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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Naturgeschichte der Maler

Richtung sofort einordnen. Der Historienmaler sieht die Landschaft eigentlich
nur als Hintergrund für Menschengruppen, der Landschafter die Menschen und
Tiere nur als Staffage für Landschaften; wer wesentlich Kolorist ist, bemerkt
vor allem andern die Wirkung der Farbenmassen oder einzelne, auffallende
Beleuchtungsmotive, der Zeichner wird zuerst die Modellirung und die Linien
gewahr. So arbeiten die Maleraugen als in jeder Hinsicht thätigste, ganz
unentbehrliche Diener ihres Herrn; ohne sie ist ein Maler gar nicht denkbar.
Sie passen sich überraschend mit den Jahren und Möven den wunderlichsten
Forderungen an; sie bringen es fertig, immer so zu sehen, wie der Meister,
in dessen Kopfe sie rollen, nach einer neuen Auffassung sehen will. Bald
erscheint ihnen die Welt ganz Verblasen, wie in Dunst gelöst, bald trocken
und hart; bald schließen sich ihnen die Gegenstände zu Gruppen zusammen,
bald fliehen sie in pikanten Gegensätzen auseinander. Heute herrscht für sie
ein kühles Grau, das nächste Jahr vielleicht ein warmes Braun oder ein
Violett. Und stets bleiben sie dabei ehrlich, sehen wirklich so, wie sie gerade
sehen sollen. Wenigstens behauptet die Naturgeschichte, daß Maler, die ohne
innere, zwingende Notwendigkeit die Natur in ausgediftelte, unmögliche und
unwahre Werte und Töne umsetzten, im ganzen selten, gewöhnlich nur infolge
von geistigen Epidemien vorkommen und zu den bemitleidenswerten Kurio¬
sitäten gehören.

Noch eine auffallende Fertigkeit der Maleraugeu bleibt zu erwähnen: das
ist ihre behende Auffassung von Fehlern, besonders in den Werken andrer.
Vor seinem eignen Werk mag sich der Maler mühen, so viel er will, er wird
manches darin zu verbessern finden und vielleicht niemals zur Befriedigung
gelangen, aber gewisse Mängel bleiben ihm verborgen. Das möchten wir
freilich oft eher ein Glück als ein Unglück nennen, denn sähe er neben ver-
besserlichen Fehlern auch die unverbesserlichen in ihrer ganzen Bedeutung, alle
jene nur selten nicht vorhandnen Verschrobenheiten und Abirrungen seines
Talents, die tief in seiner Natur wurzeln, so dürfte er leicht um seine ganze
Lebensfreude kommen und, wenn er ein schwacher Charakter ist, mit dem
Glauben an sich auch alle Liebe und Hoffnung verlieren. Vor dem Werke
des Nächsten dagegen geht es anders zu; da durchdringen die Malerangen die
Arbeit durch und durch, und schweigt auch vielleicht der Mund aus Klugheit
oder aus Barmherzigkeit, sie sind unbarmherzig im Erkennen jeder Schwäche.
Dabei ist merkwürdig, daß ein schlechter Maler oft ein sehr einsichtsvoller
Kritiker ist, dem es sogar an einer gewissen Selbsterkenntnis nicht zu mangeln
braucht. Das hängt dann mit dem uralten Unterschiede zwischen dem Wollen
und dem Vollbringen zusammen, dem auch die Maler trotz ihrer verfeinerten
Augen und trotz einer gewissen Sonderstellung in der sittlichen Welt nicht
weniger unterworfen sind als wir Laien.

Ich habe schon angedeutet, daß die Begabung mit einem Talent, dessen


Zur Naturgeschichte der Maler

Richtung sofort einordnen. Der Historienmaler sieht die Landschaft eigentlich
nur als Hintergrund für Menschengruppen, der Landschafter die Menschen und
Tiere nur als Staffage für Landschaften; wer wesentlich Kolorist ist, bemerkt
vor allem andern die Wirkung der Farbenmassen oder einzelne, auffallende
Beleuchtungsmotive, der Zeichner wird zuerst die Modellirung und die Linien
gewahr. So arbeiten die Maleraugen als in jeder Hinsicht thätigste, ganz
unentbehrliche Diener ihres Herrn; ohne sie ist ein Maler gar nicht denkbar.
Sie passen sich überraschend mit den Jahren und Möven den wunderlichsten
Forderungen an; sie bringen es fertig, immer so zu sehen, wie der Meister,
in dessen Kopfe sie rollen, nach einer neuen Auffassung sehen will. Bald
erscheint ihnen die Welt ganz Verblasen, wie in Dunst gelöst, bald trocken
und hart; bald schließen sich ihnen die Gegenstände zu Gruppen zusammen,
bald fliehen sie in pikanten Gegensätzen auseinander. Heute herrscht für sie
ein kühles Grau, das nächste Jahr vielleicht ein warmes Braun oder ein
Violett. Und stets bleiben sie dabei ehrlich, sehen wirklich so, wie sie gerade
sehen sollen. Wenigstens behauptet die Naturgeschichte, daß Maler, die ohne
innere, zwingende Notwendigkeit die Natur in ausgediftelte, unmögliche und
unwahre Werte und Töne umsetzten, im ganzen selten, gewöhnlich nur infolge
von geistigen Epidemien vorkommen und zu den bemitleidenswerten Kurio¬
sitäten gehören.

