Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gottfried Keller und seine Novellen

geben Zeugnis von seiner Auffassungsgabe und seiner treffenden Beurteilung.
Hettner schätzte manche seiner Auseinandersetzungen so hoch, daß er sie aus
seinen Briefen unmittelbar in sein Werk "Das moderne Drama" aufnahm.
Ich kann es mir nicht versagen, einiges andre, das sich auf sein Leben,
Denken und Arbeiten bezieht, hier mitzuteilen.

Als Entschuldigung seiner Unprodnktivitnt schreibt er an Hettner, als dieser
ihm Geld geborgt hatte (16. Juli 1853):

Ich bin leider keine Lorenz-Kindleins-Natur, *) welche bei Wasser und Sorgen
immer munter drauf losschreibt. Das verworrene Netz von Geldmangel, kleinen
Sorgen, tausend Verlegenheiten, in welches ich mich unvorsichtigerweise mit meinem
Eintritts in Deutschland verwickelte, wirft mich immer wieder zur Unthätigkeit zurück;
die Mühe, wenigstens der täglichen, Umgebung anständig und ehrlich zu erscheinen,
drängt die Sorge für die Entfernter" immer zurück; und die fortwährende Auf¬
regung, die man verbergen muß, diese tausend Nadelstiche absorbiren alle äußere
Produktivität, während freilich das Gefühl und die Kenntnis des Menschlichen an
Tiefe und Intensität gewinnen. Ich würde mir diese drei letzten Jahre später
nicht abkaufen lassen.

Über seine Thätigkeit in Berlin hatte er schon im Anfang seines Aufent¬
halts an Freiligrath geschrieben (22. September 1350):

Was ich denn eigentlich thue? Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß ich
immer allein bin, etwas schreibe, lese, sveknlire, düftle oder träume und die Zeit
abwarte, wo das rasche Fertigmachen endlich sich einstellen will; denn ich muß
Ihnen statt aller andern Aufklärung sagen, daß ich, schon ehe ich nach Heidelberg
la", in einer großen und trübseligen Mauser begriffen war, herbeigeführt durch
mehrere Verhältnisse. Dieser sonderbare Zustand ist endlich im Verschwinden.
Statt der Federn, welche den Vögeln während der Mauser ausgehen, sind mir alte
Freunde ausgegnugeu, nud neue haben sich bereits augesetzt; und im ganzen bin
ich froh, daß ich dreißig Jahre alt geworden bin, ohne schon zehn Bände hinter
mir zu haben, die ich nur widerrufen müßte.

Ein Jahr später schreibt er:

Berlin hat mir viel genützt, obgleich ich es uicht liebe; denn das Volt ist mir
zuwider. Im Winter fregueutirte ich einige Zirkel, z. B. den der Fanny Lewald,
fand aber das Treiben und Gebähren der Leute so unangenehm und trivial, daß
ich bald wieder wegblieb. Hingegen giebt es treffliche Leute, die im Stillen leben
und nicht viel Geräusch machen, sowie mich überhaupt hier einem immer etwas
anfliegt, Ums man in den kleinen Städten Deutschlands nicht hat. Ein reger
geistiger Verkehr, mag er noch so verkehrt sein, regt den Einzelnen immer vorteil¬
haft an. Doch sehne ich mich recht herzlich einmal nach Hause und wünsche Berlin
zum Teufel.

Diese Sehnsucht nach seiner Schweizerheimat wuchs von Jahr zu Jahr.
Dazu kam, daß die Mutter und die Schwester, die er oft lange ohne Nachricht
ließ, auf Heimkehr drangen. Aber trotz aller Not konnte sich Keller nur schwer



"Lorenz Kindlein, die Jnnunerfigur in KotzebueZ Armem Poeten," Baechtold.
Gottfried Keller und seine Novellen

geben Zeugnis von seiner Auffassungsgabe und seiner treffenden Beurteilung.
Hettner schätzte manche seiner Auseinandersetzungen so hoch, daß er sie aus
seinen Briefen unmittelbar in sein Werk „Das moderne Drama" aufnahm.
Ich kann es mir nicht versagen, einiges andre, das sich auf sein Leben,
Denken und Arbeiten bezieht, hier mitzuteilen.

