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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

des Schweigens, aber eines Schweigens, aus dem der Geist der Dummen
spricht, hält Bonaparte den Steigbügel, ehe es noch von ihm verlangt wird.

So bleibt der Gegner, mit dem Bonaparte zu rechnen hat, Barras. Bloß
weil kein andrer mehr da war, könnte man meinen, denn er war geistig ohne
Frage viel unbedeutender als die meisten andern. Was giebt ihm also diesen
besondern politischen Wert, und welchen -- egoistischen -- Wert hat für ihn
selbst die Rolle, die er spielt? Dieser Frage ist der Herausgeber aus dem
Wege gegangen. Er verachtet Barras, und das genügt ihm. Aber es reicht
nicht hin, um die ihm in der Geschichte zukommende Stellung zu erklären.
Barras ist, wie wir schon sagten, ein Pharisäer. Er thut sein Leben lang
groß mit seiner echten republikanischen Gesinnung und wiederholt immer aufs
neue, daß ihm niemand politischen Eigennutz habe vorwerfen können. Kleine
Vermögensvorteile zählen dabei nicht mit; was kam darauf an, wo so viel zu
nehmen war, und wo die andern das doppelte und dreifache nahmen? Aber
daß er "Tyrann" hatte werden wollen, dafür hat man zu keiner Zeit einen
Beweis bringen können. Ihm fehlte also der Ehrgeiz, sagen die Bonapartisten.
Gut, aber darauf beruhte seine Stellung, das Vertrauen, das er nun einmal
als Republikaner bei allen genoß, und das ihn neben einigen andern Eigen¬
schaften, Berechnung und Mut, zu dem letzten Gegner Vonapartes machte, und
was sein eignes, selbstsüchtiges Interesse betrifft, so hatte er sich bei dem
Farbenwechsel materiell nicht schlecht gestanden und war zufrieden, wenn er
weiter persönlich genießen konnte und daneben ein angesehener Mann sein. Die
Krone begehrte er nicht, nur sollte sie auch kein andrer haben. Ob man
diesen Seelenzustand gerade Liebe zur Freiheit nennen will, wie er selbst es
thut, oder nicht, geht wohl mehr den Stilisten an als den Historiker.

Also Bonaparte wird in Paris erwartet. Einstweilen ist er auf dem
Kongreß zu Ncistatt, wo er, wie ein Fürst, mit seiner Gemahlin einen
Flügel des Schlosses bewohnt, die Gesandten der deutschen Staaten hochmütig
behandelt und dem schwedischen Gesandten -- es war Graf Fersen, der einst
die königliche Familie zu retten gesucht hatte -- erklärt, es sei eine Unver¬
schämtheit, daß er sich hier eingefunden habe. Den Direktoren aber schreibt
er, er habe dem Liebhaber der Marie Antoinette eine Lehre erteilt und sich
selbst als Konventsmann und Königsmörder hingestellt, sür diesen Scherz be¬
anspruche er die ihm zukommende Ehre. Er ist der Ansicht, daß er nach des
Krieges Beendigung keines Urlaubes nach Paris bedürfe, und wird auch ohne
Erlaubnis kommen; das Direktorium zieht sich aus der Verlegenheit, indem
es ihm zu kommen befiehlt. Das Empfangszeremoniell wird genan vorher
bestimmt; man muß dabei sehr vorsichtig sein. Der französische Kommandant
von Hüningen hat ihn kurz vorher in Basel mit den Worten empfangen: "Ich
verstehe mich nicht ans die Gewalt des rednerischen Ausdrucks; ich will dich
nicht mit Turenne oder Montecuculi vergleichen, sondern einfach sagen:


Die Memoiren von Paul Barras

des Schweigens, aber eines Schweigens, aus dem der Geist der Dummen
spricht, hält Bonaparte den Steigbügel, ehe es noch von ihm verlangt wird.

So bleibt der Gegner, mit dem Bonaparte zu rechnen hat, Barras. Bloß
weil kein andrer mehr da war, könnte man meinen, denn er war geistig ohne
Frage viel unbedeutender als die meisten andern. Was giebt ihm also diesen
besondern politischen Wert, und welchen — egoistischen — Wert hat für ihn
selbst die Rolle, die er spielt? Dieser Frage ist der Herausgeber aus dem
Wege gegangen. Er verachtet Barras, und das genügt ihm. Aber es reicht
nicht hin, um die ihm in der Geschichte zukommende Stellung zu erklären.
Barras ist, wie wir schon sagten, ein Pharisäer. Er thut sein Leben lang
groß mit seiner echten republikanischen Gesinnung und wiederholt immer aufs
neue, daß ihm niemand politischen Eigennutz habe vorwerfen können. Kleine
Vermögensvorteile zählen dabei nicht mit; was kam darauf an, wo so viel zu
nehmen war, und wo die andern das doppelte und dreifache nahmen? Aber
daß er „Tyrann" hatte werden wollen, dafür hat man zu keiner Zeit einen
Beweis bringen können. Ihm fehlte also der Ehrgeiz, sagen die Bonapartisten.
Gut, aber darauf beruhte seine Stellung, das Vertrauen, das er nun einmal
als Republikaner bei allen genoß, und das ihn neben einigen andern Eigen¬
schaften, Berechnung und Mut, zu dem letzten Gegner Vonapartes machte, und
was sein eignes, selbstsüchtiges Interesse betrifft, so hatte er sich bei dem
Farbenwechsel materiell nicht schlecht gestanden und war zufrieden, wenn er
weiter persönlich genießen konnte und daneben ein angesehener Mann sein. Die
Krone begehrte er nicht, nur sollte sie auch kein andrer haben. Ob man
diesen Seelenzustand gerade Liebe zur Freiheit nennen will, wie er selbst es
thut, oder nicht, geht wohl mehr den Stilisten an als den Historiker.

