Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Gottfried Aelter und seine Novellen Umso weniger können wir aber Redensarten gelten lassen, wie die, mit Meine Faulheit, von der Sie nachsichtig schrieben, ist eine ganz seltsame patho¬ Dramatisches kann ich Ihnen, nichts mitteilen, da nur wenige Aufzeichnungen Gedruckt war 1860 nur das "Fähnlein der sieben Aufrechten" in Auer- Gottfried Aelter und seine Novellen Umso weniger können wir aber Redensarten gelten lassen, wie die, mit Meine Faulheit, von der Sie nachsichtig schrieben, ist eine ganz seltsame patho¬ Dramatisches kann ich Ihnen, nichts mitteilen, da nur wenige Aufzeichnungen Gedruckt war 1860 nur das „Fähnlein der sieben Aufrechten" in Auer- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224781"/> <fw type="header" place="top"> Gottfried Aelter und seine Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1611"> Umso weniger können wir aber Redensarten gelten lassen, wie die, mit<lb/> denen Baechtold seinen dritten Band beginnt: „Von der Kunst dachte er zu<lb/> hoch, als daß er sie je zur Erwerbsquelle erniedrigt Hütte. Der Freiheit, die<lb/> er bisher fast im Übermaße genossen, entsagte der gereifte Mann freiwillig,<lb/> um sich dienend in ein Ganzes einzuordnen" und dergleichen mehr. Es war<lb/> vielmehr so, daß Keller endlich sühlen mußte, die Kunst könne ihn bei seiner<lb/> Art zu schaffen nicht ernähren. Es wäre sinnlos gewesen, auch diese sichere<lb/> Stellung auszuschlagen. Er war eben nicht so reich an fruchtbaren Ideen und<lb/> vor allem nicht an fleißiger, gewissenhafter Ausführung, daß er davon hätte<lb/> leben können. Wie hat er seine Freunde, seine Verleger, sich selbst mit ver¬<lb/> geblichen Hoffnungen gespeist! In Berlin schob er es auf die Not, aber auch<lb/> in Zürich brachte er nur wenig und das Wenige unter stetem Drängen zu<lb/> stände. „Was war denn in diesen letzten sechs Jahren freiester Muse Poe¬<lb/> tisches geleistet worden? Eine kleine Erzählung und einige Gedichte." (Baech¬<lb/> told II, 320.) Und in den fünfzehn Jahren seines Beamtentums, wo man<lb/> hätte erwarten sollen, daß der unbezwingliche Trieb zur Kunst unter der winter¬<lb/> lichen Decke der Kärrnerarbeit gewaltsam hervorbrechen würde, war es auch<lb/> nicht viel anders. Am Ende dieser Zeit sagt er in einem Briefe an den Wiener<lb/> Kritiker und Literarhistoriker Emil Kuh (6. Dezember 1874):</p><lb/> <p xml:id="ID_1612"> Meine Faulheit, von der Sie nachsichtig schrieben, ist eine ganz seltsame patho¬<lb/> logische Arbeitsscheu in xuneto littoris. Wenn ich daran bin, so kann ich große<lb/> Stücke hintereinander wegarbeiten bei Tag und Nacht. Aber ich scheue mich<lb/> oft Wochen-, monnte-, jahrelang, den nngefangneu Bogen aus seinem Verstecke<lb/> hervorzuuehmeu und auf den Tisch zu legen; es ist, als ob ich diese einfache erste<lb/> Manipulation fürchtete, ärgere mich darüber und kann doch nicht anders. Während-<lb/> dessen geht aber das Sinnen und Spintisiren immer fort, und indem ich Neues<lb/> aufhenke, kaun ich genau um abgebrochnen Satz des Alten fortfahren, wenn mir das<lb/> Papier erst glücklich wieder daliegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1613"> Dramatisches kann ich Ihnen, nichts mitteilen, da nur wenige Aufzeichnungen<lb/> und einige zerstreute Szenen dn sind. Diese Sache ist so beschaffen, daß sie mir<lb/> zu wichtig ist, um so im voraus davon zu naschen und wieder aufzuhören. . . .