Als Entschuldigung seiner Unprodnktivitnt schreibt er an Hettner, als dieser
ihm Geld geborgt hatte (16. Juli 1853):

Ich bin leider keine Lorenz-Kindleins-Natur, *) welche bei Wasser und Sorgen
immer munter drauf losschreibt. Das verworrene Netz von Geldmangel, kleinen
Sorgen, tausend Verlegenheiten, in welches ich mich unvorsichtigerweise mit meinem
Eintritts in Deutschland verwickelte, wirft mich immer wieder zur Unthätigkeit zurück;
die Mühe, wenigstens der täglichen, Umgebung anständig und ehrlich zu erscheinen,
drängt die Sorge für die Entfernter» immer zurück; und die fortwährende Auf¬
regung, die man verbergen muß, diese tausend Nadelstiche absorbiren alle äußere
Produktivität, während freilich das Gefühl und die Kenntnis des Menschlichen an
Tiefe und Intensität gewinnen. Ich würde mir diese drei letzten Jahre später
nicht abkaufen lassen.

Über seine Thätigkeit in Berlin hatte er schon im Anfang seines Aufent¬
halts an Freiligrath geschrieben (22. September 1350):

Was ich denn eigentlich thue? Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß ich
immer allein bin, etwas schreibe, lese, sveknlire, düftle oder träume und die Zeit
abwarte, wo das rasche Fertigmachen endlich sich einstellen will; denn ich muß
Ihnen statt aller andern Aufklärung sagen, daß ich, schon ehe ich nach Heidelberg
la», in einer großen und trübseligen Mauser begriffen war, herbeigeführt durch
mehrere Verhältnisse. Dieser sonderbare Zustand ist endlich im Verschwinden.
Statt der Federn, welche den Vögeln während der Mauser ausgehen, sind mir alte
Freunde ausgegnugeu, nud neue haben sich bereits augesetzt; und im ganzen bin
ich froh, daß ich dreißig Jahre alt geworden bin, ohne schon zehn Bände hinter
mir zu haben, die ich nur widerrufen müßte.

Ein Jahr später schreibt er:

Berlin hat mir viel genützt, obgleich ich es uicht liebe; denn das Volt ist mir
zuwider. Im Winter fregueutirte ich einige Zirkel, z. B. den der Fanny Lewald,
fand aber das Treiben und Gebähren der Leute so unangenehm und trivial, daß
ich bald wieder wegblieb. Hingegen giebt es treffliche Leute, die im Stillen leben
und nicht viel Geräusch machen, sowie mich überhaupt hier einem immer etwas
anfliegt, Ums man in den kleinen Städten Deutschlands nicht hat. Ein reger
geistiger Verkehr, mag er noch so verkehrt sein, regt den Einzelnen immer vorteil¬
haft an. Doch sehne ich mich recht herzlich einmal nach Hause und wünsche Berlin
zum Teufel.

Diese Sehnsucht nach seiner Schweizerheimat wuchs von Jahr zu Jahr.
Dazu kam, daß die Mutter und die Schwester, die er oft lange ohne Nachricht
ließ, auf Heimkehr drangen. Aber trotz aller Not konnte sich Keller nur schwer



