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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

noch einen Adjutanten, der alles an Ort und Stelle zu beobachten und ihm
zu berichten hat. In der That arbeitet Barras schon für Bonaparte, aber
er hat noch keine Ahnung davon. Die drei republikanischen Direktoren machen
ihren Staatsstreich am 18. Fruktidor (4. September 1797) gegen Carnot und
Varthölemy und die beiden Räte; sie kommen zuvor, damit sie nicht selbst be¬
seitigt werden. Die Sache gelingt auffallend leicht. Zahlreiche Gefangne
werden zur Deportation verurteilt, darunter Pichegru und Carnot, der aber
entflieht. Die Republik ist wieder einmal durch Waffengewalt gerettet. Barras
bringt manche neue Einzelheiten und dazu viele Betrachtungen. Man wird
ihm zugeben müssen: hier konnte er nicht anders handeln. Entweder absetzen
oder abgesetzt werden, hieß es. Er schwört, daß er Carnot ,Mht nach dem
Leben getrachtet habe (was dieser geglaubt und behauptet hat), daß er viel¬
mehr seinen Fluchtversuch hätte vereiteln können, wenn er gewollt hätte.
Wenn es nach Camoes Willen gegangen wäre, so hätte es zu einem König¬
tum kommen müssen, obwohl diese Form der Regierung ihm nicht erwünscht
gewesen wäre. Wir halten das alles für richtig und finden, daß der Heraus¬
geber weit über sein Ziel hinausschießt, wenn er zu beweisen sucht, daß sich
das Direktorium durch diesen Staatsstreich sein eignes Grab gegraben habe.
Das Volk, meint er, sei bis zum Jahre 1794 durchaus für die neue Ordnung
der Dinge gewonnen worden, es habe sich von der Monarchie losgesagt, und
erst das Direktorium habe die Sehnsucht nach dem einen Herrscher wieder wach¬
gerufen, der dann natürlich nur Bonaparte Hütte sein können. Duruy liebt
die Philosophie der Geschichte, aber das ist weiter nichts als bonapartistische
Doktrin. Bonaparte würde bei jedem Verhalten des Direktoriums seine An¬
sprüche früher oder später regulirt haben. Wer das Heer hatte, der hatte
dereinst die Gewalt im Innern. Was Barras hierüber philosophirt, ist viel
richtiger; man begreift nur nicht, daß ihm selbst diese Einsicht nicht doch noch
früher kam, und daraus sieht man, daß er kein Staatsmann im wirklichen
Sinne war, sondern nur ein zu vielen Dingen geschickter, aber in Hinsicht auf
die innere Anlage sehr gewöhnlicher Mensch. Darum hat er auch nichts ein¬
nehmendes für uns, ebenso wenig, wie er zu seinen Lebzeiten durch seine Per¬
sönlichkeit zu gewinnen oder gar hinzureißen vermochte. Sein Porträt in dem
theatralischen Staatskleide der Direktoren, das er selbst erfunden hat, sagt
eigentlich schon alles: kalt, klug, eitel, weiter nichts. Wir kommen hier mit
zahlreichen Menschen zusammen, die nicht besser sind als er, aber die meisten
sind eigentümlicher. Sie haben alle, möchte man sagen, Spezialitäten. Welche
ist aber die von Barras? Er hat keine, wenn es nicht die ist, vielen schlechten
Menschen ihre Lebenswege geebnet zu haben. Zu diesen gehört Fouchv, den
er um diese Zeit zuerst als Polizeispitzel benutzte, und über dessen Vergangen¬
heit er sehr erbauliche Dinge vorträgt. Der einzige sympathische Mensch, mit
dem wir bekannt gemacht werden, ist der General Hoche.


Die Memoiren von Paul Barras

noch einen Adjutanten, der alles an Ort und Stelle zu beobachten und ihm
zu berichten hat. In der That arbeitet Barras schon für Bonaparte, aber
er hat noch keine Ahnung davon. Die drei republikanischen Direktoren machen
ihren Staatsstreich am 18. Fruktidor (4. September 1797) gegen Carnot und
Varthölemy und die beiden Räte; sie kommen zuvor, damit sie nicht selbst be¬
seitigt werden. Die Sache gelingt auffallend leicht. Zahlreiche Gefangne
werden zur Deportation verurteilt, darunter Pichegru und Carnot, der aber
entflieht. Die Republik ist wieder einmal durch Waffengewalt gerettet. Barras
bringt manche neue Einzelheiten und dazu viele Betrachtungen. Man wird
ihm zugeben müssen: hier konnte er nicht anders handeln. Entweder absetzen
oder abgesetzt werden, hieß es. Er schwört, daß er Carnot ,Mht nach dem
Leben getrachtet habe (was dieser geglaubt und behauptet hat), daß er viel¬
mehr seinen Fluchtversuch hätte vereiteln können, wenn er gewollt hätte.
Wenn es nach Camoes Willen gegangen wäre, so hätte es zu einem König¬
tum kommen müssen, obwohl diese Form der Regierung ihm nicht erwünscht
gewesen wäre. Wir halten das alles für richtig und finden, daß der Heraus¬
geber weit über sein Ziel hinausschießt, wenn er zu beweisen sucht, daß sich
das Direktorium durch diesen Staatsstreich sein eignes Grab gegraben habe.
Das Volk, meint er, sei bis zum Jahre 1794 durchaus für die neue Ordnung
der Dinge gewonnen worden, es habe sich von der Monarchie losgesagt, und
erst das Direktorium habe die Sehnsucht nach dem einen Herrscher wieder wach¬
gerufen, der dann natürlich nur Bonaparte Hütte sein können. Duruy liebt
die Philosophie der Geschichte, aber das ist weiter nichts als bonapartistische
Doktrin. Bonaparte würde bei jedem Verhalten des Direktoriums seine An¬
sprüche früher oder später regulirt haben. Wer das Heer hatte, der hatte
dereinst die Gewalt im Innern. Was Barras hierüber philosophirt, ist viel
richtiger; man begreift nur nicht, daß ihm selbst diese Einsicht nicht doch noch
früher kam, und daraus sieht man, daß er kein Staatsmann im wirklichen
Sinne war, sondern nur ein zu vielen Dingen geschickter, aber in Hinsicht auf
die innere Anlage sehr gewöhnlicher Mensch. Darum hat er auch nichts ein¬
nehmendes für uns, ebenso wenig, wie er zu seinen Lebzeiten durch seine Per¬
sönlichkeit zu gewinnen oder gar hinzureißen vermochte. Sein Porträt in dem
theatralischen Staatskleide der Direktoren, das er selbst erfunden hat, sagt
eigentlich schon alles: kalt, klug, eitel, weiter nichts. Wir kommen hier mit
zahlreichen Menschen zusammen, die nicht besser sind als er, aber die meisten
sind eigentümlicher. Sie haben alle, möchte man sagen, Spezialitäten. Welche
ist aber die von Barras? Er hat keine, wenn es nicht die ist, vielen schlechten
Menschen ihre Lebenswege geebnet zu haben. Zu diesen gehört Fouchv, den
er um diese Zeit zuerst als Polizeispitzel benutzte, und über dessen Vergangen¬
heit er sehr erbauliche Dinge vorträgt. Der einzige sympathische Mensch, mit
dem wir bekannt gemacht werden, ist der General Hoche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/139>, abgerufen am 23.07.2024.