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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

Mittel zu Thaten; seine Armut einzugestehen, ist für niemand ein Schimpf, nur
wenn einer nicht arbeitet, um sich daraus zu befreien, gereicht es ihm zur Unehre.
Unsre hervorragenden Männer sind gleich befähigt zur Besorgung ihrer eignen
häusliche" wie der öffentlichen Angelegenheiten, und die Gewerbe treiben, sind
trotzdem doch auch mit den Staatsangelegenheiten vertraut. Wer an diesen gar
nicht teilnehmen will, den nennen wir nicht ruheliebend, sondern unnütz, und
so beurteilen wir denn alle zusammen die öffentlichen Einrichtungen und Unter¬
nehmungen und planen sie, indem wir nicht die vorherige Beratung sür einen
Schaden ansehen, sondern vielmehr dieses, daß man nicht vorher mit Worten
unterrichtet ist, ehe man zu Thaten schreitet. So zeichnen wir uns auch da¬
durch vor andern aus, daß wir zugleich kühn und besonnen sind, während die
andern nur die Unkenntnis der Thatsachen mutig. Überlegung aber zaghaft
macht. Die sind doch wahrlich die stärksten Seelen, die sowohl das Schreck¬
liche wie das Angenehme auf das genaueste kennen und dennoch vor den Ge¬
fahren nicht zurückweichen. Auch in der Gutherzigkeit übertreffen wir die
meisten, denn nicht als Empfänger, sondern als Spender von Wohlthaten haben
wir uns Freunde gemacht.

So ungefähr sprach Perikles. Ein zu schönes Bild, als daß ihm die
Wirklichkeit vollkommen hätte entsprechen können, oder als daß eine Wirklich¬
keit, die ihm entsprach, lange hätte dauern können! Doch hat die politischen
Schattenseiten der Demokratie niemand schärfer hervorgehoben als Thukydides,
und da er vie Rede des Perikles ohne Kritik wiedergiebt, so muß er wohl
diese Charakterschilderung des athenischen Stantswesens als im wesentlichen
richtig anerkannt haben. Und anch wenn wir diese Rede nicht hätten, würden
wir uns sagen, daß die Fülle von Geist und Schönheit, die das ätherische
Völkchen im Zeitraum eines Jahrhunderts hervorgebracht hat, nur im freu¬
digen Zusammenwirken freier und glücklicher Menschen geschaffen worden sein
kann. Daß Athen weder einen Großstaat begründen noch dem in seiner un¬
mittelbaren Nachbarschaft entstehenden militärisch gewachsen sein konnte, ver¬
steht sich von selbst, da kein irdisches Wesen sür entgegengesetzte, einander aus¬
schließende Aufgaben befähigt ist. Seine Niederlage im peloponnesischen Kriege
aber hat sich das Volk mehr durch Folgsamkeit gegen seine großen Männer
als durch Widerstand zugezogen. Es war gewiß nicht richtig, wozu es Pe¬
rikles überredete, Attika der Verheerung preiszugeben und sich sehr gegen seine
Neigung in die Stadtmauern einpferchen zu lassen,") wo es dann bald der
Pest zur Beute fiel, und zu dem thörichten Unternehmen gegen Sizilien ließ
es sich durch den glänzenden Alkibiades hinreißen. Jedenfalls haben wir in



") Aus dein Made deö Dittuopolis in den Achamvrn erfahren nur, wie die Bauer" die
Stadt verwünschten, und aun dem des TrygawS im "Frieden," wie sie sich nach ihren Ackern
und Weinstöcken sehnte".
Line Geschichte von Florenz

Mittel zu Thaten; seine Armut einzugestehen, ist für niemand ein Schimpf, nur
wenn einer nicht arbeitet, um sich daraus zu befreien, gereicht es ihm zur Unehre.
Unsre hervorragenden Männer sind gleich befähigt zur Besorgung ihrer eignen
häusliche« wie der öffentlichen Angelegenheiten, und die Gewerbe treiben, sind
trotzdem doch auch mit den Staatsangelegenheiten vertraut. Wer an diesen gar
nicht teilnehmen will, den nennen wir nicht ruheliebend, sondern unnütz, und
so beurteilen wir denn alle zusammen die öffentlichen Einrichtungen und Unter¬
nehmungen und planen sie, indem wir nicht die vorherige Beratung sür einen
Schaden ansehen, sondern vielmehr dieses, daß man nicht vorher mit Worten
unterrichtet ist, ehe man zu Thaten schreitet. So zeichnen wir uns auch da¬
durch vor andern aus, daß wir zugleich kühn und besonnen sind, während die
andern nur die Unkenntnis der Thatsachen mutig. Überlegung aber zaghaft
macht. Die sind doch wahrlich die stärksten Seelen, die sowohl das Schreck¬
liche wie das Angenehme auf das genaueste kennen und dennoch vor den Ge¬
fahren nicht zurückweichen. Auch in der Gutherzigkeit übertreffen wir die
meisten, denn nicht als Empfänger, sondern als Spender von Wohlthaten haben
wir uns Freunde gemacht.

So ungefähr sprach Perikles. Ein zu schönes Bild, als daß ihm die
Wirklichkeit vollkommen hätte entsprechen können, oder als daß eine Wirklich¬
keit, die ihm entsprach, lange hätte dauern können! Doch hat die politischen
Schattenseiten der Demokratie niemand schärfer hervorgehoben als Thukydides,
und da er vie Rede des Perikles ohne Kritik wiedergiebt, so muß er wohl
diese Charakterschilderung des athenischen Stantswesens als im wesentlichen
richtig anerkannt haben. Und anch wenn wir diese Rede nicht hätten, würden
wir uns sagen, daß die Fülle von Geist und Schönheit, die das ätherische
Völkchen im Zeitraum eines Jahrhunderts hervorgebracht hat, nur im freu¬
digen Zusammenwirken freier und glücklicher Menschen geschaffen worden sein
kann. Daß Athen weder einen Großstaat begründen noch dem in seiner un¬
mittelbaren Nachbarschaft entstehenden militärisch gewachsen sein konnte, ver¬
steht sich von selbst, da kein irdisches Wesen sür entgegengesetzte, einander aus¬
schließende Aufgaben befähigt ist. Seine Niederlage im peloponnesischen Kriege
aber hat sich das Volk mehr durch Folgsamkeit gegen seine großen Männer
als durch Widerstand zugezogen. Es war gewiß nicht richtig, wozu es Pe¬
rikles überredete, Attika der Verheerung preiszugeben und sich sehr gegen seine
Neigung in die Stadtmauern einpferchen zu lassen,") wo es dann bald der
Pest zur Beute fiel, und zu dem thörichten Unternehmen gegen Sizilien ließ
es sich durch den glänzenden Alkibiades hinreißen. Jedenfalls haben wir in



«) Aus dein Made deö Dittuopolis in den Achamvrn erfahren nur, wie die Bauer» die
Stadt verwünschten, und aun dem des TrygawS im „Frieden," wie sie sich nach ihren Ackern
und Weinstöcken sehnte».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/589>, abgerufen am 29.06.2024.