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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

nächtlich durch ein Glöcklein zur Erfüllung ihrer ehelichen Pflicht geweckt
werden mußten, weil sie sie sonst ans Faulheit unterließen. Alexander der
Große ist nicht denkbar ohne seinen Vater Philipp und seinen Lehrer Aristo¬
teles, jener nicht ohne Epaminondas, Epaminondas und Aristoteles aber waren
Produkte des griechischen Volksgeistes, der in den einzelnen Bürgern der kleinen
griechischen Staaten lebte, vorzugsweise in dem am meisten demokratischen (nicht
im heutigen Sinne demokratischen, da ja der Demos die Sklaven nicht mit
umfaßte), in Athen. Thukhdides hat von dieser Kulturwerkstatt, in der nicht
allein Alexanders Geist, sondern auch el" wesentlicher Bestandteil unsers heu¬
tigen europäischen Geistes gebraut worden ist, sozusagen das Dach abgehoben
in der Rede auf die Gefallnen, die er dem Perikles in den Mund legt, und
die dieser wohl der Hauptsache nach so gehalten haben wird. Nach unsern
Gesetzen, heißt es da unter anderm, haben alle gleiche Rechte, und wer sich
in etwas auszeichnet, der wird zur Staatsverwaltung berufen, nicht weil er
einer gewissen Klasse angehört, sondern seiner Tüchtigkeit wegen; Armut und
niedriger Stand hindern niemand, dem Staate die Dienste zu leisten, die er
zu leisten vermag; im Privatleben lassen wir weitherzig die Freiheit walten,
beargwöhnen einander nicht, nehmen es dem Nachbar nicht übel, wenn er sich ein
Vergnügen macht, und bürden uns und andern nicht solche Lasten auf, die zwar
nicht den Charakter von Strafen tragen, aber doch mißmutig machen. Bei solcher
Zwanglosigkeit des Privatlebens vermeiden wir doch Ungesetzlichkeiten, ans natür¬
licher Scheu und aus Gehorsam gegen die Obrigkeit und die Gesetze, vorzugs¬
weise gegen die zum Schutze der Unrecht leidenden erlassenen Gesetze und gegen
die ungeschriebnen, deren Übertretung Schande bringt. Durch öffentliche Lust¬
barkeiten, wie durch eine anständige häusliche Einrichtung erhalten wir uns die
Heiterkeit. Bei unserm Reichtum genießen wir die Erzeugnisse des Auslands, als
wären es heimische. In Beziehung auf den Krieg unterscheiden nur uns ebenfalls
von unsern Gegnern. Wir machen unsre Stadt zum Gemeingut, lassen jeden unsre
Sehenswürdigkeiten beschauen und weisen keinen Fremden aus, weil er vielleicht
etwas gesehen hat, dessen Kenntnis unsern Feinden nütze" könnte, indem wir
uns weniger auf unsre Einrichtungen und auf Täuschung der Gegner verlassen
als auf den Geist, den wir zu allen unsern Thaten mitbringen; und während
jene ihre Bürger vom Knabenalter an plagen, um sie zu tapfern Männern zu
erziehen, leben wir ungezwungen und bestehen dann doch gleichgroße Gefahren.
Indem wir so mehr mit leichtherzigem Mut als mit angequälter Dressur und
nicht aus cmbefohlner, sondern aus angeborner Tapferkeit den Gefahren entgegen¬
gehen, haben wir vor jenen den Vorteil voraus, daß wir uns nicht schon, ehe die
unabwendbare Plage beginnt, vorher unnötigerweise abgeplagt haben. Und noch
aus vielen andern Gründen verdient unser Staat Bewunderung. Wir lieben das
Schöne ohne Verschwendung und betreiben die Wissenschaften, ohne dadurch ver¬
weichlicht zu werden. Den Reichtum gebrauchen wir nicht zum Prunk, sondern als


