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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Postdampferlinieu

dieser Beziehung der Regierung freie Hand zu lassen, ließ der Reichstag die
Forderung auf namentliche Bezeichnung des Anlaufhafens fallen. Bei der
weitern Debatte wurden zwei Anträge, die Unternehmer zu verpflichten, die
Mittelmeerlinie Alexandrien-Brindisi bis Trieft auszudehnen, wenn die Beihilfe
ausreichen sollte, und die Dampfer, soweit sie neu eingestellt würden, auf
deutschen Werften erbauen zu lassen, angenommen.

Einen höhern Schwung erhielt die Debatte, als das eigentliche Gesetz
zur Beratung kam, und zwar hauptsächlich durch das Eingreifen des Fürsten
Bismarck. Er hatte am 2. März 1885 bei der Beratung des Kolonialetats
die denkwürdige Rede gehalten, in der es hieß: "Es liegt eine eigentümliche
prophetische Voraussicht in unserm alten nationalen Mythus, daß sich, so oft
es den Deutschen gut geht, wenn ein deutscher Völkerfrühling wieder anbricht,
daß dann auch stets der Loki nicht fehlt, der seinen Hödur findet, einen blöden,
dämlichen Menschen, den er mit Geschick veranlaßt, den deutschen Völkerfrühling
zu erschlagen oder niederzustimmen." An diese Rede knüpfte der Abgeordnete
Rintelen am 13. März bei der Beratung des Dampfergesetzes an, indem er
bemerkte: es frage sich, was der Reichskanzler unter dem Völkerfrühling ver¬
standen habe; solle etwa eine allgemeine Begeisterung für die Kolonialpolitik
der Völkerfrühling sein? Die Zentrumspartei werde gegen die Vorlage stimmen,
soweit sie der Kolonialpolitik zu dienen habe. Hierauf bemerkte Fürst Bismarck,
daß die Ablehnung der Vorlage die Entmutigung der Regierung auf dem
Wege der Kolonialpolitik zur Folge haben werde, und daß ohne die Dampfer¬
unterstützung keine Aussicht auf eine Kolonialpolitik vorhanden sei. Nachdem
er sodann aus den Wert, den jede Kolonie für das Mutterland habe, hin¬
gewiesen hatte, schloß er seine Rede mit den Worten: "Ich habe mir neulich
gestattet, eine Analogie aus der altgermanischen Mythologie zu zitiren, bei
der ich das Wort "Völkerfrühling" gebrauchte, auf das der Vorredner zurückkam.
Ich fürchte, daß ich dabei dunkler geblieben bin, als ich zu sein wünschte, und
daß ich nicht deutlich ausgedrückt habe, was ich meinte; aber es liegt nicht in
meiner Gewohnheit, mythologische Anspielungen weit auszuspinnen. Es war
nur etwas, was -- ich kann es nicht leugnen -- mich in den letzten zwanzig
Jahren ununterbrochen gequält und beunruhigt hat, diese Analogie unsrer
deutschen Geschichte mit unsrer deutscheu Göttersage. Ich habe unter dem
Begriff "Völkerfrühling" mehr verstanden als die Kolonialpolitik, ich habe
meine Auffassung, ich will nicht sagen, so niedrig, aber so kurz in Zeit und
Raum nicht gegriffen. Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen
geblüht hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich -- ich kann wohl sagen --
Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat, eine
Periode, die begann mit einem bedauerlichen Bürgerkriege, der zur Lösung
eines verschürzten gordischen Knotens unabweisbar und unentbehrlich war, der
überstanden wurde, und zwar ohne die Nachwehen, die man davon zu be¬
fürchten hatte. Die Begeisterung für den nationalen Gedanken war im Süden


Unsre Postdampferlinieu

dieser Beziehung der Regierung freie Hand zu lassen, ließ der Reichstag die
Forderung auf namentliche Bezeichnung des Anlaufhafens fallen. Bei der
weitern Debatte wurden zwei Anträge, die Unternehmer zu verpflichten, die
Mittelmeerlinie Alexandrien-Brindisi bis Trieft auszudehnen, wenn die Beihilfe
ausreichen sollte, und die Dampfer, soweit sie neu eingestellt würden, auf
deutschen Werften erbauen zu lassen, angenommen.

Einen höhern Schwung erhielt die Debatte, als das eigentliche Gesetz
zur Beratung kam, und zwar hauptsächlich durch das Eingreifen des Fürsten
Bismarck. Er hatte am 2. März 1885 bei der Beratung des Kolonialetats
die denkwürdige Rede gehalten, in der es hieß: „Es liegt eine eigentümliche
prophetische Voraussicht in unserm alten nationalen Mythus, daß sich, so oft
es den Deutschen gut geht, wenn ein deutscher Völkerfrühling wieder anbricht,
daß dann auch stets der Loki nicht fehlt, der seinen Hödur findet, einen blöden,
dämlichen Menschen, den er mit Geschick veranlaßt, den deutschen Völkerfrühling
zu erschlagen oder niederzustimmen." An diese Rede knüpfte der Abgeordnete
Rintelen am 13. März bei der Beratung des Dampfergesetzes an, indem er
bemerkte: es frage sich, was der Reichskanzler unter dem Völkerfrühling ver¬
standen habe; solle etwa eine allgemeine Begeisterung für die Kolonialpolitik
der Völkerfrühling sein? Die Zentrumspartei werde gegen die Vorlage stimmen,
soweit sie der Kolonialpolitik zu dienen habe. Hierauf bemerkte Fürst Bismarck,
daß die Ablehnung der Vorlage die Entmutigung der Regierung auf dem
Wege der Kolonialpolitik zur Folge haben werde, und daß ohne die Dampfer¬
unterstützung keine Aussicht auf eine Kolonialpolitik vorhanden sei. Nachdem
er sodann aus den Wert, den jede Kolonie für das Mutterland habe, hin¬
gewiesen hatte, schloß er seine Rede mit den Worten: „Ich habe mir neulich
gestattet, eine Analogie aus der altgermanischen Mythologie zu zitiren, bei
der ich das Wort »Völkerfrühling« gebrauchte, auf das der Vorredner zurückkam.
Ich fürchte, daß ich dabei dunkler geblieben bin, als ich zu sein wünschte, und
daß ich nicht deutlich ausgedrückt habe, was ich meinte; aber es liegt nicht in
meiner Gewohnheit, mythologische Anspielungen weit auszuspinnen. Es war
nur etwas, was — ich kann es nicht leugnen — mich in den letzten zwanzig
Jahren ununterbrochen gequält und beunruhigt hat, diese Analogie unsrer
deutschen Geschichte mit unsrer deutscheu Göttersage. Ich habe unter dem
Begriff »Völkerfrühling« mehr verstanden als die Kolonialpolitik, ich habe
meine Auffassung, ich will nicht sagen, so niedrig, aber so kurz in Zeit und
Raum nicht gegriffen. Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen
geblüht hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich — ich kann wohl sagen —
Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat, eine
Periode, die begann mit einem bedauerlichen Bürgerkriege, der zur Lösung
eines verschürzten gordischen Knotens unabweisbar und unentbehrlich war, der
überstanden wurde, und zwar ohne die Nachwehen, die man davon zu be¬
fürchten hatte. Die Begeisterung für den nationalen Gedanken war im Süden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/71>, abgerufen am 26.09.2024.