Also Bonaparte wird in Paris erwartet. Einstweilen ist er auf dem
Kongreß zu Ncistatt, wo er, wie ein Fürst, mit seiner Gemahlin einen
Flügel des Schlosses bewohnt, die Gesandten der deutschen Staaten hochmütig
behandelt und dem schwedischen Gesandten — es war Graf Fersen, der einst
die königliche Familie zu retten gesucht hatte — erklärt, es sei eine Unver¬
schämtheit, daß er sich hier eingefunden habe. Den Direktoren aber schreibt
er, er habe dem Liebhaber der Marie Antoinette eine Lehre erteilt und sich
selbst als Konventsmann und Königsmörder hingestellt, sür diesen Scherz be¬
anspruche er die ihm zukommende Ehre. Er ist der Ansicht, daß er nach des
Krieges Beendigung keines Urlaubes nach Paris bedürfe, und wird auch ohne
Erlaubnis kommen; das Direktorium zieht sich aus der Verlegenheit, indem
es ihm zu kommen befiehlt. Das Empfangszeremoniell wird genan vorher
bestimmt; man muß dabei sehr vorsichtig sein. Der französische Kommandant
von Hüningen hat ihn kurz vorher in Basel mit den Worten empfangen: „Ich
verstehe mich nicht ans die Gewalt des rednerischen Ausdrucks; ich will dich
nicht mit Turenne oder Montecuculi vergleichen, sondern einfach sagen:


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[0142] Die Memoiren von Paul Barras des Schweigens, aber eines Schweigens, aus dem der Geist der Dummen spricht, hält Bonaparte den Steigbügel, ehe es noch von ihm verlangt wird. So bleibt der Gegner, mit dem Bonaparte zu rechnen hat, Barras. Bloß weil kein andrer mehr da war, könnte man meinen, denn er war geistig ohne Frage viel unbedeutender als die meisten andern. Was giebt ihm also diesen besondern politischen Wert, und welchen — egoistischen — Wert hat für ihn selbst die Rolle, die er spielt? Dieser Frage ist der Herausgeber aus dem Wege gegangen. Er verachtet Barras, und das genügt ihm. Aber es reicht nicht hin, um die ihm in der Geschichte zukommende Stellung zu erklären. Barras ist, wie wir schon sagten, ein Pharisäer. Er thut sein Leben lang groß mit seiner echten republikanischen Gesinnung und wiederholt immer aufs neue, daß ihm niemand politischen Eigennutz habe vorwerfen können. Kleine Vermögensvorteile zählen dabei nicht mit; was kam darauf an, wo so viel zu nehmen war, und wo die andern das doppelte und dreifache nahmen? Aber daß er „Tyrann" hatte werden wollen, dafür hat man zu keiner Zeit einen Beweis bringen können. Ihm fehlte also der Ehrgeiz, sagen die Bonapartisten. Gut, aber darauf beruhte seine Stellung, das Vertrauen, das er nun einmal als Republikaner bei allen genoß, und das ihn neben einigen andern Eigen¬ schaften, Berechnung und Mut, zu dem letzten Gegner Vonapartes machte, und was sein eignes, selbstsüchtiges Interesse betrifft, so hatte er sich bei dem Farbenwechsel materiell nicht schlecht gestanden und war zufrieden, wenn er weiter persönlich genießen konnte und daneben ein angesehener Mann sein. Die Krone begehrte er nicht, nur sollte sie auch kein andrer haben. Ob man diesen Seelenzustand gerade Liebe zur Freiheit nennen will, wie er selbst es thut, oder nicht, geht wohl mehr den Stilisten an als den Historiker. Also Bonaparte wird in Paris erwartet. Einstweilen ist er auf dem Kongreß zu Ncistatt, wo er, wie ein Fürst, mit seiner Gemahlin einen Flügel des Schlosses bewohnt, die Gesandten der deutschen Staaten hochmütig behandelt und dem schwedischen Gesandten — es war Graf Fersen, der einst die königliche Familie zu retten gesucht hatte — erklärt, es sei eine Unver¬ schämtheit, daß er sich hier eingefunden habe. Den Direktoren aber schreibt er, er habe dem Liebhaber der Marie Antoinette eine Lehre erteilt und sich selbst als Konventsmann und Königsmörder hingestellt, sür diesen Scherz be¬ anspruche er die ihm zukommende Ehre. Er ist der Ansicht, daß er nach des Krieges Beendigung keines Urlaubes nach Paris bedürfe, und wird auch ohne Erlaubnis kommen; das Direktorium zieht sich aus der Verlegenheit, indem es ihm zu kommen befiehlt. Das Empfangszeremoniell wird genan vorher bestimmt; man muß dabei sehr vorsichtig sein. Der französische Kommandant von Hüningen hat ihn kurz vorher in Basel mit den Worten empfangen: „Ich verstehe mich nicht ans die Gewalt des rednerischen Ausdrucks; ich will dich nicht mit Turenne oder Montecuculi vergleichen, sondern einfach sagen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/142>, abgerufen am 23.07.2024.