„Lorenz Kindlein, die Jnnunerfigur in KotzebueZ Armem Poeten," Baechtold.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224748"/>
          <fw type="header" place="top"> Gottfried Keller und seine Novellen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1494" prev="#ID_1493"> geben Zeugnis von seiner Auffassungsgabe und seiner treffenden Beurteilung.<lb/>
Hettner schätzte manche seiner Auseinandersetzungen so hoch, daß er sie aus<lb/>
seinen Briefen unmittelbar in sein Werk &#x201E;Das moderne Drama" aufnahm.<lb/>
Ich kann es mir nicht versagen, einiges andre, das sich auf sein Leben,<lb/>
Denken und Arbeiten bezieht, hier mitzuteilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1495"> Als Entschuldigung seiner Unprodnktivitnt schreibt er an Hettner, als dieser<lb/>
ihm Geld geborgt hatte (16. Juli 1853):</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1496"> Ich bin leider keine Lorenz-Kindleins-Natur, *) welche bei Wasser und Sorgen<lb/>
immer munter drauf losschreibt. Das verworrene Netz von Geldmangel, kleinen<lb/>
Sorgen, tausend Verlegenheiten, in welches ich mich unvorsichtigerweise mit meinem<lb/>
Eintritts in Deutschland verwickelte, wirft mich immer wieder zur Unthätigkeit zurück;<lb/>
die Mühe, wenigstens der täglichen, Umgebung anständig und ehrlich zu erscheinen,<lb/>
drängt die Sorge für die Entfernter» immer zurück; und die fortwährende Auf¬<lb/>
regung, die man verbergen muß, diese tausend Nadelstiche absorbiren alle äußere<lb/>
Produktivität, während freilich das Gefühl und die Kenntnis des Menschlichen an<lb/>
Tiefe und Intensität gewinnen. Ich würde mir diese drei letzten Jahre später<lb/>
nicht abkaufen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1497"> Über seine Thätigkeit in Berlin hatte er schon im Anfang seines Aufent¬<lb/>
halts an Freiligrath geschrieben (22. September 1350):</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1498"> Was ich denn eigentlich thue? Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß ich<lb/>
immer allein bin, etwas schreibe, lese, sveknlire, düftle oder träume und die Zeit<lb/>
abwarte, wo das rasche Fertigmachen endlich sich einstellen will; denn ich muß<lb/>
Ihnen statt aller andern Aufklärung sagen, daß ich, schon ehe ich nach Heidelberg<lb/>
la», in einer großen und trübseligen Mauser begriffen war, herbeigeführt durch<lb/>
mehrere Verhältnisse. Dieser sonderbare Zustand ist endlich im Verschwinden.<lb/>
Statt der Federn, welche den Vögeln während der Mauser ausgehen, sind mir alte<lb/>
Freunde ausgegnugeu, nud neue haben sich bereits augesetzt; und im ganzen bin<lb/>
ich froh, daß ich dreißig Jahre alt geworden bin, ohne schon zehn Bände hinter<lb/>
mir zu haben, die ich nur widerrufen müßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1499"> Ein Jahr später schreibt er:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1500"> Berlin hat mir viel genützt, obgleich ich es uicht liebe; denn das Volt ist mir<lb/>
zuwider. Im Winter fregueutirte ich einige Zirkel, z. B. den der Fanny Lewald,<lb/>
fand aber das Treiben und Gebähren der Leute so unangenehm und trivial, daß<lb/>
ich bald wieder wegblieb. Hingegen giebt es treffliche Leute, die im Stillen leben<lb/>
und nicht viel Geräusch machen, sowie mich überhaupt hier einem immer etwas<lb/>
anfliegt, Ums man in den kleinen Städten Deutschlands nicht hat. Ein reger<lb/>
geistiger Verkehr, mag er noch so verkehrt sein, regt den Einzelnen immer vorteil¬<lb/>
haft an. Doch sehne ich mich recht herzlich einmal nach Hause und wünsche Berlin<lb/>
