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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

klar vor der Seele. Er kündigt es Freiligrath (22. April 1860) unter dem
Titel ..Die Galathee" an:

Einer liest Lognus Distichon: Wie willst du weiße Lilie" zu roten Rosen
machen? Kuß eine weiße Galathee, sie wird errötend lachen! und reist aus, das
Ding zu Probiren, bis es am Ende des zweiten Bandes gelingt. Ju diesen
Novellen sind unter andern sieben christliche Legenden eingeflochten. Ich fand
nämlich eine Legendensannnlung von Kosegarten in einem läppisch frömmelnden und
einfältiglichcn Stile erzählt (von einem norddeutschen Protestanten doppelt lächerlich)
in Prosa und Versen. Ich nahm sieben oder acht Stück ans dem vergessenen
Schmöker, fing sie mit den süßlichen und heiligen Worten Kosegärtchens an und
machte dann eine erotisch-weltliche Historie daraus, in welcher die Jungfrau Maria
die Schutzpatronin der Heiratslustigen ist.

Das alles aber lebte mehr in seinem Kopfe als auf dem Papiere, und
so kam sein funfzigster Geburtstag heran, ohne daß er als Dichter etwas
weiteres geleistet hatte. Aber er war trotz alledem ein wunderbares Glücks¬
kind. Wie kaum je einem Dichter vor und nach ihm, sind ihm die Herzen der
Menschen zugeflogen. Freunde und Verleger waren unaufhörlich bemüht, seinen
Phantasiegeburten zum Dasein zu verhelfen, und Anerkennung und Wert¬
schätzung liefen ihnen gleichsam vorher. So wurden ihm zum 19. Juli 1869
die größten Huldigungen zu teil. Studenten und Sängervereine brachten ihm
einen Fackelzug. Auf einem Kommers wurde er vou den Professoren gefeiert
und ihm der Ehrendoktor verliehen. "Durchweg wurde betont, daß des Dichters
äußerer Erfolg weit hinter seinem Werte zurückgeblieben sei."

Keller sah in dieser Huldigung eine Mahnung zu neuem poetischen Schaffen.
Den Studenten erwiderte er: das Unternehmen, seinen funfzigsten Geburtstag
ans Licht zu ziehen, habe in ihm das beschämende Gefühl einer unverdienten
Auszeichnung erregt, und er befürchte, man könnte, wenn in dieser Weise so
hell in das dunkle Kämmerlein des Poeten hineingeleuchtet werde, nichts finden,
als ein altes verlassenes Frauenzimmer, die Muse früherer Tage. Möglich,
daß dieser Schein sie früher wecken werde, als sie selber gedacht habe, daß sie
sich dann aber auch sogleich unnütz machen werde. Ältere Frauenzimmer
könnten zwar interessant, aber ebenso schwatzhaft und bösartig sein. Sollte so
etwas bei ihm vorkommen, hätten es die Veranstalter dieses Festes auf dem
Gewissen. Wenn bessere Leute als er bei derartigen Anlässen zu sagen pflegen,
daß sie die Ehrenbezeugung auf die Sache bezögen, der sie hätten dienen
wollen, so sei dies bei ihm doppelt und dreifach der Fall. (Baechtold III, 15.)

Wir dürfen auch diese Worte, so sehr sie sich auch an Wendungen an¬
lehnen, wie sie bei solchen Gelegenheiten allgemein gebraucht werden, bei Keller
für bare Münze nehmen. Denn wenn er auch jenen Dichterstolz hatte, der
durch eine scharfe Kritik leicht verletzt wird, so muß man doch anerkennen, daß
er überschwenglichen Lob, das ihm allezeit im Übermaß zu teil wurde, stets
bescheiden gegenüber-, ja entgegengetreten ist. Er war ein klarer Kopf, der
sich über sich selbst keiner Täuschung hingab, der wußte, daß ihm auf einen:


