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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

Der Roman hat übrigens alle Vorzüge, die wir an dem Verfasser kennen,
und in der Kunst der Schilderung steht er hinter keinem der frühern zurück.
Warum er uns -- ganz persönlich verstanden! -- nicht so zusagt, wie es
nach seiner technischen Vollkommenheit sein müßte, wollen wir noch kurz er¬
wähnen. Man ist ja bei Ganghofer keine sehr tiefe innere Lebensauffassung
gewohnt, in der Negel aber erfährt man doch anch im Kreise seiner Menschen
etwas, wodurch man an eine Welt des Übersinnlichen erinnert wird. Hier
aber, in diesem neuesten Romane, leben die Teilnehmer alle nur ein höheres
egoistisches Genußleben. Die Hauptsache ist, daß sie Geld auszugeben haben
und es auch verstehen, weil sie gebildet sind. Außerdem sind sie persönlich
mehr oder weniger sympathisch, aber über das Streben und den Erfolg, an¬
genehme Eindrücke um sich zu verbreiten, ohne daß es viel Mühe macht,
kommt der einzelne nicht hinaus. Ob wir uns z. B. in einem vornehmen
jüdischen Wiener Hause befinden, wo das Orientalische nicht mehr stört, oder
in einer "auch-katholischen" Familie, wüßten wir nicht zu sagen. Wir meinen
doch, daß dergleichen bei einer solchen Ausführlichkeit der Schilderung zum
einfachsten "Milieu" gehörte, von tieferer Weltanschauung nicht zu reden, die ja
nicht für jeden Leser Bedürfnis ist.

Sehr fein sind die Abbildungen, z. B. sind die Örtlichkeiten aus Italien
auch im kleinsten Maßstabe nicht nur zierlich, sondern auch erkennbar und be¬
zeichnend. Und bei diesem Anlaß möchten wir noch eins hervorheben, was
uns oft an modernen Nvmauillustrationen aufgefallen ist und auch auf einige
der Illustrationen bei Hans Arnold und Hermine Villinger paßt. Der
jetzige Kleiderschnitt bei den Frauen ist so häßlich und übertrieben, daß sich
seine treue Wiedergabe abgesehen von Modejournalen und Karikaturen nur für
die allermodernsten Zeitromane empfiehlt. Sobald die Erzählung nur ein
paar Jahre zurückgreift, paßt er schon nicht mehr, und bei den Erzählungen
ans der Jugendzeit der Verfasser muß er jedem Leser von Geschmack lächerlich
erscheinen. Es ist nicht zu verlangen, daß die Vignettenzeichner zugleich Ge¬
schichtsphilosophen seien, aber etwas nachdenken über den Inhalt, den sie zu
illustriren haben, dürften sie schon, ehe sie ihren Zeichenstift ansetzen.




Neue Erzählungen

Der Roman hat übrigens alle Vorzüge, die wir an dem Verfasser kennen,
und in der Kunst der Schilderung steht er hinter keinem der frühern zurück.
Warum er uns — ganz persönlich verstanden! — nicht so zusagt, wie es
nach seiner technischen Vollkommenheit sein müßte, wollen wir noch kurz er¬
wähnen. Man ist ja bei Ganghofer keine sehr tiefe innere Lebensauffassung
gewohnt, in der Negel aber erfährt man doch anch im Kreise seiner Menschen
etwas, wodurch man an eine Welt des Übersinnlichen erinnert wird. Hier
aber, in diesem neuesten Romane, leben die Teilnehmer alle nur ein höheres
egoistisches Genußleben. Die Hauptsache ist, daß sie Geld auszugeben haben
und es auch verstehen, weil sie gebildet sind. Außerdem sind sie persönlich
mehr oder weniger sympathisch, aber über das Streben und den Erfolg, an¬
genehme Eindrücke um sich zu verbreiten, ohne daß es viel Mühe macht,
kommt der einzelne nicht hinaus. Ob wir uns z. B. in einem vornehmen
jüdischen Wiener Hause befinden, wo das Orientalische nicht mehr stört, oder
in einer „auch-katholischen" Familie, wüßten wir nicht zu sagen. Wir meinen
doch, daß dergleichen bei einer solchen Ausführlichkeit der Schilderung zum
einfachsten „Milieu" gehörte, von tieferer Weltanschauung nicht zu reden, die ja
nicht für jeden Leser Bedürfnis ist.

