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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Naturgeschichte der Maler

Ausbildung und Ausübung als Lebensberuf sich als notwendig erweist, den
Menschen von vornherein verhängnisvoll beeinflußt. Schon als Kind wird
der Maler durch seine begehrlichen Augen und die von ihnen aufgeregte
Phantasie ganz einseitig beschäftigt. Er beobachtet, zeichnet, malt und kom-
ponirt; was nicht mit sinnlicher Anschauung zusammenhängt, bleibt ihm gleich-
giltig. In derselben Richtung entwickelt er sich als Knabe, als Jüngling;
daher wird er sich nur selten eine allgemeine Bildung von größerer Tiefe
methodisch erwerben. Und mit ihr wird er, außer sachlichen Kenntnissen, ge¬
wöhnlich auch ein rein sachliches Urteil in gewissem Sinne entbehren. Das
sachliche, objektive Urteil beruht ja auf positiven Kenntnissen und auf geschulter
Logik; die Logik, das richtige, scharfe Schließen schuld sich in der Beschäftigung
mit abstrakten Wissenschaften und Gedcmkenmasfen. Der Mangel an sachlichen
Urteil, an Gewissenhaftigkeit im Streben nach Objektivität befördert aber den
dem Künstler angebornen Hang zur schrankenlosen Subjektivität. Das wesent¬
liche seines Denkens ist darauf gerichtet, die Dinge auszugestalten, die seine
Phantasie, mit Hilfe der Augen, aus seiner ureigensten Natur heraus erfindet;
diese Arbeit nimmt ihn so völlig in Anspruch, zwingt ihn so streng zur Be¬
thätigung seiner eignen Persönlichkeit, daß er sich ganz von selbst auf den Stand¬
punkt stellt, alles Gleichgiltige, alles irgendwie Unsympathische, Fremde ener¬
gisch von sich abzuweisen und dafür alles, was ihm schön erscheint, mit Be¬
geisterung aufzunehmen. Hieraus entwickelt sich eine gefährliche Vermischung
und Verwechslung von schön und gut. Wer seine Ansichten weder durch
Logik uoch durch geistig und sittlich verarbeitete Kenntnisse zu kontrolliren
vermag, wird meistens eine Beute seines Gemüts, seiner Stimmungen, und
die unsichre, nach den Zustünden wechselnde Grundlage seiner Sittlichkeit ver¬
führt den Maler in der Regel zu einer gewissen Verworrenheit der Weltan¬
schauung.

Daß eine solche Verworrenheit, ein Urteilen und Genießen hauptsächlich
nach Neigung und Abneigung, kurz ein Leben lediglich im Gemüt viele und
schwere Gefahren mit sich bringt und manche Unzulänglichkeit zur Folge hat,
bedarf keiner Ausführung. Keine Menschengattung zählt soviel Unglückliche
und Verkommene wie die der Künstler. Aber mit diesem Fluche verknüpft sich
ein unerschöpflicher Segen, der die beglückt, die sich rein und fest im Herzen
zu erhalten wissen. Niemand ist glücklicher, als wer ein reiches, tiefes und
gutes Leben im Gemüt führt; das geht über jedes Verstaudesleben. Und ein
Künstler, ein Maler, der trotz aller Anfechtungen seiner subjektiven Anschauung
einen geraden Weg wandelt, muß doppelt glücklich sein, da er die schöne Welt
mit viel dankbareren, feineren Sinnen aufnimmt als wir. und in sich neue,
eigne Schöpfungen, als herrliche Spiegelbilder der Welt, erstehen läßt.
schaffend gewinnt er ein Götterleben, sei es auch nur in seligen Augenblicken,
und wer solche Augenblicke erlebt, der wird der empfänglichen Menschheit aus


Zur Naturgeschichte der Maler

Ausbildung und Ausübung als Lebensberuf sich als notwendig erweist, den
Menschen von vornherein verhängnisvoll beeinflußt. Schon als Kind wird
der Maler durch seine begehrlichen Augen und die von ihnen aufgeregte
Phantasie ganz einseitig beschäftigt. Er beobachtet, zeichnet, malt und kom-
ponirt; was nicht mit sinnlicher Anschauung zusammenhängt, bleibt ihm gleich-
giltig. In derselben Richtung entwickelt er sich als Knabe, als Jüngling;
daher wird er sich nur selten eine allgemeine Bildung von größerer Tiefe
methodisch erwerben. Und mit ihr wird er, außer sachlichen Kenntnissen, ge¬
wöhnlich auch ein rein sachliches Urteil in gewissem Sinne entbehren. Das
sachliche, objektive Urteil beruht ja auf positiven Kenntnissen und auf geschulter
Logik; die Logik, das richtige, scharfe Schließen schuld sich in der Beschäftigung
mit abstrakten Wissenschaften und Gedcmkenmasfen. Der Mangel an sachlichen
Urteil, an Gewissenhaftigkeit im Streben nach Objektivität befördert aber den
dem Künstler angebornen Hang zur schrankenlosen Subjektivität. Das wesent¬
liche seines Denkens ist darauf gerichtet, die Dinge auszugestalten, die seine
Phantasie, mit Hilfe der Augen, aus seiner ureigensten Natur heraus erfindet;
diese Arbeit nimmt ihn so völlig in Anspruch, zwingt ihn so streng zur Be¬
thätigung seiner eignen Persönlichkeit, daß er sich ganz von selbst auf den Stand¬
punkt stellt, alles Gleichgiltige, alles irgendwie Unsympathische, Fremde ener¬
gisch von sich abzuweisen und dafür alles, was ihm schön erscheint, mit Be¬
geisterung aufzunehmen. Hieraus entwickelt sich eine gefährliche Vermischung
und Verwechslung von schön und gut. Wer seine Ansichten weder durch
Logik uoch durch geistig und sittlich verarbeitete Kenntnisse zu kontrolliren
vermag, wird meistens eine Beute seines Gemüts, seiner Stimmungen, und
die unsichre, nach den Zustünden wechselnde Grundlage seiner Sittlichkeit ver¬
führt den Maler in der Regel zu einer gewissen Verworrenheit der Weltan¬
schauung.

