpolitik dem Laienauge darstellt

meer ohne Widerspruch beherrscht. Gibraltar, Malta, Ägypten und Cypern
(das freilich nicht "eingeschlagen" ist) gehören ihm schon. Will etwa Frankreich
England an seinen großartigen Plänen, von denen Sein oder Nichtsein des
britischen Weltreichs abhängt, hindern, so muß zunächst Ägypten den Eng¬
ländern mit Gewalt genommen werden. Denn niemand, der England auch nur
oberflächlich kennt, hat wohl jemals im Ernste geglaubt, daß es das Nilland,
wenn seine "Mission" dort erfüllt wäre, freiwillig wieder herausgeben würde.
England wird seine "Mission" erst dann aufgeben, wenn es besiegt und ohn¬
mächtig am Boden liegt. Ist das aber so leicht zu bewerkstelligen? Wird Frank¬
reich einen Kampf auf Tod und Leben um Ägypten und die Vorherrschaft im
Mittelmeer wagen? Wenn nicht, und es ist sehr zu bezweifeln, daß es dazu
die Kraft findet, nun, daun bleibt eben England in Ägypten.

Damit beherrscht es freilich noch nicht das Mittelmeer. Es fehlt noch
das wertvollste Glied in der Kette von allen, und das ist Kreta. Nicht ganz
Kreta; es genügte, wenn man sich dort nur still unter der Hand an der richtigen
Stelle so festsetzen könnte, wie in Ägypten, "bis Englands Mission erfüllt" wäre!
Kreta hat den prachtvollsten, gewaltigsten Seehafen des gesamten Mittelmeers, die
Sudabai, eine Ankerstättc, die schon seit Jahrzehnten von der englischen Mittel¬
meerflotte mit ganz besondrer Vorliebe "besucht" und -- nach britischer Gewohn¬
heit -- virwÄll/ als englische Flottenstation betrachtet wird. Die befestigte Suda¬
bai im englischen Besitz würde aber genügen, England zur Herrin des östlichen
Mittelmeers und damit des Orients zu machen. Um diesen Preis würde es
sogar in die Abtretung Konstantinopels an Rußland willigen. Es machte
dabei doch noch das bessere Geschäft, denn mit der Sudabai in englischem
Besitz Würde der Wert Konstantinopels ungeheuer sinke". Und ebenso würde
Snlonichi für Österreich kaum uoch von hohem Werte sein.

Und nun bitte ich den Leser, die "Orientpolitik" einmal von der Sudabai
aus zu betrachten. Wird von hier aus nicht Englands und Rußlands
Politik sehr klar, die Italiens, Österreichs und Deutschlands wenigstens ver¬
ständlich? Und entwickelt sich nicht hier ein Spiel und Gegenspiel, das nur
dem oberflächlichen Blicke als Unthätigkeit und Impotenz erscheint?

Griechenland -- ob mit oder ohne Hilfe von englischem Geld -- besetzt
Kreta. Englische Sympathien, die ja äußerst billig sind, werden auf "Hellas"
gehäuft; aber man giebt sie für das, was man dafür erhält. Bleibt Griechen¬
land im Besitze der Insel, so hat natürlich England das erste Recht auf eine
kleine Belohnung -- man würde zu diesem Zwecke rechtzeitig sogar die Libe¬
ralen, die ja ihre auswärtige Politik ganz auf dem Philhellenismus zugeschnitten
.haben, zur Negierung kommen lassen. Hat England nicht immer das mensch¬
lichste Rühren für das herrliche Volk des Achilleus, des Themistokles und des
Ipsilanti, und hat es nicht die größte Entrüstung über den unspögl^bis
lurlc an den Tag gelegt? Sind nicht die griechischen Millionäre meist auf


Wie sich die Grientpolitik dem Laienauge darstellt

meer ohne Widerspruch beherrscht. Gibraltar, Malta, Ägypten und Cypern
(das freilich nicht „eingeschlagen" ist) gehören ihm schon. Will etwa Frankreich
England an seinen großartigen Plänen, von denen Sein oder Nichtsein des
britischen Weltreichs abhängt, hindern, so muß zunächst Ägypten den Eng¬
ländern mit Gewalt genommen werden. Denn niemand, der England auch nur
oberflächlich kennt, hat wohl jemals im Ernste geglaubt, daß es das Nilland,
wenn seine „Mission" dort erfüllt wäre, freiwillig wieder herausgeben würde.
England wird seine „Mission" erst dann aufgeben, wenn es besiegt und ohn¬
mächtig am Boden liegt. Ist das aber so leicht zu bewerkstelligen? Wird Frank¬
reich einen Kampf auf Tod und Leben um Ägypten und die Vorherrschaft im
Mittelmeer wagen? Wenn nicht, und es ist sehr zu bezweifeln, daß es dazu
die Kraft findet, nun, daun bleibt eben England in Ägypten.

Damit beherrscht es freilich noch nicht das Mittelmeer. Es fehlt noch
das wertvollste Glied in der Kette von allen, und das ist Kreta. Nicht ganz
Kreta; es genügte, wenn man sich dort nur still unter der Hand an der richtigen
Stelle so festsetzen könnte, wie in Ägypten, „bis Englands Mission erfüllt" wäre!
Kreta hat den prachtvollsten, gewaltigsten Seehafen des gesamten Mittelmeers, die
Sudabai, eine Ankerstättc, die schon seit Jahrzehnten von der englischen Mittel¬
meerflotte mit ganz besondrer Vorliebe „besucht" und — nach britischer Gewohn¬
heit — virwÄll/ als englische Flottenstation betrachtet wird. Die befestigte Suda¬
bai im englischen Besitz würde aber genügen, England zur Herrin des östlichen
Mittelmeers und damit des Orients zu machen. Um diesen Preis würde es
sogar in die Abtretung Konstantinopels an Rußland willigen. Es machte
dabei doch noch das bessere Geschäft, denn mit der Sudabai in englischem
Besitz Würde der Wert Konstantinopels ungeheuer sinke». Und ebenso würde
Snlonichi für Österreich kaum uoch von hohem Werte sein.