Line Geschichte von Florenz

nächtlich durch ein Glöcklein zur Erfüllung ihrer ehelichen Pflicht geweckt
werden mußten, weil sie sie sonst ans Faulheit unterließen. Alexander der
Große ist nicht denkbar ohne seinen Vater Philipp und seinen Lehrer Aristo¬
teles, jener nicht ohne Epaminondas, Epaminondas und Aristoteles aber waren
Produkte des griechischen Volksgeistes, der in den einzelnen Bürgern der kleinen
griechischen Staaten lebte, vorzugsweise in dem am meisten demokratischen (nicht
im heutigen Sinne demokratischen, da ja der Demos die Sklaven nicht mit
umfaßte), in Athen. Thukhdides hat von dieser Kulturwerkstatt, in der nicht
allein Alexanders Geist, sondern auch el» wesentlicher Bestandteil unsers heu¬
tigen europäischen Geistes gebraut worden ist, sozusagen das Dach abgehoben
in der Rede auf die Gefallnen, die er dem Perikles in den Mund legt, und
die dieser wohl der Hauptsache nach so gehalten haben wird. Nach unsern
Gesetzen, heißt es da unter anderm, haben alle gleiche Rechte, und wer sich
in etwas auszeichnet, der wird zur Staatsverwaltung berufen, nicht weil er
einer gewissen Klasse angehört, sondern seiner Tüchtigkeit wegen; Armut und
niedriger Stand hindern niemand, dem Staate die Dienste zu leisten, die er
zu leisten vermag; im Privatleben lassen wir weitherzig die Freiheit walten,
beargwöhnen einander nicht, nehmen es dem Nachbar nicht übel, wenn er sich ein
Vergnügen macht, und bürden uns und andern nicht solche Lasten auf, die zwar
nicht den Charakter von Strafen tragen, aber doch mißmutig machen. Bei solcher
Zwanglosigkeit des Privatlebens vermeiden wir doch Ungesetzlichkeiten, ans natür¬
licher Scheu und aus Gehorsam gegen die Obrigkeit und die Gesetze, vorzugs¬
weise gegen die zum Schutze der Unrecht leidenden erlassenen Gesetze und gegen
die ungeschriebnen, deren Übertretung Schande bringt. Durch öffentliche Lust¬
barkeiten, wie durch eine anständige häusliche Einrichtung erhalten wir uns die
Heiterkeit. Bei unserm Reichtum genießen wir die Erzeugnisse des Auslands, als
wären es heimische. In Beziehung auf den Krieg unterscheiden nur uns ebenfalls
von unsern Gegnern. Wir machen unsre Stadt zum Gemeingut, lassen jeden unsre
Sehenswürdigkeiten beschauen und weisen keinen Fremden aus, weil er vielleicht
etwas gesehen hat, dessen Kenntnis unsern Feinden nütze» könnte, indem wir
uns weniger auf unsre Einrichtungen und auf Täuschung der Gegner verlassen
als auf den Geist, den wir zu allen unsern Thaten mitbringen; und während
jene ihre Bürger vom Knabenalter an plagen, um sie zu tapfern Männern zu
erziehen, leben wir ungezwungen und bestehen dann doch gleichgroße Gefahren.
Indem wir so mehr mit leichtherzigem Mut als mit angequälter Dressur und
nicht aus cmbefohlner, sondern aus angeborner Tapferkeit den Gefahren entgegen¬
gehen, haben wir vor jenen den Vorteil voraus, daß wir uns nicht schon, ehe die
unabwendbare Plage beginnt, vorher unnötigerweise abgeplagt haben. Und noch
aus vielen andern Gründen verdient unser Staat Bewunderung. Wir lieben das
Schöne ohne Verschwendung und betreiben die Wissenschaften, ohne dadurch ver¬
weichlicht zu werden. Den Reichtum gebrauchen wir nicht zum Prunk, sondern als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/588>, abgerufen am 29.06.2024.