Daß eine solche Verworrenheit, ein Urteilen und Genießen hauptsächlich
nach Neigung und Abneigung, kurz ein Leben lediglich im Gemüt viele und
schwere Gefahren mit sich bringt und manche Unzulänglichkeit zur Folge hat,
bedarf keiner Ausführung. Keine Menschengattung zählt soviel Unglückliche
und Verkommene wie die der Künstler. Aber mit diesem Fluche verknüpft sich
ein unerschöpflicher Segen, der die beglückt, die sich rein und fest im Herzen
zu erhalten wissen. Niemand ist glücklicher, als wer ein reiches, tiefes und
gutes Leben im Gemüt führt; das geht über jedes Verstaudesleben. Und ein
Künstler, ein Maler, der trotz aller Anfechtungen seiner subjektiven Anschauung
einen geraden Weg wandelt, muß doppelt glücklich sein, da er die schöne Welt
mit viel dankbareren, feineren Sinnen aufnimmt als wir. und in sich neue,
eigne Schöpfungen, als herrliche Spiegelbilder der Welt, erstehen läßt.
schaffend gewinnt er ein Götterleben, sei es auch nur in seligen Augenblicken,
und wer solche Augenblicke erlebt, der wird der empfänglichen Menschheit aus


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[0660] Zur Naturgeschichte der Maler Ausbildung und Ausübung als Lebensberuf sich als notwendig erweist, den Menschen von vornherein verhängnisvoll beeinflußt. Schon als Kind wird der Maler durch seine begehrlichen Augen und die von ihnen aufgeregte Phantasie ganz einseitig beschäftigt. Er beobachtet, zeichnet, malt und kom- ponirt; was nicht mit sinnlicher Anschauung zusammenhängt, bleibt ihm gleich- giltig. In derselben Richtung entwickelt er sich als Knabe, als Jüngling; daher wird er sich nur selten eine allgemeine Bildung von größerer Tiefe methodisch erwerben. Und mit ihr wird er, außer sachlichen Kenntnissen, ge¬ wöhnlich auch ein rein sachliches Urteil in gewissem Sinne entbehren. Das sachliche, objektive Urteil beruht ja auf positiven Kenntnissen und auf geschulter Logik; die Logik, das richtige, scharfe Schließen schuld sich in der Beschäftigung mit abstrakten Wissenschaften und Gedcmkenmasfen. Der Mangel an sachlichen Urteil, an Gewissenhaftigkeit im Streben nach Objektivität befördert aber den dem Künstler angebornen Hang zur schrankenlosen Subjektivität. Das wesent¬ liche seines Denkens ist darauf gerichtet, die Dinge auszugestalten, die seine Phantasie, mit Hilfe der Augen, aus seiner ureigensten Natur heraus erfindet; diese Arbeit nimmt ihn so völlig in Anspruch, zwingt ihn so streng zur Be¬ thätigung seiner eignen Persönlichkeit, daß er sich ganz von selbst auf den Stand¬ punkt stellt, alles Gleichgiltige, alles irgendwie Unsympathische, Fremde ener¬ gisch von sich abzuweisen und dafür alles, was ihm schön erscheint, mit Be¬ geisterung aufzunehmen. Hieraus entwickelt sich eine gefährliche Vermischung und Verwechslung von schön und gut. Wer seine Ansichten weder durch Logik uoch durch geistig und sittlich verarbeitete Kenntnisse zu kontrolliren vermag, wird meistens eine Beute seines Gemüts, seiner Stimmungen, und die unsichre, nach den Zustünden wechselnde Grundlage seiner Sittlichkeit ver¬ führt den Maler in der Regel zu einer gewissen Verworrenheit der Weltan¬ schauung. Daß eine solche Verworrenheit, ein Urteilen und Genießen hauptsächlich nach Neigung und Abneigung, kurz ein Leben lediglich im Gemüt viele und schwere Gefahren mit sich bringt und manche Unzulänglichkeit zur Folge hat, bedarf keiner Ausführung. Keine Menschengattung zählt soviel Unglückliche und Verkommene wie die der Künstler. Aber mit diesem Fluche verknüpft sich ein unerschöpflicher Segen, der die beglückt, die sich rein und fest im Herzen zu erhalten wissen. Niemand ist glücklicher, als wer ein reiches, tiefes und gutes Leben im Gemüt führt; das geht über jedes Verstaudesleben. Und ein Künstler, ein Maler, der trotz aller Anfechtungen seiner subjektiven Anschauung einen geraden Weg wandelt, muß doppelt glücklich sein, da er die schöne Welt mit viel dankbareren, feineren Sinnen aufnimmt als wir. und in sich neue, eigne Schöpfungen, als herrliche Spiegelbilder der Welt, erstehen läßt. schaffend gewinnt er ein Götterleben, sei es auch nur in seligen Augenblicken, und wer solche Augenblicke erlebt, der wird der empfänglichen Menschheit aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/660>, abgerufen am 27.09.2024.