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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

Äußerlich erscheinen uns auch Hans Arnolds Neue Novellen aus
alten und neuen Tagen (in demselben Verlag, 3. Auflage) nicht viel anders.
Sie sind höchst komisch, manchmal burlesk, hie und da stark aufgetragen, aber
ungemein gewandt erzählt und darum nicht unwahrscheinlich. Man sieht auch,
daß sehr viel erlebtes darin verarbeitet ist. Darum steht dieses Bändchen
seinem Inhalte nach höher als das vorher erwähnte. Noch lieber sind uns
allerdings die ernstern Erzählungen, die Arnold früher veröffentlicht hat. Aber
so denkt nicht jeder zu jeder Zeit, und wer sich einmal recht angenehm und
leicht unterhalten will, für den sind diese Humoresken: Der Fähnrich als Er¬
zieher usw. wie gemacht: witzig, harmlos und durchaus anständig. "Novelle"
ist freilich in Bezug auf die bescheidne Gattung zu viel gesagt.

In demselben Verlage und in der bekannten gleichen Ausstattung ist
endlich noch ein neuer zweibändiger Roman von Ludwig Ganghofer er¬
schienen: Die Bacchantin, mit ausgearbeiteten Charakteren und anschaulichen
Schilderungen, wie man sie bei dem Verfasser zu finden pflegt. Dieser Roman
spielt teils in Wien auf der Besitzung eines gewaltig reichen verwitweten
Jndustriebarons, teils in Italien, wohin dessen schöne und geistvolle einzige
Tochter geschickt wird, damit sich der Vater ungestört mit einer Theater¬
prinzessin verloben kann. Die Tochter lernt in Italien einen anziehend dar¬
gestellten Bildhauer mit einem geheimnisvollen, fast dämonischen Wesen kennen
und fesselt nun ihn, der einst jene "Bacchantin," die baldige Stiefmutter des
jungen Mädchens, geliebt hat. Das junge Mädchen sieht ihr Bildnis in dem
Atelier, ehe sie weiß, wen es darstellt, und es dauert andrerseits auch noch
eine Weile, bis der Bildhauer weiß, was aus seiner einstigen Geliebten ge¬
worden ist. Bald aber kommt die neue Baronin nach Italien, und das junge
Mädchen kehrt wieder nach Wien zurück. Der Bildhauer folgt ihr nach.
Durch das Erscheinen aller drei Hauptpersonen auf demselben Schauplatz, in
der Villa des Barons in Wien, kommt die allmählich eingctretne Entwicklung
zu einer sehr schnellen und traurigen Entscheidung. Die "Bacchantin" wird
von einem wahnsinnigen dritten Liebhaber erdolcht. Der Baron ist Witwer,
wie früher. Seine Tochter kann sich unter den schmerzlichen Eindrücken nicht
entschließen, dem Bildhauer ihre Hand zu geben.

Dieser Schluß hat insofern etwas ganz unbefriedigendes, als man allein
über die Persönlichkeit, an der einem am wenigsten gelegen ist, die nichts¬
nutzige Bacchantin, etwas endgiltiges erfährt, über die Zukunft aller andern
aber ganz im ungewissen bleibt. Es will dem Leser durchaus nicht in den
Sinn, daß diese viel interessanter" Menschen nichts weiter sein sollen als
Statisten für die Solotänzerin. Dafür läßt der Verfasser den Schluß
äußerlich sehr wirkungsvoll vor sich gehen, und wenn wir das Buch zumachen,
ist uns ungefähr zu Mute, wie nach einem abgebrannten Feuerwerk, das ja
aber für viele Menschen in der That das Schönste an einer Aufführung ist.


Grenzl>oder II 1897 W
Neue Erzählungen

Äußerlich erscheinen uns auch Hans Arnolds Neue Novellen aus
alten und neuen Tagen (in demselben Verlag, 3. Auflage) nicht viel anders.
Sie sind höchst komisch, manchmal burlesk, hie und da stark aufgetragen, aber
ungemein gewandt erzählt und darum nicht unwahrscheinlich. Man sieht auch,
daß sehr viel erlebtes darin verarbeitet ist. Darum steht dieses Bändchen
seinem Inhalte nach höher als das vorher erwähnte. Noch lieber sind uns
allerdings die ernstern Erzählungen, die Arnold früher veröffentlicht hat. Aber
so denkt nicht jeder zu jeder Zeit, und wer sich einmal recht angenehm und
leicht unterhalten will, für den sind diese Humoresken: Der Fähnrich als Er¬
zieher usw. wie gemacht: witzig, harmlos und durchaus anständig. „Novelle"
ist freilich in Bezug auf die bescheidne Gattung zu viel gesagt.

