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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

beschränkten Gebiete, nämlich dem der kleinen Erzählung, bedeutende Gaben
verliehen seien; aber jede Selbstüberschätzung lag ihm fern. Sonst hätten seine
Freunde wahrlich ausreichend dafür gesorgt, ihm den Kopf zu verdrehen. Aber
es gelang ihnen nicht. "Unannehmbar, schreibt er u. ni. (29. Juli 1881) einem
Kritiker, sind gewisse superlativische Wendungen des Lobes. Dergleichen ist
nicht sagbar und ist auch niemals wahr, weder hier noch dort, und sieht aus,
als ob sich einer lustig mache über einen." Emil Kuh mahnt er (12. Februar
1874): "Rauchen Sie den starken Lobtabak nicht weiter, wenn Sie mir nicht
Feinde erwecken wollen wie Sand am Meer! Ich muß ihn für mich selbst
noch auslangen, wenn ich das mir zukommende und zuträgliche Friedens¬
pfeifchen davon genießen will in stiller Nnhestunde." Und den Redakteur der
Deutschen Rundschau bittet er inständigst (8. Juli 1883): "Lassen Sie nicht
solche Wendungen Passiren, wie sie wieder in den Aufsätzchen von A. F. ent¬
halten sind: großer Dichter, Grundlage der Kellerlitteratur(!). F. hat an einem
andern Orte drucken lassen, ich sei der größte Novellist aller Zeiten und
Völker u. dergl. Das alles sieht genau so aus, als ob man absichtlich darauf
ausginge, mich armen Wurm lächerlich zu machen und den Widerwillen andrer
Leute zu erregen, abgesehen von dem unkritischen und daher schädlichen Aus¬
sehen, das solche Besprechungen dadurch gewinnen."

So flössen die Jahre seiner Beamtenlaufbahn ziemlich ruhig und gleich¬
mäßig dahin in der Berufsarbeit, im Verkehr mit bedeutenden und unbedeu¬
tenden Freunden und ihn heimsuchenden Verehrern, im Hause und noch viel
mehr im Wirtshause, wo man ihn am festen Stammplätzchen, besonders an
gewissen Wochentagen zu jeder Abend- und Nachtzeit zu finden wußte, und
wo er oft in heiterster Stimmung, manchmal aber auch launisch und mürrisch
dasaß, und in dem Briefwechsel mit einer kleinen Zahl Getreuer, Männern wie
Hettner, Kuh, Bischer, Adolf Exner, Conr. Ferd. Meyer, Wilhelm Petersen,
Paul Heyse,*) Theodor Storm u. a., Frauen wie Marie Melos. Ludmilla
Asstng und Marie Exner (später Frau Prof. Frisch in Wien). Meist herrscht
in diesen Briefen ein schlichter, frischer, humoristischer Ton. Es findet
sich manche treffende Bemerkung über Zeitgenossen wie Grillparzer, Ludwig.
Auerbach. Storm, auch beißende wie über den radikalen Philosophen des Über¬
menschen Nietzsche. Gefühlsergüsse finden sich nie, selbst nicht, wenn ihm der
Tod eines Freundes angezeigt wird. Nur bei Freiligraths Abscheiden bricht
er in die Worte aus (11. Mai 1876): "Er gehört zu den wenigen, von
welchen man nicht glauben mag, daß sie wirklich fort und verschwunden sind,
bei deren Tod man sich ängstlich fragt, ob man sich nichts vorzuwerfen, sie
nie beleidigt habe, aber sofort ruhig ist, weil sie einem nicht den geringsten
Anlaß dazu Hütten geben können vermöge ihres wohlbestellten Wesens."



") Heuse stand ihm sehr nahe; seine Briefe an ihn sind noch nicht veröffentlicht.
Grenzboten I 1897 t>7
Gottfried Keller und seine Novellen

beschränkten Gebiete, nämlich dem der kleinen Erzählung, bedeutende Gaben
verliehen seien; aber jede Selbstüberschätzung lag ihm fern. Sonst hätten seine
Freunde wahrlich ausreichend dafür gesorgt, ihm den Kopf zu verdrehen. Aber
es gelang ihnen nicht. „Unannehmbar, schreibt er u. ni. (29. Juli 1881) einem
Kritiker, sind gewisse superlativische Wendungen des Lobes. Dergleichen ist
nicht sagbar und ist auch niemals wahr, weder hier noch dort, und sieht aus,
als ob sich einer lustig mache über einen." Emil Kuh mahnt er (12. Februar
1874): „Rauchen Sie den starken Lobtabak nicht weiter, wenn Sie mir nicht
Feinde erwecken wollen wie Sand am Meer! Ich muß ihn für mich selbst
noch auslangen, wenn ich das mir zukommende und zuträgliche Friedens¬
pfeifchen davon genießen will in stiller Nnhestunde." Und den Redakteur der
Deutschen Rundschau bittet er inständigst (8. Juli 1883): „Lassen Sie nicht
solche Wendungen Passiren, wie sie wieder in den Aufsätzchen von A. F. ent¬
halten sind: großer Dichter, Grundlage der Kellerlitteratur(!). F. hat an einem
andern Orte drucken lassen, ich sei der größte Novellist aller Zeiten und
Völker u. dergl. Das alles sieht genau so aus, als ob man absichtlich darauf
ausginge, mich armen Wurm lächerlich zu machen und den Widerwillen andrer
Leute zu erregen, abgesehen von dem unkritischen und daher schädlichen Aus¬
sehen, das solche Besprechungen dadurch gewinnen."

