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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

fährlicher Nebenbuhler für Vonaparte. Barras stellt ihn sehr hoch; er muß
in seinem ganzen Wesen etwas sehr imponirendes gehabt haben. General
Hoche starb um diese Zeit, er warnte noch von seinem Totenbette aus die
Direktoren vor Bonapartes Plänen gegen die Republik. Bonaparte hatte aber
auch seinerseits Hoche gegenüber, so lange dieser lebte, ein unbehagliches Ge¬
fühl; vor ihm und Pichegru nahm er sich am meisten in acht, beide waren
militärisch talentvoll, beide dachten nicht daran, sich ihm unterzuordnen, wenn
auch Hoche selbstlos genug war, sich über Bonapartes kriegerische Erfolge auf¬
richtig zu freuen. Übrigens giebt das Verhältnis dieses von Charakter aus¬
gezeichneten Generals zu Barras zu denken; es ist sozusagen das einzige gute
Leumundszeugnis für diesen von anständiger Seite. Aber man ist nicht völlig
sicher, ob man es auf die persönlichen Eigenschaften von Barras beziehen darf:
Hoche war ein glühender Republikaner, und das war Barras auch. Für
Bonaparte hätte noch sispes in Betracht kommen können, und dieser hatte es
etwas später, als er im Direktorium saß, in der Hand, dem ohne Erlaubnis
aus Ägypten zurückgekehrten Obergeneral die Laufbahn sehr zu erschweren,
vielleicht sogar ganz zu verlegen. Aber er verständigte sich damals bald mit
ihm und bekam die Aufgabe zugewiesen, die neue Verfassung zu entwerfen, was
er in seiner Eitelkeit für die Hauptrolle hielt, während der erste Konsul das
Ergebnis nach seinem Belieben änderte. Einen Ruf ins Direktorium nahm
sispes erst an, als Newbell ausgelost worden war und ganz vom politischen
Leben zurücktrat (beide konnten einander nicht leiden), er ging dafür als Ge¬
sandter nach Berlin mit einer hohen Extrasumme für feine Einrichtung und
füllte dort seinen Posten gut aus. Er war ein querköpfiger Mensch voller
Widersprüche, eiuerseis aristokratisch, hochfahrend, voll Verachtung gegen die
Kanaille, dann wieder von wütendem Haß erfüllt gegen alles, was Adel und
Hof hieß, und bemüht, seinen Eifer in den härtesten Gesetzesvorschlägen im
Rat der Fünfhundert kundzugeben. Dabei intriguirte er fortwährend und,
wie es scheint, nach ganz verschiednen Zielen hin. Zum Tyrannen war er
nicht geeignet, das wußte Bonaparte so gut wie Barras, seine Haupteigenschaft
ist die eines Doktrinärs, seine einzige Leidenschaft, Verfassungen zu entwerfen
und Anträge zu stellen. Daneben hat er noch kleine Liebhabereien, Klatsch¬
sucht, unterstützt durch ein Priestergedächtnis, das nichts vergißt: er beschuldigt
z. B. Newbell, nach den Ausschußsitzungen die Wachslichte in die Tasche ge¬
steckt zu haben, nimmt aber selbst, als bald darauf das Direktorium aufgelöst
wird, aus dem Kassentisch zwei Millionen Franken mit nach Hause. Für
Bonaparte waren nun noch die Militärs zu berücksichtigen, deren er nicht
sicher war. Moreau verstand nichts von Politik, Augereau war einfältig, aber
nicht ohne Ambition, Bernadotte am gefährlichsten, aber für den andern zum
Glück ohne die Fähigkeit, Entschlüsse zu fassen. Massvna, ein talentvolles
Raubtier, hatte nicht den Ehrgeiz zu regieren, und Macdonald, der Mann


Die Memoiren von Paul Barras

fährlicher Nebenbuhler für Vonaparte. Barras stellt ihn sehr hoch; er muß
in seinem ganzen Wesen etwas sehr imponirendes gehabt haben. General
Hoche starb um diese Zeit, er warnte noch von seinem Totenbette aus die
Direktoren vor Bonapartes Plänen gegen die Republik. Bonaparte hatte aber
auch seinerseits Hoche gegenüber, so lange dieser lebte, ein unbehagliches Ge¬
fühl; vor ihm und Pichegru nahm er sich am meisten in acht, beide waren
militärisch talentvoll, beide dachten nicht daran, sich ihm unterzuordnen, wenn
auch Hoche selbstlos genug war, sich über Bonapartes kriegerische Erfolge auf¬
richtig zu freuen. Übrigens giebt das Verhältnis dieses von Charakter aus¬
gezeichneten Generals zu Barras zu denken; es ist sozusagen das einzige gute
Leumundszeugnis für diesen von anständiger Seite. Aber man ist nicht völlig
sicher, ob man es auf die persönlichen Eigenschaften von Barras beziehen darf:
Hoche war ein glühender Republikaner, und das war Barras auch. Für
Bonaparte hätte noch sispes in Betracht kommen können, und dieser hatte es
etwas später, als er im Direktorium saß, in der Hand, dem ohne Erlaubnis
aus Ägypten zurückgekehrten Obergeneral die Laufbahn sehr zu erschweren,
vielleicht sogar ganz zu verlegen. Aber er verständigte sich damals bald mit
ihm und bekam die Aufgabe zugewiesen, die neue Verfassung zu entwerfen, was
er in seiner Eitelkeit für die Hauptrolle hielt, während der erste Konsul das
Ergebnis nach seinem Belieben änderte. Einen Ruf ins Direktorium nahm
sispes erst an, als Newbell ausgelost worden war und ganz vom politischen
Leben zurücktrat (beide konnten einander nicht leiden), er ging dafür als Ge¬
sandter nach Berlin mit einer hohen Extrasumme für feine Einrichtung und
füllte dort seinen Posten gut aus. Er war ein querköpfiger Mensch voller
Widersprüche, eiuerseis aristokratisch, hochfahrend, voll Verachtung gegen die
Kanaille, dann wieder von wütendem Haß erfüllt gegen alles, was Adel und
Hof hieß, und bemüht, seinen Eifer in den härtesten Gesetzesvorschlägen im
Rat der Fünfhundert kundzugeben. Dabei intriguirte er fortwährend und,
wie es scheint, nach ganz verschiednen Zielen hin. Zum Tyrannen war er
nicht geeignet, das wußte Bonaparte so gut wie Barras, seine Haupteigenschaft
ist die eines Doktrinärs, seine einzige Leidenschaft, Verfassungen zu entwerfen
und Anträge zu stellen. Daneben hat er noch kleine Liebhabereien, Klatsch¬
sucht, unterstützt durch ein Priestergedächtnis, das nichts vergißt: er beschuldigt
z. B. Newbell, nach den Ausschußsitzungen die Wachslichte in die Tasche ge¬
steckt zu haben, nimmt aber selbst, als bald darauf das Direktorium aufgelöst
wird, aus dem Kassentisch zwei Millionen Franken mit nach Hause. Für
Bonaparte waren nun noch die Militärs zu berücksichtigen, deren er nicht
sicher war. Moreau verstand nichts von Politik, Augereau war einfältig, aber
nicht ohne Ambition, Bernadotte am gefährlichsten, aber für den andern zum
Glück ohne die Fähigkeit, Entschlüsse zu fassen. Massvna, ein talentvolles
Raubtier, hatte nicht den Ehrgeiz zu regieren, und Macdonald, der Mann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/141>, abgerufen am 23.07.2024.