Und nun bitte ich den Leser, die „Orientpolitik" einmal von der Sudabai
aus zu betrachten. Wird von hier aus nicht Englands und Rußlands
Politik sehr klar, die Italiens, Österreichs und Deutschlands wenigstens ver¬
ständlich? Und entwickelt sich nicht hier ein Spiel und Gegenspiel, das nur
dem oberflächlichen Blicke als Unthätigkeit und Impotenz erscheint?

Griechenland — ob mit oder ohne Hilfe von englischem Geld — besetzt
Kreta. Englische Sympathien, die ja äußerst billig sind, werden auf „Hellas"
gehäuft; aber man giebt sie für das, was man dafür erhält. Bleibt Griechen¬
land im Besitze der Insel, so hat natürlich England das erste Recht auf eine
kleine Belohnung — man würde zu diesem Zwecke rechtzeitig sogar die Libe¬
ralen, die ja ihre auswärtige Politik ganz auf dem Philhellenismus zugeschnitten
.haben, zur Negierung kommen lassen. Hat England nicht immer das mensch¬
lichste Rühren für das herrliche Volk des Achilleus, des Themistokles und des
Ipsilanti, und hat es nicht die größte Entrüstung über den unspögl^bis
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[0219] Wie sich die Grientpolitik dem Laienauge darstellt meer ohne Widerspruch beherrscht. Gibraltar, Malta, Ägypten und Cypern (das freilich nicht „eingeschlagen" ist) gehören ihm schon. Will etwa Frankreich England an seinen großartigen Plänen, von denen Sein oder Nichtsein des britischen Weltreichs abhängt, hindern, so muß zunächst Ägypten den Eng¬ ländern mit Gewalt genommen werden. Denn niemand, der England auch nur oberflächlich kennt, hat wohl jemals im Ernste geglaubt, daß es das Nilland, wenn seine „Mission" dort erfüllt wäre, freiwillig wieder herausgeben würde. England wird seine „Mission" erst dann aufgeben, wenn es besiegt und ohn¬ mächtig am Boden liegt. Ist das aber so leicht zu bewerkstelligen? Wird Frank¬ reich einen Kampf auf Tod und Leben um Ägypten und die Vorherrschaft im Mittelmeer wagen? Wenn nicht, und es ist sehr zu bezweifeln, daß es dazu die Kraft findet, nun, daun bleibt eben England in Ägypten. Damit beherrscht es freilich noch nicht das Mittelmeer. Es fehlt noch das wertvollste Glied in der Kette von allen, und das ist Kreta. Nicht ganz Kreta; es genügte, wenn man sich dort nur still unter der Hand an der richtigen Stelle so festsetzen könnte, wie in Ägypten, „bis Englands Mission erfüllt" wäre! Kreta hat den prachtvollsten, gewaltigsten Seehafen des gesamten Mittelmeers, die Sudabai, eine Ankerstättc, die schon seit Jahrzehnten von der englischen Mittel¬ meerflotte mit ganz besondrer Vorliebe „besucht" und — nach britischer Gewohn¬ heit — virwÄll/ als englische Flottenstation betrachtet wird. Die befestigte Suda¬ bai im englischen Besitz würde aber genügen, England zur Herrin des östlichen Mittelmeers und damit des Orients zu machen. Um diesen Preis würde es sogar in die Abtretung Konstantinopels an Rußland willigen. Es machte dabei doch noch das bessere Geschäft, denn mit der Sudabai in englischem Besitz Würde der Wert Konstantinopels ungeheuer sinke». Und ebenso würde Snlonichi für Österreich kaum uoch von hohem Werte sein. Und nun bitte ich den Leser, die „Orientpolitik" einmal von der Sudabai aus zu betrachten. Wird von hier aus nicht Englands und Rußlands Politik sehr klar, die Italiens, Österreichs und Deutschlands wenigstens ver¬ ständlich? Und entwickelt sich nicht hier ein Spiel und Gegenspiel, das nur dem oberflächlichen Blicke als Unthätigkeit und Impotenz erscheint? Griechenland — ob mit oder ohne Hilfe von englischem Geld — besetzt Kreta. Englische Sympathien, die ja äußerst billig sind, werden auf „Hellas" gehäuft; aber man giebt sie für das, was man dafür erhält. Bleibt Griechen¬ land im Besitze der Insel, so hat natürlich England das erste Recht auf eine kleine Belohnung — man würde zu diesem Zwecke rechtzeitig sogar die Libe¬ ralen, die ja ihre auswärtige Politik ganz auf dem Philhellenismus zugeschnitten .haben, zur Negierung kommen lassen. Hat England nicht immer das mensch¬ lichste Rühren für das herrliche Volk des Achilleus, des Themistokles und des Ipsilanti, und hat es nicht die größte Entrüstung über den unspögl^bis lurlc an den Tag gelegt? Sind nicht die griechischen Millionäre meist auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/219>, abgerufen am 23.07.2024.