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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

Athen und Alexander das Muster der mit der politischen verschlungnen Kultur-
entwicklung: höhere Kultur kann nur im freien Spiel eng benachbarter, im
lebhaftesten Gedankenaustausch und in immerwährenden Interessenkonflikten mit
und gegen einander wirkender Menschen, also in kleinen städtischen Republiken
erzeugt werden; zu großen auswärtigen Unternehmungen dagegen, zur Grün¬
dung von Großstaaten durch Eroberung, gehört eine stündige, einheitliche Lei¬
tung, sie ist also gewöhnlich das Werk eines genialen Monarchen oder eines
Monarchen, der sich genialer Diener erfreut. Soll aber der Großstaat nicht
ein bloßes Barbareureich sein, das keinen höhern Zweck erfüllt und mit dem
Tode seines Gründers zerfällt, so bedarf der Gründer aller der Kulturschätze,
die vorher in jenen kleinen Werkstätten geschaffen worden sind, und der Zweck
des Großstciatcs besteht dann darin, auch solche Volksschichten und Volksmassen,
die ihrer geographischen oder wirtschaftlichen Lage nach zur selbständigen Er¬
zeugung von Kultur unfähig sind, mit der von andern geschaffnen zu durch-
dringen.

Gewöhnlich, sagte" wir, sei für dieses zweite die Monarchie notwendig.
Gerade die merkwürdigste aller Großmächte jedoch, darum die merkwürdigste,
weil sie nicht von einem ganzen Lande, nicht von einem starken Volke ge¬
schaffen worden, sondern gewissermaßen von einer politischen Zelle ausgehend
pflanzenhaft erwachsen ist, war eine Republik. Aber allerdings eine aristokra¬
tische. Der Notwendigkeit einheitlicher Leitung bei großen Unternehmungen
und in großen Gefahren hat Rom dnrch die Diktatur Rechnung getragen, die
bewunderungswürdige Erfindung des politischen Genies, mit dem das ganze
Römervvlk begabt war, eine Erfindung, die die einheitliche militärische Leitung
in gefährlichen Lage" sicherte, ohne das ganze Staatswesen dauernd einem ein¬
zigen Willen zu unterwerfen, der, mag er durch Geburt oder durch Wahl zur
Herrschaft gelangt sein, ebensoleicht unvernünftig als vernünftig sein kann. Die
Römer hatten das Vertrauen, daß es in einem nicht gar zu großen Kreise von
patriotischem Geiste erfüllter Familien niemals an der zur guten Leitung und
zur Vergrößerung des Staats erforderlichen Vernunft fehlen werde, und ihr
Vertrauen hat sie nicht getäuscht. Sie waren sich bewußt, daß sie, die "Patres,"
zum Herrschen geboren, durch eine Art Schöpfungswunder dazu befähigt waren.
Die sonderbarste aller Stadtgründungssagen läßt Rom aus einem Näuberasyl
hervorwuchsen, während doch das römische Volk die verkörperte Gesetzlichkeit
gewesen ist; ihm hat in seiner ältern Zeit das Lob, das Tacitus den Germanen
spendet, daß bei ihnen gute Sitten mehr gegolten hätten als Gesetze, in weit
höherm Maße gebührt als diesen. Welche wunderbare Selbstbeherrschung eines
ganzen, freilich kleinen Volkes bekundet es, daß die Ehescheidung dein Manne
zwar gesetzlich erlaubt war, die erste Scheidung aber erst im Jahre 523 der
Stadt vorgekommen ist! Und nicht aus einem unedeln Beweggrunde verstieß
Spurius Carvilius Ruga seiue schöne und tugendhafte Gattin, sondern weil


Line Geschichte von Florenz

Athen und Alexander das Muster der mit der politischen verschlungnen Kultur-
entwicklung: höhere Kultur kann nur im freien Spiel eng benachbarter, im
lebhaftesten Gedankenaustausch und in immerwährenden Interessenkonflikten mit
und gegen einander wirkender Menschen, also in kleinen städtischen Republiken
erzeugt werden; zu großen auswärtigen Unternehmungen dagegen, zur Grün¬
dung von Großstaaten durch Eroberung, gehört eine stündige, einheitliche Lei¬
tung, sie ist also gewöhnlich das Werk eines genialen Monarchen oder eines
Monarchen, der sich genialer Diener erfreut. Soll aber der Großstaat nicht
ein bloßes Barbareureich sein, das keinen höhern Zweck erfüllt und mit dem
Tode seines Gründers zerfällt, so bedarf der Gründer aller der Kulturschätze,
die vorher in jenen kleinen Werkstätten geschaffen worden sind, und der Zweck
des Großstciatcs besteht dann darin, auch solche Volksschichten und Volksmassen,
die ihrer geographischen oder wirtschaftlichen Lage nach zur selbständigen Er¬
zeugung von Kultur unfähig sind, mit der von andern geschaffnen zu durch-
dringen.

Gewöhnlich, sagte» wir, sei für dieses zweite die Monarchie notwendig.
Gerade die merkwürdigste aller Großmächte jedoch, darum die merkwürdigste,
weil sie nicht von einem ganzen Lande, nicht von einem starken Volke ge¬
schaffen worden, sondern gewissermaßen von einer politischen Zelle ausgehend
pflanzenhaft erwachsen ist, war eine Republik. Aber allerdings eine aristokra¬
tische. Der Notwendigkeit einheitlicher Leitung bei großen Unternehmungen
und in großen Gefahren hat Rom dnrch die Diktatur Rechnung getragen, die
bewunderungswürdige Erfindung des politischen Genies, mit dem das ganze
Römervvlk begabt war, eine Erfindung, die die einheitliche militärische Leitung
in gefährlichen Lage» sicherte, ohne das ganze Staatswesen dauernd einem ein¬
zigen Willen zu unterwerfen, der, mag er durch Geburt oder durch Wahl zur
Herrschaft gelangt sein, ebensoleicht unvernünftig als vernünftig sein kann. Die
Römer hatten das Vertrauen, daß es in einem nicht gar zu großen Kreise von
patriotischem Geiste erfüllter Familien niemals an der zur guten Leitung und
zur Vergrößerung des Staats erforderlichen Vernunft fehlen werde, und ihr
Vertrauen hat sie nicht getäuscht. Sie waren sich bewußt, daß sie, die „Patres,"
zum Herrschen geboren, durch eine Art Schöpfungswunder dazu befähigt waren.
Die sonderbarste aller Stadtgründungssagen läßt Rom aus einem Näuberasyl
hervorwuchsen, während doch das römische Volk die verkörperte Gesetzlichkeit
gewesen ist; ihm hat in seiner ältern Zeit das Lob, das Tacitus den Germanen
spendet, daß bei ihnen gute Sitten mehr gegolten hätten als Gesetze, in weit
höherm Maße gebührt als diesen. Welche wunderbare Selbstbeherrschung eines
ganzen, freilich kleinen Volkes bekundet es, daß die Ehescheidung dein Manne
zwar gesetzlich erlaubt war, die erste Scheidung aber erst im Jahre 523 der
Stadt vorgekommen ist! Und nicht aus einem unedeln Beweggrunde verstieß
Spurius Carvilius Ruga seiue schöne und tugendhafte Gattin, sondern weil


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[0590] Line Geschichte von Florenz Athen und Alexander das Muster der mit der politischen verschlungnen Kultur- entwicklung: höhere Kultur kann nur im freien Spiel eng benachbarter, im lebhaftesten Gedankenaustausch und in immerwährenden Interessenkonflikten mit und gegen einander wirkender Menschen, also in kleinen städtischen Republiken erzeugt werden; zu großen auswärtigen Unternehmungen dagegen, zur Grün¬ dung von Großstaaten durch Eroberung, gehört eine stündige, einheitliche Lei¬ tung, sie ist also gewöhnlich das Werk eines genialen Monarchen oder eines Monarchen, der sich genialer Diener erfreut. Soll aber der Großstaat nicht ein bloßes Barbareureich sein, das keinen höhern Zweck erfüllt und mit dem Tode seines Gründers zerfällt, so bedarf der Gründer aller der Kulturschätze, die vorher in jenen kleinen Werkstätten geschaffen worden sind, und der Zweck des Großstciatcs besteht dann darin, auch solche Volksschichten und Volksmassen, die ihrer geographischen oder wirtschaftlichen Lage nach zur selbständigen Er¬ zeugung von Kultur unfähig sind, mit der von andern geschaffnen zu durch- dringen. Gewöhnlich, sagte» wir, sei für dieses zweite die Monarchie notwendig. Gerade die merkwürdigste aller Großmächte jedoch, darum die merkwürdigste, weil sie nicht von einem ganzen Lande, nicht von einem starken Volke ge¬ schaffen worden, sondern gewissermaßen von einer politischen Zelle ausgehend pflanzenhaft erwachsen ist, war eine Republik. Aber allerdings eine aristokra¬ tische. Der Notwendigkeit einheitlicher Leitung bei großen Unternehmungen und in großen Gefahren hat Rom dnrch die Diktatur Rechnung getragen, die bewunderungswürdige Erfindung des politischen Genies, mit dem das ganze Römervvlk begabt war, eine Erfindung, die die einheitliche militärische Leitung in gefährlichen Lage» sicherte, ohne das ganze Staatswesen dauernd einem ein¬ zigen Willen zu unterwerfen, der, mag er durch Geburt oder durch Wahl zur Herrschaft gelangt sein, ebensoleicht unvernünftig als vernünftig sein kann. Die Römer hatten das Vertrauen, daß es in einem nicht gar zu großen Kreise von patriotischem Geiste erfüllter Familien niemals an der zur guten Leitung und zur Vergrößerung des Staats erforderlichen Vernunft fehlen werde, und ihr Vertrauen hat sie nicht getäuscht. Sie waren sich bewußt, daß sie, die „Patres," zum Herrschen geboren, durch eine Art Schöpfungswunder dazu befähigt waren. Die sonderbarste aller Stadtgründungssagen läßt Rom aus einem Näuberasyl hervorwuchsen, während doch das römische Volk die verkörperte Gesetzlichkeit gewesen ist; ihm hat in seiner ältern Zeit das Lob, das Tacitus den Germanen spendet, daß bei ihnen gute Sitten mehr gegolten hätten als Gesetze, in weit höherm Maße gebührt als diesen. Welche wunderbare Selbstbeherrschung eines ganzen, freilich kleinen Volkes bekundet es, daß die Ehescheidung dein Manne zwar gesetzlich erlaubt war, die erste Scheidung aber erst im Jahre 523 der Stadt vorgekommen ist! Und nicht aus einem unedeln Beweggrunde verstieß Spurius Carvilius Ruga seiue schöne und tugendhafte Gattin, sondern weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/590>, abgerufen am 29.06.2024.