So flössen die Jahre seiner Beamtenlaufbahn ziemlich ruhig und gleich¬
mäßig dahin in der Berufsarbeit, im Verkehr mit bedeutenden und unbedeu¬
tenden Freunden und ihn heimsuchenden Verehrern, im Hause und noch viel
mehr im Wirtshause, wo man ihn am festen Stammplätzchen, besonders an
gewissen Wochentagen zu jeder Abend- und Nachtzeit zu finden wußte, und
wo er oft in heiterster Stimmung, manchmal aber auch launisch und mürrisch
dasaß, und in dem Briefwechsel mit einer kleinen Zahl Getreuer, Männern wie
Hettner, Kuh, Bischer, Adolf Exner, Conr. Ferd. Meyer, Wilhelm Petersen,
Paul Heyse,*) Theodor Storm u. a., Frauen wie Marie Melos. Ludmilla
Asstng und Marie Exner (später Frau Prof. Frisch in Wien). Meist herrscht
in diesen Briefen ein schlichter, frischer, humoristischer Ton. Es findet
sich manche treffende Bemerkung über Zeitgenossen wie Grillparzer, Ludwig.
Auerbach. Storm, auch beißende wie über den radikalen Philosophen des Über¬
menschen Nietzsche. Gefühlsergüsse finden sich nie, selbst nicht, wenn ihm der
Tod eines Freundes angezeigt wird. Nur bei Freiligraths Abscheiden bricht
er in die Worte aus (11. Mai 1876): „Er gehört zu den wenigen, von
welchen man nicht glauben mag, daß sie wirklich fort und verschwunden sind,
bei deren Tod man sich ängstlich fragt, ob man sich nichts vorzuwerfen, sie
nie beleidigt habe, aber sofort ruhig ist, weil sie einem nicht den geringsten
Anlaß dazu Hütten geben können vermöge ihres wohlbestellten Wesens."



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[0537] Gottfried Keller und seine Novellen beschränkten Gebiete, nämlich dem der kleinen Erzählung, bedeutende Gaben verliehen seien; aber jede Selbstüberschätzung lag ihm fern. Sonst hätten seine Freunde wahrlich ausreichend dafür gesorgt, ihm den Kopf zu verdrehen. Aber es gelang ihnen nicht. „Unannehmbar, schreibt er u. ni. (29. Juli 1881) einem Kritiker, sind gewisse superlativische Wendungen des Lobes. Dergleichen ist nicht sagbar und ist auch niemals wahr, weder hier noch dort, und sieht aus, als ob sich einer lustig mache über einen." Emil Kuh mahnt er (12. Februar 1874): „Rauchen Sie den starken Lobtabak nicht weiter, wenn Sie mir nicht Feinde erwecken wollen wie Sand am Meer! Ich muß ihn für mich selbst noch auslangen, wenn ich das mir zukommende und zuträgliche Friedens¬ pfeifchen davon genießen will in stiller Nnhestunde." Und den Redakteur der Deutschen Rundschau bittet er inständigst (8. Juli 1883): „Lassen Sie nicht solche Wendungen Passiren, wie sie wieder in den Aufsätzchen von A. F. ent¬ halten sind: großer Dichter, Grundlage der Kellerlitteratur(!). F. hat an einem andern Orte drucken lassen, ich sei der größte Novellist aller Zeiten und Völker u. dergl. Das alles sieht genau so aus, als ob man absichtlich darauf ausginge, mich armen Wurm lächerlich zu machen und den Widerwillen andrer Leute zu erregen, abgesehen von dem unkritischen und daher schädlichen Aus¬ sehen, das solche Besprechungen dadurch gewinnen." So flössen die Jahre seiner Beamtenlaufbahn ziemlich ruhig und gleich¬ mäßig dahin in der Berufsarbeit, im Verkehr mit bedeutenden und unbedeu¬ tenden Freunden und ihn heimsuchenden Verehrern, im Hause und noch viel mehr im Wirtshause, wo man ihn am festen Stammplätzchen, besonders an gewissen Wochentagen zu jeder Abend- und Nachtzeit zu finden wußte, und wo er oft in heiterster Stimmung, manchmal aber auch launisch und mürrisch dasaß, und in dem Briefwechsel mit einer kleinen Zahl Getreuer, Männern wie Hettner, Kuh, Bischer, Adolf Exner, Conr. Ferd. Meyer, Wilhelm Petersen, Paul Heyse,*) Theodor Storm u. a., Frauen wie Marie Melos. Ludmilla Asstng und Marie Exner (später Frau Prof. Frisch in Wien). Meist herrscht in diesen Briefen ein schlichter, frischer, humoristischer Ton. Es findet sich manche treffende Bemerkung über Zeitgenossen wie Grillparzer, Ludwig. Auerbach. Storm, auch beißende wie über den radikalen Philosophen des Über¬ menschen Nietzsche. Gefühlsergüsse finden sich nie, selbst nicht, wenn ihm der Tod eines Freundes angezeigt wird. Nur bei Freiligraths Abscheiden bricht er in die Worte aus (11. Mai 1876): „Er gehört zu den wenigen, von welchen man nicht glauben mag, daß sie wirklich fort und verschwunden sind, bei deren Tod man sich ängstlich fragt, ob man sich nichts vorzuwerfen, sie nie beleidigt habe, aber sofort ruhig ist, weil sie einem nicht den geringsten Anlaß dazu Hütten geben können vermöge ihres wohlbestellten Wesens." ") Heuse stand ihm sehr nahe; seine Briefe an ihn sind noch nicht veröffentlicht. Grenzboten I 1897 t>7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/537>, abgerufen am 29.06.2024.