Sehr fein sind die Abbildungen, z. B. sind die Örtlichkeiten aus Italien
auch im kleinsten Maßstabe nicht nur zierlich, sondern auch erkennbar und be¬
zeichnend. Und bei diesem Anlaß möchten wir noch eins hervorheben, was
uns oft an modernen Nvmauillustrationen aufgefallen ist und auch auf einige
der Illustrationen bei Hans Arnold und Hermine Villinger paßt. Der
jetzige Kleiderschnitt bei den Frauen ist so häßlich und übertrieben, daß sich
seine treue Wiedergabe abgesehen von Modejournalen und Karikaturen nur für
die allermodernsten Zeitromane empfiehlt. Sobald die Erzählung nur ein
paar Jahre zurückgreift, paßt er schon nicht mehr, und bei den Erzählungen
ans der Jugendzeit der Verfasser muß er jedem Leser von Geschmack lächerlich
erscheinen. Es ist nicht zu verlangen, daß die Vignettenzeichner zugleich Ge¬
schichtsphilosophen seien, aber etwas nachdenken über den Inhalt, den sie zu
illustriren haben, dürften sie schon, ehe sie ihren Zeichenstift ansetzen.




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[0202] Neue Erzählungen Der Roman hat übrigens alle Vorzüge, die wir an dem Verfasser kennen, und in der Kunst der Schilderung steht er hinter keinem der frühern zurück. Warum er uns — ganz persönlich verstanden! — nicht so zusagt, wie es nach seiner technischen Vollkommenheit sein müßte, wollen wir noch kurz er¬ wähnen. Man ist ja bei Ganghofer keine sehr tiefe innere Lebensauffassung gewohnt, in der Negel aber erfährt man doch anch im Kreise seiner Menschen etwas, wodurch man an eine Welt des Übersinnlichen erinnert wird. Hier aber, in diesem neuesten Romane, leben die Teilnehmer alle nur ein höheres egoistisches Genußleben. Die Hauptsache ist, daß sie Geld auszugeben haben und es auch verstehen, weil sie gebildet sind. Außerdem sind sie persönlich mehr oder weniger sympathisch, aber über das Streben und den Erfolg, an¬ genehme Eindrücke um sich zu verbreiten, ohne daß es viel Mühe macht, kommt der einzelne nicht hinaus. Ob wir uns z. B. in einem vornehmen jüdischen Wiener Hause befinden, wo das Orientalische nicht mehr stört, oder in einer „auch-katholischen" Familie, wüßten wir nicht zu sagen. Wir meinen doch, daß dergleichen bei einer solchen Ausführlichkeit der Schilderung zum einfachsten „Milieu" gehörte, von tieferer Weltanschauung nicht zu reden, die ja nicht für jeden Leser Bedürfnis ist. Sehr fein sind die Abbildungen, z. B. sind die Örtlichkeiten aus Italien auch im kleinsten Maßstabe nicht nur zierlich, sondern auch erkennbar und be¬ zeichnend. Und bei diesem Anlaß möchten wir noch eins hervorheben, was uns oft an modernen Nvmauillustrationen aufgefallen ist und auch auf einige der Illustrationen bei Hans Arnold und Hermine Villinger paßt. Der jetzige Kleiderschnitt bei den Frauen ist so häßlich und übertrieben, daß sich seine treue Wiedergabe abgesehen von Modejournalen und Karikaturen nur für die allermodernsten Zeitromane empfiehlt. Sobald die Erzählung nur ein paar Jahre zurückgreift, paßt er schon nicht mehr, und bei den Erzählungen ans der Jugendzeit der Verfasser muß er jedem Leser von Geschmack lächerlich erscheinen. Es ist nicht zu verlangen, daß die Vignettenzeichner zugleich Ge¬ schichtsphilosophen seien, aber etwas nachdenken über den Inhalt, den sie zu illustriren haben, dürften sie schon, ehe sie ihren Zeichenstift ansetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/202>, abgerufen am 23.07.2024.