Noch eine auffallende Fertigkeit der Maleraugeu bleibt zu erwähnen: das
ist ihre behende Auffassung von Fehlern, besonders in den Werken andrer.
Vor seinem eignen Werk mag sich der Maler mühen, so viel er will, er wird
manches darin zu verbessern finden und vielleicht niemals zur Befriedigung
gelangen, aber gewisse Mängel bleiben ihm verborgen. Das möchten wir
freilich oft eher ein Glück als ein Unglück nennen, denn sähe er neben ver-
besserlichen Fehlern auch die unverbesserlichen in ihrer ganzen Bedeutung, alle
jene nur selten nicht vorhandnen Verschrobenheiten und Abirrungen seines
Talents, die tief in seiner Natur wurzeln, so dürfte er leicht um seine ganze
Lebensfreude kommen und, wenn er ein schwacher Charakter ist, mit dem
Glauben an sich auch alle Liebe und Hoffnung verlieren. Vor dem Werke
des Nächsten dagegen geht es anders zu; da durchdringen die Malerangen die
Arbeit durch und durch, und schweigt auch vielleicht der Mund aus Klugheit
oder aus Barmherzigkeit, sie sind unbarmherzig im Erkennen jeder Schwäche.
Dabei ist merkwürdig, daß ein schlechter Maler oft ein sehr einsichtsvoller
Kritiker ist, dem es sogar an einer gewissen Selbsterkenntnis nicht zu mangeln
braucht. Das hängt dann mit dem uralten Unterschiede zwischen dem Wollen
und dem Vollbringen zusammen, dem auch die Maler trotz ihrer verfeinerten
Augen und trotz einer gewissen Sonderstellung in der sittlichen Welt nicht
weniger unterworfen sind als wir Laien.

Ich habe schon angedeutet, daß die Begabung mit einem Talent, dessen


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[0659] Zur Naturgeschichte der Maler Richtung sofort einordnen. Der Historienmaler sieht die Landschaft eigentlich nur als Hintergrund für Menschengruppen, der Landschafter die Menschen und Tiere nur als Staffage für Landschaften; wer wesentlich Kolorist ist, bemerkt vor allem andern die Wirkung der Farbenmassen oder einzelne, auffallende Beleuchtungsmotive, der Zeichner wird zuerst die Modellirung und die Linien gewahr. So arbeiten die Maleraugen als in jeder Hinsicht thätigste, ganz unentbehrliche Diener ihres Herrn; ohne sie ist ein Maler gar nicht denkbar. Sie passen sich überraschend mit den Jahren und Möven den wunderlichsten Forderungen an; sie bringen es fertig, immer so zu sehen, wie der Meister, in dessen Kopfe sie rollen, nach einer neuen Auffassung sehen will. Bald erscheint ihnen die Welt ganz Verblasen, wie in Dunst gelöst, bald trocken und hart; bald schließen sich ihnen die Gegenstände zu Gruppen zusammen, bald fliehen sie in pikanten Gegensätzen auseinander. Heute herrscht für sie ein kühles Grau, das nächste Jahr vielleicht ein warmes Braun oder ein Violett. Und stets bleiben sie dabei ehrlich, sehen wirklich so, wie sie gerade sehen sollen. Wenigstens behauptet die Naturgeschichte, daß Maler, die ohne innere, zwingende Notwendigkeit die Natur in ausgediftelte, unmögliche und unwahre Werte und Töne umsetzten, im ganzen selten, gewöhnlich nur infolge von geistigen Epidemien vorkommen und zu den bemitleidenswerten Kurio¬ sitäten gehören. Noch eine auffallende Fertigkeit der Maleraugeu bleibt zu erwähnen: das ist ihre behende Auffassung von Fehlern, besonders in den Werken andrer. Vor seinem eignen Werk mag sich der Maler mühen, so viel er will, er wird manches darin zu verbessern finden und vielleicht niemals zur Befriedigung gelangen, aber gewisse Mängel bleiben ihm verborgen. Das möchten wir freilich oft eher ein Glück als ein Unglück nennen, denn sähe er neben ver- besserlichen Fehlern auch die unverbesserlichen in ihrer ganzen Bedeutung, alle jene nur selten nicht vorhandnen Verschrobenheiten und Abirrungen seines Talents, die tief in seiner Natur wurzeln, so dürfte er leicht um seine ganze Lebensfreude kommen und, wenn er ein schwacher Charakter ist, mit dem Glauben an sich auch alle Liebe und Hoffnung verlieren. Vor dem Werke des Nächsten dagegen geht es anders zu; da durchdringen die Malerangen die Arbeit durch und durch, und schweigt auch vielleicht der Mund aus Klugheit oder aus Barmherzigkeit, sie sind unbarmherzig im Erkennen jeder Schwäche. Dabei ist merkwürdig, daß ein schlechter Maler oft ein sehr einsichtsvoller Kritiker ist, dem es sogar an einer gewissen Selbsterkenntnis nicht zu mangeln braucht. Das hängt dann mit dem uralten Unterschiede zwischen dem Wollen und dem Vollbringen zusammen, dem auch die Maler trotz ihrer verfeinerten Augen und trotz einer gewissen Sonderstellung in der sittlichen Welt nicht weniger unterworfen sind als wir Laien. Ich habe schon angedeutet, daß die Begabung mit einem Talent, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/659>, abgerufen am 26.06.2024.