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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

Aber lenken wir wieder in den Gang der Ereignisse ein. Nach dem
Staatsstreich vom 4. September hätte es leicht zu weitern Veränderungen
kommen können. Talleyrand meint, man dürfe nicht bei den Schritten gegen
die Royalisten stehen bleiben, Augereau will nicht aus Paris fort; wenn man
Barras glauben darf, so will er diesem die Alleinherrschaft verschaffen.
Talleyrand möchte Direktor werden; was Bernadotte will, ist nicht klar.
Bonaparte bestürmt das Direktorium mit Briefen von Italien aus, nachdem
der Krieg in zwei Jahren glänzend zu Ende geführt und der Friede zu Campo
Formio abgeschlossen worden ist, er ist schon seit längerer Zeit nicht mehr
bescheiden gewesen wie früher, jetzt wird er unbegreiflich unverschämt, klagt
an, widerspricht sich selbst, fordert seinen Abschied. Sollte ihm der Staats¬
streich einen Strich durch seine Rechnung gemacht haben? Barras meint, er
habe mit Hilfe der Royalisten mehr für sich zu erreichen gehofft, als jetzt mit
den Direktoren in der neu befestigten Republik. Auch Bernadottes Benehmen
ist seltsam. Warum verabschiedet man nicht beide? Die Direktoren entschließen
sich nicht dazu; warum, sagt Barras nicht. Daß man sie, namentlich Bonaparte,
beim Heere hätte zurückhalten Wollen, kann nicht der Grund gewesen sein, denn
der Krieg ist zunächst zu Ende, und in Kürze muß der große General ja doch
nach Paris kommen und dem Direktorium Bericht erstatten. Er kommt und
wird am 10. Dezember 1797 vom Direktorium empfangen.

Unser Interesse steigert sich: die Krisis beginnt. Denn nun tritt es immer
deutlicher hervor, daß nach allen inzwischen eingetretnen Veränderungen nur
zwei Kämpfer für einen letzten Kampf übrig bleiben: der Obergeneral der
italienischen Armee und der eine von fünf Direktoren. Aber warum ist es
gerade Barras, und worin bestand für diesen der Kampfpreis? Die erste
Frage läßt sich leichter beantworten als die zweite. Wir müssen eine Reihe
von Männern ins Auge fassen und können uns dafür der zum Teil ganz
neuen Beobachtungen bedienen, die Barras über sie macht. Tallehrand ist
kein Mann sür erste Rollen, aber für zweite sehr brauchbar, er sällt gewohn¬
heitsmäßig dem Gewinnenden zu, ist also für Bonaparte kein Gegner, sondern
ein Inventarstück, das er viel eher mit Beschlag belegt hat, als es Barras
zu ahnen scheint. Carnot ist seit dem 13. Fruktidor beseitigt. Barras meint,
er habe sich mit Gedanken an eine Präsidentschaft getragen, aber ohne einen
starken Rückhalt sich doch der Stellung nicht gewachsen gefühlt. So sei es,
obwohl er thatsächlich Bonaparte und Hoche gleich gern habe verderben wollen,
doch zwischen ihm und Vonaparte zu Verhandlungen gekommen, aus denen
notwendigerweise Carnot als der Düpirte hätte hervorgehen müssen. Jeden¬
falls ist Carnot von allen diesen Männern die komplizirteste Natur, nach seinem
Temperamente sehr veränderlich und in seinen einzelnen Handlungen politisch
schwer zu beurteilen. Mit Carnot war auch Pichegru unschädlich gemacht
worden, der eleganteste uuter allen Nevolutionsgeneralen und ein äußerst ge-


Die Memoiren von Paul Barras

Aber lenken wir wieder in den Gang der Ereignisse ein. Nach dem
Staatsstreich vom 4. September hätte es leicht zu weitern Veränderungen
kommen können. Talleyrand meint, man dürfe nicht bei den Schritten gegen
die Royalisten stehen bleiben, Augereau will nicht aus Paris fort; wenn man
Barras glauben darf, so will er diesem die Alleinherrschaft verschaffen.
Talleyrand möchte Direktor werden; was Bernadotte will, ist nicht klar.
Bonaparte bestürmt das Direktorium mit Briefen von Italien aus, nachdem
der Krieg in zwei Jahren glänzend zu Ende geführt und der Friede zu Campo
Formio abgeschlossen worden ist, er ist schon seit längerer Zeit nicht mehr
bescheiden gewesen wie früher, jetzt wird er unbegreiflich unverschämt, klagt
an, widerspricht sich selbst, fordert seinen Abschied. Sollte ihm der Staats¬
streich einen Strich durch seine Rechnung gemacht haben? Barras meint, er
habe mit Hilfe der Royalisten mehr für sich zu erreichen gehofft, als jetzt mit
den Direktoren in der neu befestigten Republik. Auch Bernadottes Benehmen
ist seltsam. Warum verabschiedet man nicht beide? Die Direktoren entschließen
sich nicht dazu; warum, sagt Barras nicht. Daß man sie, namentlich Bonaparte,
beim Heere hätte zurückhalten Wollen, kann nicht der Grund gewesen sein, denn
der Krieg ist zunächst zu Ende, und in Kürze muß der große General ja doch
nach Paris kommen und dem Direktorium Bericht erstatten. Er kommt und
wird am 10. Dezember 1797 vom Direktorium empfangen.

Unser Interesse steigert sich: die Krisis beginnt. Denn nun tritt es immer
deutlicher hervor, daß nach allen inzwischen eingetretnen Veränderungen nur
zwei Kämpfer für einen letzten Kampf übrig bleiben: der Obergeneral der
italienischen Armee und der eine von fünf Direktoren. Aber warum ist es
gerade Barras, und worin bestand für diesen der Kampfpreis? Die erste
Frage läßt sich leichter beantworten als die zweite. Wir müssen eine Reihe
von Männern ins Auge fassen und können uns dafür der zum Teil ganz
neuen Beobachtungen bedienen, die Barras über sie macht. Tallehrand ist
kein Mann sür erste Rollen, aber für zweite sehr brauchbar, er sällt gewohn¬
heitsmäßig dem Gewinnenden zu, ist also für Bonaparte kein Gegner, sondern
ein Inventarstück, das er viel eher mit Beschlag belegt hat, als es Barras
zu ahnen scheint. Carnot ist seit dem 13. Fruktidor beseitigt. Barras meint,
er habe sich mit Gedanken an eine Präsidentschaft getragen, aber ohne einen
starken Rückhalt sich doch der Stellung nicht gewachsen gefühlt. So sei es,
obwohl er thatsächlich Bonaparte und Hoche gleich gern habe verderben wollen,
doch zwischen ihm und Vonaparte zu Verhandlungen gekommen, aus denen
notwendigerweise Carnot als der Düpirte hätte hervorgehen müssen. Jeden¬
falls ist Carnot von allen diesen Männern die komplizirteste Natur, nach seinem
Temperamente sehr veränderlich und in seinen einzelnen Handlungen politisch
schwer zu beurteilen. Mit Carnot war auch Pichegru unschädlich gemacht
worden, der eleganteste uuter allen Nevolutionsgeneralen und ein äußerst ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/140>, abgerufen am 23.07.2024.