<lb/> Ich bin jetzt os Jahr alt; in eiueiu Jahre etwa deute ich mit dem Erzähluugs-<lb/> wesen abzuschließen und dann auf frischem Tisch das Drama vorzunehmen jist nie<lb/> geschehen!s, wobei es einzig darauf ankommt, ob ich noch fünf bis acht Jahre fähig<lb/> bleibe. Das Altern ist ja bei jedem verschieden. Ich habe den Aberglauben, daß<lb/> jeder irgend einmal macht, was ihm zukommt, früh oder spät, wen» er nur leben<lb/> bleibt. Kommts nicht drzu, so ists auch Wurst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1614" next="#ID_1615"> Gedruckt war 1860 nur das „Fähnlein der sieben Aufrechten" in Auer-<lb/> bachs Kalender auf dessen Bitten, eine der besten Kellerschen Erzählungen, die<lb/> fpüter in die „Züricher Novellen" überging. Im Entstehen aber war mancherlei,<lb/> wovon die Briefe Zeugnis geben. Da wurde an den „Leuten von Seldwyla"<lb/> weiter gearbeitet, wo er „die Freude an seinem Vaterlande mit einer heilsamen<lb/> Kritik verbinden" wollte; und auch das „Sinngedicht" schwebte ihm schon</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0535]
Gottfried Aelter und seine Novellen
Umso weniger können wir aber Redensarten gelten lassen, wie die, mit
denen Baechtold seinen dritten Band beginnt: „Von der Kunst dachte er zu
hoch, als daß er sie je zur Erwerbsquelle erniedrigt Hütte. Der Freiheit, die
er bisher fast im Übermaße genossen, entsagte der gereifte Mann freiwillig,
um sich dienend in ein Ganzes einzuordnen" und dergleichen mehr. Es war
vielmehr so, daß Keller endlich sühlen mußte, die Kunst könne ihn bei seiner
Art zu schaffen nicht ernähren. Es wäre sinnlos gewesen, auch diese sichere
Stellung auszuschlagen. Er war eben nicht so reich an fruchtbaren Ideen und
vor allem nicht an fleißiger, gewissenhafter Ausführung, daß er davon hätte
leben können. Wie hat er seine Freunde, seine Verleger, sich selbst mit ver¬
geblichen Hoffnungen gespeist! In Berlin schob er es auf die Not, aber auch
in Zürich brachte er nur wenig und das Wenige unter stetem Drängen zu
stände. „Was war denn in diesen letzten sechs Jahren freiester Muse Poe¬
tisches geleistet worden? Eine kleine Erzählung und einige Gedichte." (Baech¬
told II, 320.) Und in den fünfzehn Jahren seines Beamtentums, wo man
hätte erwarten sollen, daß der unbezwingliche Trieb zur Kunst unter der winter¬
lichen Decke der Kärrnerarbeit gewaltsam hervorbrechen würde, war es auch
nicht viel anders. Am Ende dieser Zeit sagt er in einem Briefe an den Wiener
Kritiker und Literarhistoriker Emil Kuh (6. Dezember 1874):
Meine Faulheit, von der Sie nachsichtig schrieben, ist eine ganz seltsame patho¬
logische Arbeitsscheu in xuneto littoris. Wenn ich daran bin, so kann ich große
Stücke hintereinander wegarbeiten bei Tag und Nacht. Aber ich scheue mich
oft Wochen-, monnte-, jahrelang, den nngefangneu Bogen aus seinem Verstecke
hervorzuuehmeu und auf den Tisch zu legen; es ist, als ob ich diese einfache erste
Manipulation fürchtete, ärgere mich darüber und kann doch nicht anders. Während-
dessen geht aber das Sinnen und Spintisiren immer fort, und indem ich Neues
aufhenke, kaun ich genau um abgebrochnen Satz des Alten fortfahren, wenn mir das
Papier erst glücklich wieder daliegt.
Dramatisches kann ich Ihnen, nichts mitteilen, da nur wenige Aufzeichnungen
und einige zerstreute Szenen dn sind. Diese Sache ist so beschaffen, daß sie mir
zu wichtig ist, um so im voraus davon zu naschen und wieder aufzuhören. . . .
Ich bin jetzt os Jahr alt; in eiueiu Jahre etwa deute ich mit dem Erzähluugs-
wesen abzuschließen und dann auf frischem Tisch das Drama vorzunehmen jist nie
geschehen!s, wobei es einzig darauf ankommt, ob ich noch fünf bis acht Jahre fähig
bleibe. Das Altern ist ja bei jedem verschieden. Ich habe den Aberglauben, daß
jeder irgend einmal macht, was ihm zukommt, früh oder spät, wen» er nur leben
bleibt. Kommts nicht drzu, so ists auch Wurst.
Gedruckt war 1860 nur das „Fähnlein der sieben Aufrechten" in Auer-
bachs Kalender auf dessen Bitten, eine der besten Kellerschen Erzählungen, die
fpüter in die „Züricher Novellen" überging. Im Entstehen aber war mancherlei,
wovon die Briefe Zeugnis geben. Da wurde an den „Leuten von Seldwyla"
weiter gearbeitet, wo er „die Freude an seinem Vaterlande mit einer heilsamen
Kritik verbinden" wollte; und auch das „Sinngedicht" schwebte ihm schon
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |