Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Geschichte von Florenz

unterscheiden, so wird wohl das Bild von der Pflanze nur in dem Falle
passend gefunden werden, wenn der größere Geist nicht eine bloße größere
Anhäufung von Wissensstoff, sondern zugleich mit einer Phantasie begabt ist,
die die gesammelten Erkenntnisse neu zu ordnen, mit einander in neue Be¬
ziehungen zu bringen, aus ihnen neue Gestalten zu formen vermag, d. h. also,
wenn die bloße Gelehrtenthätigkeit in die künstlerische übergeht. Dasselbe gilt
natürlich von deu bildenden Künsten und von der Musik. Aus einem ganz
unmusikalischen Volk wird kein großer Tonkünstler entstehen; ein kleiner Mozart
muß mit einem in jahrhundertelanger Vererbung verfeinerten Gehörorgan, eben¬
solchen Fingern und Gehiruverbiuduugeu zwischen beiden ausgestattet sein, die
ihn befähigen, Tvnreihen leicht aufzunehmen, sie festzuhalten und auf einem
Instrument neu hervorzurufen, und solche Toureihen müssen sein Ohr von
Kindheit auf anklingen. Bei einem mittelmäßigen Komponisten wird die Ton-
bildnerei, wie beim gewöhnlichen Gelehrten das Studium, eine bloße Stoff-
anhäufung bleiben, er wird in seinen Werken nichts als Erinnerungsbilder
wiedergeben, die ans ihren alten Verknüpfungen in neue überzuführen eine von
der Schereuarbeit des gewöhnlichen Zeitungsschreibers nicht wesentlich ver-
schiedne Verrichtung ist. Das wunderbar ergreifende in den originellen Tvn-
gestalten des genialen Komponisten gehört eben zu den Erscheinungen, die uus
zwingen, es unentschieden zu lassen, ob wir hier bloß noch eine durch Ver¬
erbung und Milieu hervorgebrachte außerordentliche Geschicklichkeit im Ver¬
knüpfen vor uns haben, oder ein neues, unmittelbar vom Himmel herab-
gestiegnes Element.

In den großen Staatsmännern und Feldherren haben wir zuerst wieder
eine gewisse Menge von Kenntnissen als notwendig anzuerkennen, deren Wert
dann, geradeso wie bei den Gelehrten, Dichtern und Künstlern, durch die hin¬
zutretende Kraft der Phantasie erhöht und mit dem Stempel des Genies ge¬
adelt wird. Wie wäre ein Napoleon denkbar ohne einen großen Schatz von
Staats- und militärwissenschastlichen Kenntnissen! Aber wer nicht bloß Bücher
über Staats- und Kriegswesen schreiben, sondern einen Staat lenken und Kriege
führen will, bei dem müssen zu den Kenntnissen noch eine Menge Gabe"
hinzukommen, die teils ins Gebiet der Phantasie, teils in das des Verstandes,
teils in das des Willens gehören. Vor allem die Fähigkeit, herrschende
Willensströmnngen in seinen eignen Willen aufzunehmen, mit diesem die noch
nicht wollenden zu ergreifen und in dieselbe Strömung hineinzureißen, macht
deu großen Volksführer, der freilich nur dann ein großer Staatsmann ist,
wenn er sich erreichbare und vernünftige Ziele steckt, die Mittel zu ihrer Ver¬
wirklichung erkennt und sie richtig anwendet. Es ist nun klar, daß, so wenig
die Botokuden einen Nasfael erzeugen können, ebenso wenig ein großer Eroberer
und Organisator, der einer gewaltigen Willenskraft bedarf, aus den schläfrigen
Guaranis erstehen konnte, die von den seelenhnngrigen Patres Jesuiten all-


Eine Geschichte von Florenz

unterscheiden, so wird wohl das Bild von der Pflanze nur in dem Falle
passend gefunden werden, wenn der größere Geist nicht eine bloße größere
Anhäufung von Wissensstoff, sondern zugleich mit einer Phantasie begabt ist,
die die gesammelten Erkenntnisse neu zu ordnen, mit einander in neue Be¬
ziehungen zu bringen, aus ihnen neue Gestalten zu formen vermag, d. h. also,
wenn die bloße Gelehrtenthätigkeit in die künstlerische übergeht. Dasselbe gilt
natürlich von deu bildenden Künsten und von der Musik. Aus einem ganz
unmusikalischen Volk wird kein großer Tonkünstler entstehen; ein kleiner Mozart
muß mit einem in jahrhundertelanger Vererbung verfeinerten Gehörorgan, eben¬
solchen Fingern und Gehiruverbiuduugeu zwischen beiden ausgestattet sein, die
ihn befähigen, Tvnreihen leicht aufzunehmen, sie festzuhalten und auf einem
Instrument neu hervorzurufen, und solche Toureihen müssen sein Ohr von
Kindheit auf anklingen. Bei einem mittelmäßigen Komponisten wird die Ton-
bildnerei, wie beim gewöhnlichen Gelehrten das Studium, eine bloße Stoff-
anhäufung bleiben, er wird in seinen Werken nichts als Erinnerungsbilder
wiedergeben, die ans ihren alten Verknüpfungen in neue überzuführen eine von
der Schereuarbeit des gewöhnlichen Zeitungsschreibers nicht wesentlich ver-
schiedne Verrichtung ist. Das wunderbar ergreifende in den originellen Tvn-
gestalten des genialen Komponisten gehört eben zu den Erscheinungen, die uus
zwingen, es unentschieden zu lassen, ob wir hier bloß noch eine durch Ver¬
erbung und Milieu hervorgebrachte außerordentliche Geschicklichkeit im Ver¬
knüpfen vor uns haben, oder ein neues, unmittelbar vom Himmel herab-
gestiegnes Element.

