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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Naturgeschichte der Maler

Richtung, beeinflußt alle seine Urteile und hindert die gleichmäßige, normale
Entwicklung und Bildung seines Geistes und Gemüts. Nur wenn der damit
begabte Mensch den widerspenstigsten aller Geister, die es begleiten, die
Willkür, zu bannen, wenn er seine Welt in Ordnung zu halten und in Har¬
monie zu bringen weiß und so den freiwilligen Anschluß an die Gesetze und
die Überzeugungen der Gesellschaft findet, in der er lebt, nur dann wird er
durch Ausübung des Talents wirklich Großes wirken. Bleibt er aber un¬
harmonisch in sich und in einem Gegensatze zu dem zurechnungsfähigen Durch¬
schnitt der andern, so wird er entweder ein unverstandner, vielleicht überhaupt
nie zu verstehender, also unfruchtbarer Sonderling, oder, was das gewöhnliche
ist, seine innere Unordnung und Zwiespältigkeit richtet ihn zu Grunde, zwingt
ihn, das Talent gleichsam im Sande verrinnen zu lassen, gebrochen auf eine
Eigenart zu verzichten und wie tausend andre sein Leben zu verpinseln.

Immerhin stempelt selbst das mittelmüßige Talent seinen Mann, und
wenn er im übrigen eine ganz wehrlose Null ist, so genügt schon ein kleines
Talent, ihn zu färben. Daher sich denn die zahlreichen Maler, die nicht
zu den großen gerechnet werden, doch nicht völlig unter dem Publikum ver¬
lieren, sondern dem Beobachter immer noch ganz artige Eigenheiten darbieten.
Wegen dieser Eigenheiten darf man von ihnen als von einer Gattung reden.
Denn einen Stand bilden die Maler nicht, da sie allen Klaffen der Gesellschaft
angehören, und ebensowenig eine Zunft, da ihr Gewerbe von ihrer angebornen
künstlerischen Begabung, ihrer Person nicht zu trennen ist, während ein zünf¬
tiges Gewerbe von beliebigen Personen ausgeübt werden kann, wenn nur
Verstand und Körperkraft ausreichen.

Die Gattung also der Maler unterscheidet sich von allen übrigen Menschen-
gattungen zunächst durch -- die Handfertigkeit im Malen? Nein. Die läßt
sich wie die des Geigers oder die des Zahnarztes erlernen und dnrch Fleiß
entwickeln; sie liegt nicht in der Begabung. Aber durch das besondre Auge
unterscheidet sich der Maler von uns übrigen. Die Maleraugen sind merk¬
würdig selbständig. Sie gehen ihm ohne weiteres durch, so oft es ihnen beliebt.
Nicht nur, wenn es gilt, eine hübsche Dame zu beobachten, sondern sie lassen
ihn auch Zeit und Ort vergessen, um etwa einen gleitenden Sonnenstrahl, ein
laufendes Pferd, eine Nebelstimmung zu studiren. Sie ersättigen sich nie und
nirgends; wenn sie nicht geschlossen sind, so wandern sie umher, rastlos bemerkend,
vergleichend, abschätzend, sich übend, lernend, genießend, die Denkkraft aufrufend
und sie beschäftigend. Auch betrachten sie die Welt nie ganz sachlich. Das
thut ja im Grunde überhaupt kein Mensch, denn zwischen unserm Verstand und
den Dingen liegt immer unser Temperament; aber die Maler haben außer dein
Temperament noch das Talent, die schaffende, Neues gestaltende Auffassung,
neben der bloß oberflächlich färbenden, und das Talent läßt sie, wie eine ganz
eigentümlich geschliffne Brille, die Dinge meist so sehen, daß diese sich ihrer


Zur Naturgeschichte der Maler

Richtung, beeinflußt alle seine Urteile und hindert die gleichmäßige, normale
Entwicklung und Bildung seines Geistes und Gemüts. Nur wenn der damit
begabte Mensch den widerspenstigsten aller Geister, die es begleiten, die
Willkür, zu bannen, wenn er seine Welt in Ordnung zu halten und in Har¬
monie zu bringen weiß und so den freiwilligen Anschluß an die Gesetze und
die Überzeugungen der Gesellschaft findet, in der er lebt, nur dann wird er
durch Ausübung des Talents wirklich Großes wirken. Bleibt er aber un¬
harmonisch in sich und in einem Gegensatze zu dem zurechnungsfähigen Durch¬
schnitt der andern, so wird er entweder ein unverstandner, vielleicht überhaupt
nie zu verstehender, also unfruchtbarer Sonderling, oder, was das gewöhnliche
ist, seine innere Unordnung und Zwiespältigkeit richtet ihn zu Grunde, zwingt
ihn, das Talent gleichsam im Sande verrinnen zu lassen, gebrochen auf eine
Eigenart zu verzichten und wie tausend andre sein Leben zu verpinseln.

Immerhin stempelt selbst das mittelmüßige Talent seinen Mann, und
wenn er im übrigen eine ganz wehrlose Null ist, so genügt schon ein kleines
Talent, ihn zu färben. Daher sich denn die zahlreichen Maler, die nicht
zu den großen gerechnet werden, doch nicht völlig unter dem Publikum ver¬
lieren, sondern dem Beobachter immer noch ganz artige Eigenheiten darbieten.
Wegen dieser Eigenheiten darf man von ihnen als von einer Gattung reden.
Denn einen Stand bilden die Maler nicht, da sie allen Klaffen der Gesellschaft
angehören, und ebensowenig eine Zunft, da ihr Gewerbe von ihrer angebornen
künstlerischen Begabung, ihrer Person nicht zu trennen ist, während ein zünf¬
tiges Gewerbe von beliebigen Personen ausgeübt werden kann, wenn nur
Verstand und Körperkraft ausreichen.

