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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

entschließen, diese entscheidenden Lehrjahre abzubrechen. Zuletzt hielten ihn
auch die Schulden und der Wunsch, endlich seinen Verpflichtungen nachkommen
zu können. Deshalb vertröstete er die Mutter (Juli 1852):

Freilich fällt es mir schwer muss Herz, wenn ich denke, daß du und Regula
zugleich darunter leiden, und daß Euch beiden darüber die Jahre vergehen. Allein
ich kann meine Natur nicht ändern, und wenn ich einst mir einige Ehre erwerbe,
so habt Ihr den grüßten Anteil daran durch Eure stille Geduld.' Ich will Euch
übrigens nicht weiter mi't schönen Worten abspeisen und mir bitten, noch ein klein
wenig auszuharren.

Es dauerte freilich noch an die drei Jahre, bis er, durch gute Freunde
von seinen Schuldnern gelöst, heimkehrte. Sein Selbstbewußtsein hatte er
dabei nicht verloren, wie er denn überhaupt immer sich selbst nicht minder
klar beurteilte als die Verhältnisse. Im Februar 1855 schreibt er an die
Mutter:

Wenn ich erst einmal in Zürich bin, so wird man schon sehen, wer ich bin,
und daß nur nicht so zur Not und aus Gnade mir ein Unterkommen zu gewähren
braucht. Ich mache jetzt ein ganz andres Gesicht, als wie ich vor sechs Jahren
so traurig abzog. Brauchbare und tüchtige Leute kann man überall brauchen; und
wenn sie es dort nicht können, so ist die Welt weit. Hier in Berlin gelte ich als
ein ordentlicher (soll heißen tüchtiger) Kerl, und alle Leute sagen mir, ich solle hier
bleiben. Dies werde ich natürlich nicht thun, und vorzüglich Deinetwegen und
meiner Schwester wegen.

Es handelte sich damals um eine Anstellung als Lehrer der Litteratur-
und Kunstgeschichte an einem neu zu gründenden Polhtcchnikum in Zürich.
Gute Freunde in der Heimat hofften, ihm die Stelle verschaffen zu können.
Aber Keller lehnte trotz seiner bedrängten Lage ab, weil er fürchtete, daß ihn
diese Arbeit seinem Dichterberufe entziehen und ihm auch wirtschaftlich nur
Nachteil bringen würde. So sicher war er, daß nun endlich die Produktion
und der pekuniäre Erfolg kommen müßten. In diesem Bewußtsein kehrte er
im Dezember 1855 nach Zürich zurück, um dort fortan seinen Wohnsitz zu
nehmen. An litterarischer Ausbeute brachte er zwar nichts Dramatisches, aber
seinen Jugendroman, ein neues Bändchen Gedichte und die ersten Bogen seiner
Novellen mit.

Seine Lebensanschauung war jetzt nach allen Seiten gefestigt und ge¬
gründet; sie war durchaus eine diesseitige. Seinen alten Atheismus brachte
er aus der Fremde wieder mit, und wen" man sagt, daß er sich im spätern
Leben etwas gemildert habe, so lassen sich ans dem vorliegenden Material
keine Beweise dafür bringen. Ganz objektiv betrachtet, müßte eigentlich all¬
gemeine Übereinstimmung darüber herrschen, daß eine Weltanschauung, die alle
Vorgänge in der Welt und im Menschenleben nur im Lichte dieser Zeitlichkeit
betrachtet, die glaubt, daß alle Errungenschaften des Geistes mit der Leiblich¬
st in Staub zerfallen, daß es ganz gleich sei für den Ausgang, wie ein


Gottfried Keller und seine Novellen

entschließen, diese entscheidenden Lehrjahre abzubrechen. Zuletzt hielten ihn
auch die Schulden und der Wunsch, endlich seinen Verpflichtungen nachkommen
zu können. Deshalb vertröstete er die Mutter (Juli 1852):

Freilich fällt es mir schwer muss Herz, wenn ich denke, daß du und Regula
zugleich darunter leiden, und daß Euch beiden darüber die Jahre vergehen. Allein
ich kann meine Natur nicht ändern, und wenn ich einst mir einige Ehre erwerbe,
so habt Ihr den grüßten Anteil daran durch Eure stille Geduld.' Ich will Euch
übrigens nicht weiter mi't schönen Worten abspeisen und mir bitten, noch ein klein
wenig auszuharren.

Es dauerte freilich noch an die drei Jahre, bis er, durch gute Freunde
von seinen Schuldnern gelöst, heimkehrte. Sein Selbstbewußtsein hatte er
dabei nicht verloren, wie er denn überhaupt immer sich selbst nicht minder
klar beurteilte als die Verhältnisse. Im Februar 1855 schreibt er an die
Mutter:

Wenn ich erst einmal in Zürich bin, so wird man schon sehen, wer ich bin,
und daß nur nicht so zur Not und aus Gnade mir ein Unterkommen zu gewähren
braucht. Ich mache jetzt ein ganz andres Gesicht, als wie ich vor sechs Jahren
so traurig abzog. Brauchbare und tüchtige Leute kann man überall brauchen; und
wenn sie es dort nicht können, so ist die Welt weit. Hier in Berlin gelte ich als
ein ordentlicher (soll heißen tüchtiger) Kerl, und alle Leute sagen mir, ich solle hier
bleiben. Dies werde ich natürlich nicht thun, und vorzüglich Deinetwegen und
meiner Schwester wegen.

Es handelte sich damals um eine Anstellung als Lehrer der Litteratur-
und Kunstgeschichte an einem neu zu gründenden Polhtcchnikum in Zürich.
Gute Freunde in der Heimat hofften, ihm die Stelle verschaffen zu können.
Aber Keller lehnte trotz seiner bedrängten Lage ab, weil er fürchtete, daß ihn
diese Arbeit seinem Dichterberufe entziehen und ihm auch wirtschaftlich nur
Nachteil bringen würde. So sicher war er, daß nun endlich die Produktion
und der pekuniäre Erfolg kommen müßten. In diesem Bewußtsein kehrte er
im Dezember 1855 nach Zürich zurück, um dort fortan seinen Wohnsitz zu
nehmen. An litterarischer Ausbeute brachte er zwar nichts Dramatisches, aber
seinen Jugendroman, ein neues Bändchen Gedichte und die ersten Bogen seiner
Novellen mit.

Seine Lebensanschauung war jetzt nach allen Seiten gefestigt und ge¬
gründet; sie war durchaus eine diesseitige. Seinen alten Atheismus brachte
er aus der Fremde wieder mit, und wen» man sagt, daß er sich im spätern
Leben etwas gemildert habe, so lassen sich ans dem vorliegenden Material
keine Beweise dafür bringen. Ganz objektiv betrachtet, müßte eigentlich all¬
gemeine Übereinstimmung darüber herrschen, daß eine Weltanschauung, die alle
Vorgänge in der Welt und im Menschenleben nur im Lichte dieser Zeitlichkeit
betrachtet, die glaubt, daß alle Errungenschaften des Geistes mit der Leiblich¬
st in Staub zerfallen, daß es ganz gleich sei für den Ausgang, wie ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/503>, abgerufen am 29.06.2024.