In den großen Staatsmännern und Feldherren haben wir zuerst wieder
eine gewisse Menge von Kenntnissen als notwendig anzuerkennen, deren Wert
dann, geradeso wie bei den Gelehrten, Dichtern und Künstlern, durch die hin¬
zutretende Kraft der Phantasie erhöht und mit dem Stempel des Genies ge¬
adelt wird. Wie wäre ein Napoleon denkbar ohne einen großen Schatz von
Staats- und militärwissenschastlichen Kenntnissen! Aber wer nicht bloß Bücher
über Staats- und Kriegswesen schreiben, sondern einen Staat lenken und Kriege
führen will, bei dem müssen zu den Kenntnissen noch eine Menge Gabe»
hinzukommen, die teils ins Gebiet der Phantasie, teils in das des Verstandes,
teils in das des Willens gehören. Vor allem die Fähigkeit, herrschende
Willensströmnngen in seinen eignen Willen aufzunehmen, mit diesem die noch
nicht wollenden zu ergreifen und in dieselbe Strömung hineinzureißen, macht
deu großen Volksführer, der freilich nur dann ein großer Staatsmann ist,
wenn er sich erreichbare und vernünftige Ziele steckt, die Mittel zu ihrer Ver¬
wirklichung erkennt und sie richtig anwendet. Es ist nun klar, daß, so wenig
die Botokuden einen Nasfael erzeugen können, ebenso wenig ein großer Eroberer
und Organisator, der einer gewaltigen Willenskraft bedarf, aus den schläfrigen
Guaranis erstehen konnte, die von den seelenhnngrigen Patres Jesuiten all-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224833"/>
          <fw type="header" place="top"> Eine Geschichte von Florenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1764" prev="#ID_1763"> unterscheiden, so wird wohl das Bild von der Pflanze nur in dem Falle<lb/>
passend gefunden werden, wenn der größere Geist nicht eine bloße größere<lb/>
Anhäufung von Wissensstoff, sondern zugleich mit einer Phantasie begabt ist,<lb/>
die die gesammelten Erkenntnisse neu zu ordnen, mit einander in neue Be¬<lb/>
ziehungen zu bringen, aus ihnen neue Gestalten zu formen vermag, d. h. also,<lb/>
wenn die bloße Gelehrtenthätigkeit in die künstlerische übergeht. Dasselbe gilt<lb/>
natürlich von deu bildenden Künsten und von der Musik. Aus einem ganz<lb/>
unmusikalischen Volk wird kein großer Tonkünstler entstehen; ein kleiner Mozart<lb/>
muß mit einem in jahrhundertelanger Vererbung verfeinerten Gehörorgan, eben¬<lb/>
solchen Fingern und Gehiruverbiuduugeu zwischen beiden ausgestattet sein, die<lb/>
ihn befähigen, Tvnreihen leicht aufzunehmen, sie festzuhalten und auf einem<lb/>
Instrument neu hervorzurufen, und solche Toureihen müssen sein Ohr von<lb/>
Kindheit auf anklingen. Bei einem mittelmäßigen Komponisten wird die Ton-<lb/>
bildnerei, wie beim gewöhnlichen Gelehrten das Studium, eine bloße Stoff-<lb/>
anhäufung bleiben, er wird in seinen Werken nichts als Erinnerungsbilder<lb/>
wiedergeben, die ans ihren alten Verknüpfungen in neue überzuführen eine von<lb/>
der Schereuarbeit des gewöhnlichen Zeitungsschreibers nicht wesentlich ver-<lb/>
schiedne Verrichtung ist. Das wunderbar ergreifende in den originellen Tvn-<lb/>
gestalten des genialen Komponisten gehört eben zu den Erscheinungen, die uus<lb/>
zwingen, es unentschieden zu lassen, ob wir hier bloß noch eine durch Ver¬<lb/>
erbung und Milieu hervorgebrachte außerordentliche Geschicklichkeit im Ver¬<lb/>
knüpfen vor uns haben, oder ein neues, unmittelbar vom Himmel herab-<lb/>
gestiegnes Element.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1765" next="#ID_1766"> In den großen Staatsmännern und Feldherren haben wir zuerst wieder<lb/>
eine gewisse Menge von Kenntnissen als notwendig anzuerkennen, deren Wert<lb/>
dann, geradeso wie bei den Gelehrten, Dichtern und Künstlern, durch die hin¬<lb/>
zutretende Kraft der Phantasie erhöht und mit dem Stempel des Genies ge¬<lb/>
adelt wird. Wie wäre ein Napoleon denkbar ohne einen großen Schatz von<lb/>
Staats- und militärwissenschastlichen Kenntnissen! Aber wer nicht bloß Bücher<lb/>
über Staats- und Kriegswesen schreiben, sondern einen Staat lenken und Kriege<lb/>
führen will, bei dem müssen zu den Kenntnissen noch eine Menge Gabe»<lb/>