Die Gattung also der Maler unterscheidet sich von allen übrigen Menschen-
gattungen zunächst durch — die Handfertigkeit im Malen? Nein. Die läßt
sich wie die des Geigers oder die des Zahnarztes erlernen und dnrch Fleiß
entwickeln; sie liegt nicht in der Begabung. Aber durch das besondre Auge
unterscheidet sich der Maler von uns übrigen. Die Maleraugen sind merk¬
würdig selbständig. Sie gehen ihm ohne weiteres durch, so oft es ihnen beliebt.
Nicht nur, wenn es gilt, eine hübsche Dame zu beobachten, sondern sie lassen
ihn auch Zeit und Ort vergessen, um etwa einen gleitenden Sonnenstrahl, ein
laufendes Pferd, eine Nebelstimmung zu studiren. Sie ersättigen sich nie und
nirgends; wenn sie nicht geschlossen sind, so wandern sie umher, rastlos bemerkend,
vergleichend, abschätzend, sich übend, lernend, genießend, die Denkkraft aufrufend
und sie beschäftigend. Auch betrachten sie die Welt nie ganz sachlich. Das
thut ja im Grunde überhaupt kein Mensch, denn zwischen unserm Verstand und
den Dingen liegt immer unser Temperament; aber die Maler haben außer dein
Temperament noch das Talent, die schaffende, Neues gestaltende Auffassung,
neben der bloß oberflächlich färbenden, und das Talent läßt sie, wie eine ganz
eigentümlich geschliffne Brille, die Dinge meist so sehen, daß diese sich ihrer


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[0658] Zur Naturgeschichte der Maler Richtung, beeinflußt alle seine Urteile und hindert die gleichmäßige, normale Entwicklung und Bildung seines Geistes und Gemüts. Nur wenn der damit begabte Mensch den widerspenstigsten aller Geister, die es begleiten, die Willkür, zu bannen, wenn er seine Welt in Ordnung zu halten und in Har¬ monie zu bringen weiß und so den freiwilligen Anschluß an die Gesetze und die Überzeugungen der Gesellschaft findet, in der er lebt, nur dann wird er durch Ausübung des Talents wirklich Großes wirken. Bleibt er aber un¬ harmonisch in sich und in einem Gegensatze zu dem zurechnungsfähigen Durch¬ schnitt der andern, so wird er entweder ein unverstandner, vielleicht überhaupt nie zu verstehender, also unfruchtbarer Sonderling, oder, was das gewöhnliche ist, seine innere Unordnung und Zwiespältigkeit richtet ihn zu Grunde, zwingt ihn, das Talent gleichsam im Sande verrinnen zu lassen, gebrochen auf eine Eigenart zu verzichten und wie tausend andre sein Leben zu verpinseln. Immerhin stempelt selbst das mittelmüßige Talent seinen Mann, und wenn er im übrigen eine ganz wehrlose Null ist, so genügt schon ein kleines Talent, ihn zu färben. Daher sich denn die zahlreichen Maler, die nicht zu den großen gerechnet werden, doch nicht völlig unter dem Publikum ver¬ lieren, sondern dem Beobachter immer noch ganz artige Eigenheiten darbieten. Wegen dieser Eigenheiten darf man von ihnen als von einer Gattung reden. Denn einen Stand bilden die Maler nicht, da sie allen Klaffen der Gesellschaft angehören, und ebensowenig eine Zunft, da ihr Gewerbe von ihrer angebornen künstlerischen Begabung, ihrer Person nicht zu trennen ist, während ein zünf¬ tiges Gewerbe von beliebigen Personen ausgeübt werden kann, wenn nur Verstand und Körperkraft ausreichen. Die Gattung also der Maler unterscheidet sich von allen übrigen Menschen- gattungen zunächst durch — die Handfertigkeit im Malen? Nein. Die läßt sich wie die des Geigers oder die des Zahnarztes erlernen und dnrch Fleiß entwickeln; sie liegt nicht in der Begabung. Aber durch das besondre Auge unterscheidet sich der Maler von uns übrigen. Die Maleraugen sind merk¬ würdig selbständig. Sie gehen ihm ohne weiteres durch, so oft es ihnen beliebt. Nicht nur, wenn es gilt, eine hübsche Dame zu beobachten, sondern sie lassen ihn auch Zeit und Ort vergessen, um etwa einen gleitenden Sonnenstrahl, ein laufendes Pferd, eine Nebelstimmung zu studiren. Sie ersättigen sich nie und nirgends; wenn sie nicht geschlossen sind, so wandern sie umher, rastlos bemerkend, vergleichend, abschätzend, sich übend, lernend, genießend, die Denkkraft aufrufend und sie beschäftigend. Auch betrachten sie die Welt nie ganz sachlich. Das thut ja im Grunde überhaupt kein Mensch, denn zwischen unserm Verstand und den Dingen liegt immer unser Temperament; aber die Maler haben außer dein Temperament noch das Talent, die schaffende, Neues gestaltende Auffassung, neben der bloß oberflächlich färbenden, und das Talent läßt sie, wie eine ganz eigentümlich geschliffne Brille, die Dinge meist so sehen, daß diese sich ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/658>, abgerufen am 26.06.2024.