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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Eine Geschichte von Florenz

sie unfruchtbar war, was bei dem Familieustolze des Römers gewiß als ein
wirkliches Unglück empfunden wurde; dennoch zog er sich eine Rüge vom
Censor und den Haß des Volkes zu. Der erste Vatermörder war L. Ostius,
nach dem zweiten punischen Kriege, der erste Muttermörder P. Mnlleolus, zur
Zeit des Krieges gegen die Cimbern. Die Parteikämpfe, so heftig sie sein
mochten, vollzogen sich unblutig, und bis zum Ende der punischen Kriege sah
die Stadt keinen blutigen Aufstand in ihren Mauern, und selten ward sie mit
groben Verbrechen befleckt. So waren die Römer ein gebornes Herrschervolk,
dazu berufen, andern Gesetze zu geben, weil sie sich selbst beherrschten. Auch
hier waren, wie in Griechenland, die großen Männer nur die Blüten und
Früchte des Gewächses, ohne dieses Gewächs, das Volk, gar nicht denkbar;
ein Cineinnatus, ein Scipio, ein M. Poreius Creo waren ebenso die Quintessenz
und der Spiegel der guten Eigenschaften des römischen Volkes, wie Perikles
die Quintessenz und der Spiegel Athens gewesen war. Als dann das fertige
Weltreich einen Imperator erforderte, waren von dem Volke, das den Wunder¬
bau aufgerichtet hatte, nur noch Neste, einzelne ausgezeichnete Männer, vor¬
handen; doch wäre es durch ein Wunder unversehrt geblieben -- wie Hütte
es anders unvermischt und unverdorben bleiben können! --, so würde es dieser
neuen Aufgabe nicht gewachsen gewesen sein; es ist undenkbar, daß eine Stadt
ein Weltreich regieren könne.

In neuerer Zeit haben die Niederländer einen dritten Thpus der kultnr-
schaffenden und politisch erfolgreichen Republik dargestellt; sie waren Athener
in der Fröhlichkeit und in der Liebe zu den Künsten (darin freilich mehr rea¬
listisch als idealistisch gerichtet), und Römer in der eisernen Willenskraft, der
diamantenem Härte und unüberwindlichen Beharrlichkeit. Jüngst ist in diesen
Heften das Urteil eines Finanzmanns angeführt worden, die Niederländer
hätten mit ihrem Gelde die Spanier besiegt. Vor Ehrenberg hat das schon
der letzte Geschichtschreiber der Niederlande, Wenzelburger, ausgesprochen:
"Der selbstloseste Patriotismus, die aufopferndste Hingebung und der glühendste
Religionseifer können ans die Dauer, wenn sie nachhaltige Wirkung äußern
sollen, der realen Machtmittel nicht entbehren, und lange vor Monteeucnli
wußten die Provinzen ebensogut wie Philipp, daß die drei Erfordernisse zum
Kriegführen sich in dein Worte "Geld" zusammenfassen ließen." Aber warum
hatten sie Geld, während Philipp keins hatte? Weil sie unermüdlich thätig,
von starkem Erwerbssinn gestachelt, von kühnster Unternehmungslust beseelt
und gute Wirte waren. Und warum verwendeten sie ihr Geld auf Kriege
mit übermächtigen Gegnern? Weil sie die Freiheit liebten, lind warum liebte"
sie die Freiheit? Weil ihr Leben einen Inhalt hatte, der ihnen wert war,
weil sie dieses ihnen teure" Lebens froh werden wollten, und weil sie das nicht
konnten nnter einem Despoten. Gewiß wären die Niederländer unterlegen,
wenn nicht Wilhelm von Omnien ihren Widerstand organisirt hätte, aber


Eine Geschichte von Florenz

sie unfruchtbar war, was bei dem Familieustolze des Römers gewiß als ein
wirkliches Unglück empfunden wurde; dennoch zog er sich eine Rüge vom
Censor und den Haß des Volkes zu. Der erste Vatermörder war L. Ostius,
nach dem zweiten punischen Kriege, der erste Muttermörder P. Mnlleolus, zur
Zeit des Krieges gegen die Cimbern. Die Parteikämpfe, so heftig sie sein
mochten, vollzogen sich unblutig, und bis zum Ende der punischen Kriege sah
die Stadt keinen blutigen Aufstand in ihren Mauern, und selten ward sie mit
groben Verbrechen befleckt. So waren die Römer ein gebornes Herrschervolk,
dazu berufen, andern Gesetze zu geben, weil sie sich selbst beherrschten. Auch
hier waren, wie in Griechenland, die großen Männer nur die Blüten und
Früchte des Gewächses, ohne dieses Gewächs, das Volk, gar nicht denkbar;
ein Cineinnatus, ein Scipio, ein M. Poreius Creo waren ebenso die Quintessenz
und der Spiegel der guten Eigenschaften des römischen Volkes, wie Perikles
die Quintessenz und der Spiegel Athens gewesen war. Als dann das fertige
Weltreich einen Imperator erforderte, waren von dem Volke, das den Wunder¬
bau aufgerichtet hatte, nur noch Neste, einzelne ausgezeichnete Männer, vor¬
handen; doch wäre es durch ein Wunder unversehrt geblieben — wie Hütte
es anders unvermischt und unverdorben bleiben können! —, so würde es dieser
neuen Aufgabe nicht gewachsen gewesen sein; es ist undenkbar, daß eine Stadt
ein Weltreich regieren könne.

In neuerer Zeit haben die Niederländer einen dritten Thpus der kultnr-
schaffenden und politisch erfolgreichen Republik dargestellt; sie waren Athener
in der Fröhlichkeit und in der Liebe zu den Künsten (darin freilich mehr rea¬
listisch als idealistisch gerichtet), und Römer in der eisernen Willenskraft, der
diamantenem Härte und unüberwindlichen Beharrlichkeit. Jüngst ist in diesen
Heften das Urteil eines Finanzmanns angeführt worden, die Niederländer
hätten mit ihrem Gelde die Spanier besiegt. Vor Ehrenberg hat das schon
der letzte Geschichtschreiber der Niederlande, Wenzelburger, ausgesprochen:
„Der selbstloseste Patriotismus, die aufopferndste Hingebung und der glühendste
Religionseifer können ans die Dauer, wenn sie nachhaltige Wirkung äußern
sollen, der realen Machtmittel nicht entbehren, und lange vor Monteeucnli
wußten die Provinzen ebensogut wie Philipp, daß die drei Erfordernisse zum
Kriegführen sich in dein Worte »Geld« zusammenfassen ließen." Aber warum
hatten sie Geld, während Philipp keins hatte? Weil sie unermüdlich thätig,
von starkem Erwerbssinn gestachelt, von kühnster Unternehmungslust beseelt
und gute Wirte waren. Und warum verwendeten sie ihr Geld auf Kriege
mit übermächtigen Gegnern? Weil sie die Freiheit liebten, lind warum liebte»
sie die Freiheit? Weil ihr Leben einen Inhalt hatte, der ihnen wert war,
weil sie dieses ihnen teure» Lebens froh werden wollten, und weil sie das nicht
konnten nnter einem Despoten. Gewiß wären die Niederländer unterlegen,
wenn nicht Wilhelm von Omnien ihren Widerstand organisirt hätte, aber


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[0591] Eine Geschichte von Florenz sie unfruchtbar war, was bei dem Familieustolze des Römers gewiß als ein wirkliches Unglück empfunden wurde; dennoch zog er sich eine Rüge vom Censor und den Haß des Volkes zu. Der erste Vatermörder war L. Ostius, nach dem zweiten punischen Kriege, der erste Muttermörder P. Mnlleolus, zur Zeit des Krieges gegen die Cimbern. Die Parteikämpfe, so heftig sie sein mochten, vollzogen sich unblutig, und bis zum Ende der punischen Kriege sah die Stadt keinen blutigen Aufstand in ihren Mauern, und selten ward sie mit groben Verbrechen befleckt. So waren die Römer ein gebornes Herrschervolk, dazu berufen, andern Gesetze zu geben, weil sie sich selbst beherrschten. Auch hier waren, wie in Griechenland, die großen Männer nur die Blüten und Früchte des Gewächses, ohne dieses Gewächs, das Volk, gar nicht denkbar; ein Cineinnatus, ein Scipio, ein M. Poreius Creo waren ebenso die Quintessenz und der Spiegel der guten Eigenschaften des römischen Volkes, wie Perikles die Quintessenz und der Spiegel Athens gewesen war. Als dann das fertige Weltreich einen Imperator erforderte, waren von dem Volke, das den Wunder¬ bau aufgerichtet hatte, nur noch Neste, einzelne ausgezeichnete Männer, vor¬ handen; doch wäre es durch ein Wunder unversehrt geblieben — wie Hütte es anders unvermischt und unverdorben bleiben können! —, so würde es dieser neuen Aufgabe nicht gewachsen gewesen sein; es ist undenkbar, daß eine Stadt ein Weltreich regieren könne. In neuerer Zeit haben die Niederländer einen dritten Thpus der kultnr- schaffenden und politisch erfolgreichen Republik dargestellt; sie waren Athener in der Fröhlichkeit und in der Liebe zu den Künsten (darin freilich mehr rea¬ listisch als idealistisch gerichtet), und Römer in der eisernen Willenskraft, der diamantenem Härte und unüberwindlichen Beharrlichkeit. Jüngst ist in diesen Heften das Urteil eines Finanzmanns angeführt worden, die Niederländer hätten mit ihrem Gelde die Spanier besiegt. Vor Ehrenberg hat das schon der letzte Geschichtschreiber der Niederlande, Wenzelburger, ausgesprochen: „Der selbstloseste Patriotismus, die aufopferndste Hingebung und der glühendste Religionseifer können ans die Dauer, wenn sie nachhaltige Wirkung äußern sollen, der realen Machtmittel nicht entbehren, und lange vor Monteeucnli wußten die Provinzen ebensogut wie Philipp, daß die drei Erfordernisse zum Kriegführen sich in dein Worte »Geld« zusammenfassen ließen." Aber warum hatten sie Geld, während Philipp keins hatte? Weil sie unermüdlich thätig, von starkem Erwerbssinn gestachelt, von kühnster Unternehmungslust beseelt und gute Wirte waren. Und warum verwendeten sie ihr Geld auf Kriege mit übermächtigen Gegnern? Weil sie die Freiheit liebten, lind warum liebte» sie die Freiheit? Weil ihr Leben einen Inhalt hatte, der ihnen wert war, weil sie dieses ihnen teure» Lebens froh werden wollten, und weil sie das nicht konnten nnter einem Despoten. Gewiß wären die Niederländer unterlegen, wenn nicht Wilhelm von Omnien ihren Widerstand organisirt hätte, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/591>, abgerufen am 29.06.2024.