hinzukommen, die teils ins Gebiet der Phantasie, teils in das des Verstandes,<lb/>
teils in das des Willens gehören. Vor allem die Fähigkeit, herrschende<lb/>
Willensströmnngen in seinen eignen Willen aufzunehmen, mit diesem die noch<lb/>
nicht wollenden zu ergreifen und in dieselbe Strömung hineinzureißen, macht<lb/>
deu großen Volksführer, der freilich nur dann ein großer Staatsmann ist,<lb/>
wenn er sich erreichbare und vernünftige Ziele steckt, die Mittel zu ihrer Ver¬<lb/>
wirklichung erkennt und sie richtig anwendet. Es ist nun klar, daß, so wenig<lb/>
die Botokuden einen Nasfael erzeugen können, ebenso wenig ein großer Eroberer<lb/>
und Organisator, der einer gewaltigen Willenskraft bedarf, aus den schläfrigen<lb/>
Guaranis erstehen konnte, die von den seelenhnngrigen Patres Jesuiten all-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0587] Eine Geschichte von Florenz unterscheiden, so wird wohl das Bild von der Pflanze nur in dem Falle passend gefunden werden, wenn der größere Geist nicht eine bloße größere Anhäufung von Wissensstoff, sondern zugleich mit einer Phantasie begabt ist, die die gesammelten Erkenntnisse neu zu ordnen, mit einander in neue Be¬ ziehungen zu bringen, aus ihnen neue Gestalten zu formen vermag, d. h. also, wenn die bloße Gelehrtenthätigkeit in die künstlerische übergeht. Dasselbe gilt natürlich von deu bildenden Künsten und von der Musik. Aus einem ganz unmusikalischen Volk wird kein großer Tonkünstler entstehen; ein kleiner Mozart muß mit einem in jahrhundertelanger Vererbung verfeinerten Gehörorgan, eben¬ solchen Fingern und Gehiruverbiuduugeu zwischen beiden ausgestattet sein, die ihn befähigen, Tvnreihen leicht aufzunehmen, sie festzuhalten und auf einem Instrument neu hervorzurufen, und solche Toureihen müssen sein Ohr von Kindheit auf anklingen. Bei einem mittelmäßigen Komponisten wird die Ton- bildnerei, wie beim gewöhnlichen Gelehrten das Studium, eine bloße Stoff- anhäufung bleiben, er wird in seinen Werken nichts als Erinnerungsbilder wiedergeben, die ans ihren alten Verknüpfungen in neue überzuführen eine von der Schereuarbeit des gewöhnlichen Zeitungsschreibers nicht wesentlich ver- schiedne Verrichtung ist. Das wunderbar ergreifende in den originellen Tvn- gestalten des genialen Komponisten gehört eben zu den Erscheinungen, die uus zwingen, es unentschieden zu lassen, ob wir hier bloß noch eine durch Ver¬ erbung und Milieu hervorgebrachte außerordentliche Geschicklichkeit im Ver¬ knüpfen vor uns haben, oder ein neues, unmittelbar vom Himmel herab- gestiegnes Element. In den großen Staatsmännern und Feldherren haben wir zuerst wieder eine gewisse Menge von Kenntnissen als notwendig anzuerkennen, deren Wert dann, geradeso wie bei den Gelehrten, Dichtern und Künstlern, durch die hin¬ zutretende Kraft der Phantasie erhöht und mit dem Stempel des Genies ge¬ adelt wird. Wie wäre ein Napoleon denkbar ohne einen großen Schatz von Staats- und militärwissenschastlichen Kenntnissen! Aber wer nicht bloß Bücher über Staats- und Kriegswesen schreiben, sondern einen Staat lenken und Kriege führen will, bei dem müssen zu den Kenntnissen noch eine Menge Gabe» hinzukommen, die teils ins Gebiet der Phantasie, teils in das des Verstandes, teils in das des Willens gehören. Vor allem die Fähigkeit, herrschende Willensströmnngen in seinen eignen Willen aufzunehmen, mit diesem die noch nicht wollenden zu ergreifen und in dieselbe Strömung hineinzureißen, macht deu großen Volksführer, der freilich nur dann ein großer Staatsmann ist, wenn er sich erreichbare und vernünftige Ziele steckt, die Mittel zu ihrer Ver¬ wirklichung erkennt und sie richtig anwendet. Es ist nun klar, daß, so wenig die Botokuden einen Nasfael erzeugen können, ebenso wenig ein großer Eroberer und Organisator, der einer gewaltigen Willenskraft bedarf, aus den schläfrigen Guaranis erstehen konnte, die von den seelenhnngrigen Patres Jesuiten all-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/587
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/587>, abgerufen am 29.06.2024.