Gottfried Keller und seine Novellen

klar vor der Seele. Er kündigt es Freiligrath (22. April 1860) unter dem
Titel ..Die Galathee" an:

Einer liest Lognus Distichon: Wie willst du weiße Lilie» zu roten Rosen
machen? Kuß eine weiße Galathee, sie wird errötend lachen! und reist aus, das
Ding zu Probiren, bis es am Ende des zweiten Bandes gelingt. Ju diesen
Novellen sind unter andern sieben christliche Legenden eingeflochten. Ich fand
nämlich eine Legendensannnlung von Kosegarten in einem läppisch frömmelnden und
einfältiglichcn Stile erzählt (von einem norddeutschen Protestanten doppelt lächerlich)
in Prosa und Versen. Ich nahm sieben oder acht Stück ans dem vergessenen
Schmöker, fing sie mit den süßlichen und heiligen Worten Kosegärtchens an und
machte dann eine erotisch-weltliche Historie daraus, in welcher die Jungfrau Maria
die Schutzpatronin der Heiratslustigen ist.

Das alles aber lebte mehr in seinem Kopfe als auf dem Papiere, und
so kam sein funfzigster Geburtstag heran, ohne daß er als Dichter etwas
weiteres geleistet hatte. Aber er war trotz alledem ein wunderbares Glücks¬
kind. Wie kaum je einem Dichter vor und nach ihm, sind ihm die Herzen der
Menschen zugeflogen. Freunde und Verleger waren unaufhörlich bemüht, seinen
Phantasiegeburten zum Dasein zu verhelfen, und Anerkennung und Wert¬
schätzung liefen ihnen gleichsam vorher. So wurden ihm zum 19. Juli 1869
die größten Huldigungen zu teil. Studenten und Sängervereine brachten ihm
einen Fackelzug. Auf einem Kommers wurde er vou den Professoren gefeiert
und ihm der Ehrendoktor verliehen. „Durchweg wurde betont, daß des Dichters
äußerer Erfolg weit hinter seinem Werte zurückgeblieben sei."

Keller sah in dieser Huldigung eine Mahnung zu neuem poetischen Schaffen.
Den Studenten erwiderte er: das Unternehmen, seinen funfzigsten Geburtstag
ans Licht zu ziehen, habe in ihm das beschämende Gefühl einer unverdienten
Auszeichnung erregt, und er befürchte, man könnte, wenn in dieser Weise so
hell in das dunkle Kämmerlein des Poeten hineingeleuchtet werde, nichts finden,
als ein altes verlassenes Frauenzimmer, die Muse früherer Tage. Möglich,
daß dieser Schein sie früher wecken werde, als sie selber gedacht habe, daß sie
sich dann aber auch sogleich unnütz machen werde. Ältere Frauenzimmer
könnten zwar interessant, aber ebenso schwatzhaft und bösartig sein. Sollte so
etwas bei ihm vorkommen, hätten es die Veranstalter dieses Festes auf dem
Gewissen. Wenn bessere Leute als er bei derartigen Anlässen zu sagen pflegen,
daß sie die Ehrenbezeugung auf die Sache bezögen, der sie hätten dienen
wollen, so sei dies bei ihm doppelt und dreifach der Fall. (Baechtold III, 15.)

Wir dürfen auch diese Worte, so sehr sie sich auch an Wendungen an¬
lehnen, wie sie bei solchen Gelegenheiten allgemein gebraucht werden, bei Keller
für bare Münze nehmen. Denn wenn er auch jenen Dichterstolz hatte, der
durch eine scharfe Kritik leicht verletzt wird, so muß man doch anerkennen, daß
er überschwenglichen Lob, das ihm allezeit im Übermaß zu teil wurde, stets
bescheiden gegenüber-, ja entgegengetreten ist. Er war ein klarer Kopf, der
sich über sich selbst keiner Täuschung hingab, der wußte, daß ihm auf einen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/536>, abgerufen am 29.09.2024.