In demselben Verlage und in der bekannten gleichen Ausstattung ist
endlich noch ein neuer zweibändiger Roman von Ludwig Ganghofer er¬
schienen: Die Bacchantin, mit ausgearbeiteten Charakteren und anschaulichen
Schilderungen, wie man sie bei dem Verfasser zu finden pflegt. Dieser Roman
spielt teils in Wien auf der Besitzung eines gewaltig reichen verwitweten
Jndustriebarons, teils in Italien, wohin dessen schöne und geistvolle einzige
Tochter geschickt wird, damit sich der Vater ungestört mit einer Theater¬
prinzessin verloben kann. Die Tochter lernt in Italien einen anziehend dar¬
gestellten Bildhauer mit einem geheimnisvollen, fast dämonischen Wesen kennen
und fesselt nun ihn, der einst jene „Bacchantin," die baldige Stiefmutter des
jungen Mädchens, geliebt hat. Das junge Mädchen sieht ihr Bildnis in dem
Atelier, ehe sie weiß, wen es darstellt, und es dauert andrerseits auch noch
eine Weile, bis der Bildhauer weiß, was aus seiner einstigen Geliebten ge¬
worden ist. Bald aber kommt die neue Baronin nach Italien, und das junge
Mädchen kehrt wieder nach Wien zurück. Der Bildhauer folgt ihr nach.
Durch das Erscheinen aller drei Hauptpersonen auf demselben Schauplatz, in
der Villa des Barons in Wien, kommt die allmählich eingctretne Entwicklung
zu einer sehr schnellen und traurigen Entscheidung. Die „Bacchantin" wird
von einem wahnsinnigen dritten Liebhaber erdolcht. Der Baron ist Witwer,
wie früher. Seine Tochter kann sich unter den schmerzlichen Eindrücken nicht
entschließen, dem Bildhauer ihre Hand zu geben.

Dieser Schluß hat insofern etwas ganz unbefriedigendes, als man allein
über die Persönlichkeit, an der einem am wenigsten gelegen ist, die nichts¬
nutzige Bacchantin, etwas endgiltiges erfährt, über die Zukunft aller andern
aber ganz im ungewissen bleibt. Es will dem Leser durchaus nicht in den
Sinn, daß diese viel interessanter» Menschen nichts weiter sein sollen als
Statisten für die Solotänzerin. Dafür läßt der Verfasser den Schluß
äußerlich sehr wirkungsvoll vor sich gehen, und wenn wir das Buch zumachen,
ist uns ungefähr zu Mute, wie nach einem abgebrannten Feuerwerk, das ja
aber für viele Menschen in der That das Schönste an einer Aufführung ist.


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[0201] Neue Erzählungen Äußerlich erscheinen uns auch Hans Arnolds Neue Novellen aus alten und neuen Tagen (in demselben Verlag, 3. Auflage) nicht viel anders. Sie sind höchst komisch, manchmal burlesk, hie und da stark aufgetragen, aber ungemein gewandt erzählt und darum nicht unwahrscheinlich. Man sieht auch, daß sehr viel erlebtes darin verarbeitet ist. Darum steht dieses Bändchen seinem Inhalte nach höher als das vorher erwähnte. Noch lieber sind uns allerdings die ernstern Erzählungen, die Arnold früher veröffentlicht hat. Aber so denkt nicht jeder zu jeder Zeit, und wer sich einmal recht angenehm und leicht unterhalten will, für den sind diese Humoresken: Der Fähnrich als Er¬ zieher usw. wie gemacht: witzig, harmlos und durchaus anständig. „Novelle" ist freilich in Bezug auf die bescheidne Gattung zu viel gesagt. In demselben Verlage und in der bekannten gleichen Ausstattung ist endlich noch ein neuer zweibändiger Roman von Ludwig Ganghofer er¬ schienen: Die Bacchantin, mit ausgearbeiteten Charakteren und anschaulichen Schilderungen, wie man sie bei dem Verfasser zu finden pflegt. Dieser Roman spielt teils in Wien auf der Besitzung eines gewaltig reichen verwitweten Jndustriebarons, teils in Italien, wohin dessen schöne und geistvolle einzige Tochter geschickt wird, damit sich der Vater ungestört mit einer Theater¬ prinzessin verloben kann. Die Tochter lernt in Italien einen anziehend dar¬ gestellten Bildhauer mit einem geheimnisvollen, fast dämonischen Wesen kennen und fesselt nun ihn, der einst jene „Bacchantin," die baldige Stiefmutter des jungen Mädchens, geliebt hat. Das junge Mädchen sieht ihr Bildnis in dem Atelier, ehe sie weiß, wen es darstellt, und es dauert andrerseits auch noch eine Weile, bis der Bildhauer weiß, was aus seiner einstigen Geliebten ge¬ worden ist. Bald aber kommt die neue Baronin nach Italien, und das junge Mädchen kehrt wieder nach Wien zurück. Der Bildhauer folgt ihr nach. Durch das Erscheinen aller drei Hauptpersonen auf demselben Schauplatz, in der Villa des Barons in Wien, kommt die allmählich eingctretne Entwicklung zu einer sehr schnellen und traurigen Entscheidung. Die „Bacchantin" wird von einem wahnsinnigen dritten Liebhaber erdolcht. Der Baron ist Witwer, wie früher. Seine Tochter kann sich unter den schmerzlichen Eindrücken nicht entschließen, dem Bildhauer ihre Hand zu geben. Dieser Schluß hat insofern etwas ganz unbefriedigendes, als man allein über die Persönlichkeit, an der einem am wenigsten gelegen ist, die nichts¬ nutzige Bacchantin, etwas endgiltiges erfährt, über die Zukunft aller andern aber ganz im ungewissen bleibt. Es will dem Leser durchaus nicht in den Sinn, daß diese viel interessanter» Menschen nichts weiter sein sollen als Statisten für die Solotänzerin. Dafür läßt der Verfasser den Schluß äußerlich sehr wirkungsvoll vor sich gehen, und wenn wir das Buch zumachen, ist uns ungefähr zu Mute, wie nach einem abgebrannten Feuerwerk, das ja aber für viele Menschen in der That das Schönste an einer Aufführung ist. Grenzl>oder II 1897 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/201>, abgerufen am 23.07.2024.