zum Teufel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Diese Sehnsucht nach seiner Schweizerheimat wuchs von Jahr zu Jahr.<lb/>
Dazu kam, daß die Mutter und die Schwester, die er oft lange ohne Nachricht<lb/>
ließ, auf Heimkehr drangen. Aber trotz aller Not konnte sich Keller nur schwer</p><lb/>
          <note xml:id="FID_47" place="foot"> &#x201E;Lorenz Kindlein, die Jnnunerfigur in KotzebueZ Armem Poeten," Baechtold.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] Gottfried Keller und seine Novellen geben Zeugnis von seiner Auffassungsgabe und seiner treffenden Beurteilung. Hettner schätzte manche seiner Auseinandersetzungen so hoch, daß er sie aus seinen Briefen unmittelbar in sein Werk „Das moderne Drama" aufnahm. Ich kann es mir nicht versagen, einiges andre, das sich auf sein Leben, Denken und Arbeiten bezieht, hier mitzuteilen. Als Entschuldigung seiner Unprodnktivitnt schreibt er an Hettner, als dieser ihm Geld geborgt hatte (16. Juli 1853): Ich bin leider keine Lorenz-Kindleins-Natur, *) welche bei Wasser und Sorgen immer munter drauf losschreibt. Das verworrene Netz von Geldmangel, kleinen Sorgen, tausend Verlegenheiten, in welches ich mich unvorsichtigerweise mit meinem Eintritts in Deutschland verwickelte, wirft mich immer wieder zur Unthätigkeit zurück; die Mühe, wenigstens der täglichen, Umgebung anständig und ehrlich zu erscheinen, drängt die Sorge für die Entfernter» immer zurück; und die fortwährende Auf¬ regung, die man verbergen muß, diese tausend Nadelstiche absorbiren alle äußere Produktivität, während freilich das Gefühl und die Kenntnis des Menschlichen an Tiefe und Intensität gewinnen. Ich würde mir diese drei letzten Jahre später nicht abkaufen lassen. Über seine Thätigkeit in Berlin hatte er schon im Anfang seines Aufent¬ halts an Freiligrath geschrieben (22. September 1350): Was ich denn eigentlich thue? Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß ich immer allein bin, etwas schreibe, lese, sveknlire, düftle oder träume und die Zeit abwarte, wo das rasche Fertigmachen endlich sich einstellen will; denn ich muß Ihnen statt aller andern Aufklärung sagen, daß ich, schon ehe ich nach Heidelberg la», in einer großen und trübseligen Mauser begriffen war, herbeigeführt durch mehrere Verhältnisse. Dieser sonderbare Zustand ist endlich im Verschwinden. Statt der Federn, welche den Vögeln während der Mauser ausgehen, sind mir alte Freunde ausgegnugeu, nud neue haben sich bereits augesetzt; und im ganzen bin ich froh, daß ich dreißig Jahre alt geworden bin, ohne schon zehn Bände hinter mir zu haben, die ich nur widerrufen müßte. Ein Jahr später schreibt er: Berlin hat mir viel genützt, obgleich ich es uicht liebe; denn das Volt ist mir zuwider. Im Winter fregueutirte ich einige Zirkel, z. B. den der Fanny Lewald, fand aber das Treiben und Gebähren der Leute so unangenehm und trivial, daß ich bald wieder wegblieb. Hingegen giebt es treffliche Leute, die im Stillen leben und nicht viel Geräusch machen, sowie mich überhaupt hier einem immer etwas anfliegt, Ums man in den kleinen Städten Deutschlands nicht hat. Ein reger geistiger Verkehr, mag er noch so verkehrt sein, regt den Einzelnen immer vorteil¬ haft an. Doch sehne ich mich recht herzlich einmal nach Hause und wünsche Berlin zum Teufel. Diese Sehnsucht nach seiner Schweizerheimat wuchs von Jahr zu Jahr. Dazu kam, daß die Mutter und die Schwester, die er oft lange ohne Nachricht ließ, auf Heimkehr drangen. Aber trotz aller Not konnte sich Keller nur schwer „Lorenz Kindlein, die Jnnunerfigur in KotzebueZ Armem Poeten," Baechtold.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/502>, abgerufen am 29.06.2024.