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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

zögen "Ordnung" zu stiften bemühten, war wenig geeignet, die wilden Sitten
zu mildern; so ließ z. B. Kaiser Lothar, dessen Heer in der Nähe von Florenz
von den Landleuten mit Steinen beworfen wurde, den ergriffnen die Nasen
abschneiden und sie sonst noch am Leibe strafen. Von der Armut endlich,
worein die Bevölkerung versunken war, giebt das Inventar eines mit große"
Ländereien, siebzehn Stück Vieh und vier Hörigen ausgestatteten Landgutes
einen Begriff; an Hausrat fanden sich darin vor ein Kochkessel und die Kette,
womit er übers Feuer gehängt wurde, sonst nichts. Freilich war das in der
Zeit der Magyareneinfnlle. Ungefähr so mag es in Griechenland ausgesehen
haben zu der Zeit, wo Herkules und die übrigen Helden der Sage das Land
von Unholden befreiten.

Was diese zweite Barbarei, oder wenn wir das griechische Heroenzeitalter
mit Rücksicht auf die vorangegangne orientalische Kulturentwicklung die zweite
nennen, diese dritte Barbarei von jeder frühern unterschied, das war die Mit¬
wirkung der Kirche bei ihrer Überwindung. In Italien haben wir sie uns
anders zu denken als im germanischen Norden, wo eine Zeit lang Klöster die
einzigen Kulturwerkstätten waren. In Italien hatte man die Werkstätten, d. h.
die Städte, vom römischen Reiche fertig geerbt, und die Lage von Florenz in
einer fruchtbaren,") von anmutigen Hügeln umgebnen Ebne an einem schiffbaren
Strome, nicht gar weit vom Meere, ist ohne Zweifel eine der Bedingungen
der spätern Blüte der Stadt gewesen, die ja schon gleich bei ihrem Ursprung,
wahrscheinlich in der Vorahnung eines von der günstigen Lage zu hoffenden
Gedeihens, die "blühende" genannt worden war. Hier konnten also die Geist¬
lichen als Kulturschöpfer nicht in dem Maße überwiegen, wie in Deutschland
und in England. Die Kirche trug in Italien, namentlich in Tuseieu, vo"
vornherein den Charakter einer geistlich-weltliche" Anstalt, die vom Bürgertum
weit mehr als Mittel für allerlei Zwecke benutzt wurde, als daß sie über dieses
hätte herrschen und es entweder sür ein höheres Leben erziehen oder nieder"
hierarchischen Bestrebungen dienstbar machen können. Von einem Einfluß der
Geistlichen auf die Besserung der Sitten ist so wenig etwas zu spüren, daß
sie vielmehr den Laien immer in allem Schlechte,? um einige Schritte voraus
gewesen zu sein scheine", was leicht zu erklären ist; waren sie doch Kinder



") Freilich nicht von Natur besonders fruchtbar, "Der Garten Italiens, schreibt Davidsohn,
dankt, was er ist, nicht sowohl einer verschwenderischen Laune der Natur, als der harten, an jeg¬
lichem Tage Erneuerung heischenden Arbeit vieler nuf einander folgenden Geschlechter, Der Boden
ist an zahlreichen Stellen steinig, an andern zu lehmig; die Temperatur ist sehr starken Schivan-
tungen ausgesetzt, und wenn in der That die Florentiner Landschaft in ihrer Anmut und
lachenden Fülle wie selten eine den Blick des Beschauers erfreut, so ist es vor allem unendliche
Mühe der Menschen gewesen, die auf den Höhen die langsam wachsende Olive großzog, sumpfigen
Boden i" Weingärte" oder Fruchifelder verwandelte und jeden Fußbreit Boden nutzbar zu
mache" verstand."
Line Geschichte von Florenz

zögen „Ordnung" zu stiften bemühten, war wenig geeignet, die wilden Sitten
zu mildern; so ließ z. B. Kaiser Lothar, dessen Heer in der Nähe von Florenz
von den Landleuten mit Steinen beworfen wurde, den ergriffnen die Nasen
abschneiden und sie sonst noch am Leibe strafen. Von der Armut endlich,
worein die Bevölkerung versunken war, giebt das Inventar eines mit große»
Ländereien, siebzehn Stück Vieh und vier Hörigen ausgestatteten Landgutes
einen Begriff; an Hausrat fanden sich darin vor ein Kochkessel und die Kette,
womit er übers Feuer gehängt wurde, sonst nichts. Freilich war das in der
Zeit der Magyareneinfnlle. Ungefähr so mag es in Griechenland ausgesehen
haben zu der Zeit, wo Herkules und die übrigen Helden der Sage das Land
von Unholden befreiten.

Was diese zweite Barbarei, oder wenn wir das griechische Heroenzeitalter
mit Rücksicht auf die vorangegangne orientalische Kulturentwicklung die zweite
nennen, diese dritte Barbarei von jeder frühern unterschied, das war die Mit¬
wirkung der Kirche bei ihrer Überwindung. In Italien haben wir sie uns
anders zu denken als im germanischen Norden, wo eine Zeit lang Klöster die
einzigen Kulturwerkstätten waren. In Italien hatte man die Werkstätten, d. h.
die Städte, vom römischen Reiche fertig geerbt, und die Lage von Florenz in
einer fruchtbaren,") von anmutigen Hügeln umgebnen Ebne an einem schiffbaren
Strome, nicht gar weit vom Meere, ist ohne Zweifel eine der Bedingungen
der spätern Blüte der Stadt gewesen, die ja schon gleich bei ihrem Ursprung,
wahrscheinlich in der Vorahnung eines von der günstigen Lage zu hoffenden
Gedeihens, die „blühende" genannt worden war. Hier konnten also die Geist¬
lichen als Kulturschöpfer nicht in dem Maße überwiegen, wie in Deutschland
und in England. Die Kirche trug in Italien, namentlich in Tuseieu, vo»
vornherein den Charakter einer geistlich-weltliche» Anstalt, die vom Bürgertum
weit mehr als Mittel für allerlei Zwecke benutzt wurde, als daß sie über dieses
hätte herrschen und es entweder sür ein höheres Leben erziehen oder nieder»
hierarchischen Bestrebungen dienstbar machen können. Von einem Einfluß der
Geistlichen auf die Besserung der Sitten ist so wenig etwas zu spüren, daß
sie vielmehr den Laien immer in allem Schlechte,? um einige Schritte voraus
gewesen zu sein scheine», was leicht zu erklären ist; waren sie doch Kinder



") Freilich nicht von Natur besonders fruchtbar, „Der Garten Italiens, schreibt Davidsohn,
dankt, was er ist, nicht sowohl einer verschwenderischen Laune der Natur, als der harten, an jeg¬
lichem Tage Erneuerung heischenden Arbeit vieler nuf einander folgenden Geschlechter, Der Boden
ist an zahlreichen Stellen steinig, an andern zu lehmig; die Temperatur ist sehr starken Schivan-
tungen ausgesetzt, und wenn in der That die Florentiner Landschaft in ihrer Anmut und
lachenden Fülle wie selten eine den Blick des Beschauers erfreut, so ist es vor allem unendliche
Mühe der Menschen gewesen, die auf den Höhen die langsam wachsende Olive großzog, sumpfigen
Boden i» Weingärte» oder Fruchifelder verwandelte und jeden Fußbreit Boden nutzbar zu
mache» verstand."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/642>, abgerufen am 26.09.2024.