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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

laug als möglich aufmerksam und treu bleibe"; aber der innerste, heiße Hunger des
Herzens hat davon nichts, bei mir wenigstens nicht.

In Beziehung auf Frauen ist es etwas andres; aber auch da muß ich, wenn
ich für eine einzelne eine recht hingebende Freundschaft bekommen soll, zuerst geliebt
haben, oder vielmehr, ich kenne hier keinen Unterschied zwischen beiden Neigungen,
und das Wohlwollen, das ich für die Frauen im allgemeinen empfinde, ist durchaus
keine Freundschaft, wenn sie mir auch "och so nahe stehen: es ist nnr Artigkeit.

Zu dieser Nüchternheit in der Auffassung jener idealen Lebensmächte paßt
auch, was er an Freiligrath über einen beabsichtigten Besuch des Kölner Doms
schreibt (4. April 1850): "Wir wollen mit Interesse in der wackern Ruine
herumsteigen; wenn ich mich anch um den illusorischen Inhaber des Gebäudes
nicht viel kümmere, so leide ich doch noch genugsam an Germanomanie, um
mich an dem leeren Hause zu freuen. Ich habe schon so manche schöne Schale
ohne Kern begafft, daß diese auch noch hingehen mag." Daß in diesen Worten
etwa dem revolutionären Freiligrath gegenüber eine Art Renommisterei liegen
sollte, ist unwahrscheinlich. Keller macht überall den Eindruck eines durchweg
geraden, ehrlichen Menschen, der immer sagte, was er empfand. Es läßt sich
wohl auch kein Beweis dafür bringen, daß er für Architektur und bildende
Kunst überhaupt irgend ein tieferes Verständnis gehabt habe.

Die Heidelberger Zeit ging zu Ende. Was sie ihm gewesen war, sagt
er in einem unvollendeten Brief: "Ich habe hier ein seltsames Jahr verlebt.
Ich kann eben nicht sagen, daß ich sehr gelehrt worden bin, aber das
Wenige, was ich gelernt habe, hat so gut in die äußern Erfahrungen einge¬
griffen, so viel Inneres mir aufgeschlossen, ich habe mein Selbst, welches in
allerlei kleinen Passionen und Dingen von eitlem Geschmacke anfangen wollte
zu verschwimmen, herausgerettet und sozusagen neu entdeckt und hergestellt,
während ich doch meiner Natur nach der Alte geblieben bin, ich habe endlich
meine sonderbare Jugend (ich bin diesen Sommer dreißig Jahre alt ge¬
worden) so rund abgeschlossen, daß ich dies Jahr nicht zu meinen schlechtesten
zähle."

Allmählich war in ihm der Wunsch rege geworden, nach Berlin zu gehen.
Dieser Wunsch hing zusammen mit seiner Absicht, sich der dramatischen Dicht¬
kunst zu widmen. Drum wollte er dort den Besuch des Theaters mit den
nötigen Geschichtsstudien verbinden und möglichst bald ein Drama zu Wege
bringen, weil er meinte, daß "von allen litterarischen Thätigkeiten diejenige
des Dramatikers ihren Man" gegenwärtig noch am besten hält."

Im Jahre 1850 ging Keller nach Berlin, wo er fast sechs Jahre (chis
zum Dezember 1855) blieb. Alle Nöte des Lebens, Hunger, Krankheit und
Einsamkeit hat er hier durchgekostet. Denn die wenigen Mittel, die ihm zu¬
flössen, und die seine Mutter mit den größten Opfern aufbrachte, reichten nicht
hin, auch nur die notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen. Einmal wollte


Gottfried Keller und seine Novellen

laug als möglich aufmerksam und treu bleibe»; aber der innerste, heiße Hunger des
Herzens hat davon nichts, bei mir wenigstens nicht.

In Beziehung auf Frauen ist es etwas andres; aber auch da muß ich, wenn
ich für eine einzelne eine recht hingebende Freundschaft bekommen soll, zuerst geliebt
haben, oder vielmehr, ich kenne hier keinen Unterschied zwischen beiden Neigungen,
und das Wohlwollen, das ich für die Frauen im allgemeinen empfinde, ist durchaus
keine Freundschaft, wenn sie mir auch »och so nahe stehen: es ist nnr Artigkeit.

Zu dieser Nüchternheit in der Auffassung jener idealen Lebensmächte paßt
auch, was er an Freiligrath über einen beabsichtigten Besuch des Kölner Doms
schreibt (4. April 1850): „Wir wollen mit Interesse in der wackern Ruine
herumsteigen; wenn ich mich anch um den illusorischen Inhaber des Gebäudes
nicht viel kümmere, so leide ich doch noch genugsam an Germanomanie, um
mich an dem leeren Hause zu freuen. Ich habe schon so manche schöne Schale
ohne Kern begafft, daß diese auch noch hingehen mag." Daß in diesen Worten
etwa dem revolutionären Freiligrath gegenüber eine Art Renommisterei liegen
sollte, ist unwahrscheinlich. Keller macht überall den Eindruck eines durchweg
geraden, ehrlichen Menschen, der immer sagte, was er empfand. Es läßt sich
wohl auch kein Beweis dafür bringen, daß er für Architektur und bildende
Kunst überhaupt irgend ein tieferes Verständnis gehabt habe.

Die Heidelberger Zeit ging zu Ende. Was sie ihm gewesen war, sagt
er in einem unvollendeten Brief: „Ich habe hier ein seltsames Jahr verlebt.
Ich kann eben nicht sagen, daß ich sehr gelehrt worden bin, aber das
Wenige, was ich gelernt habe, hat so gut in die äußern Erfahrungen einge¬
griffen, so viel Inneres mir aufgeschlossen, ich habe mein Selbst, welches in
allerlei kleinen Passionen und Dingen von eitlem Geschmacke anfangen wollte
zu verschwimmen, herausgerettet und sozusagen neu entdeckt und hergestellt,
während ich doch meiner Natur nach der Alte geblieben bin, ich habe endlich
meine sonderbare Jugend (ich bin diesen Sommer dreißig Jahre alt ge¬
worden) so rund abgeschlossen, daß ich dies Jahr nicht zu meinen schlechtesten
zähle."

Allmählich war in ihm der Wunsch rege geworden, nach Berlin zu gehen.
Dieser Wunsch hing zusammen mit seiner Absicht, sich der dramatischen Dicht¬
kunst zu widmen. Drum wollte er dort den Besuch des Theaters mit den
nötigen Geschichtsstudien verbinden und möglichst bald ein Drama zu Wege
bringen, weil er meinte, daß „von allen litterarischen Thätigkeiten diejenige
des Dramatikers ihren Man» gegenwärtig noch am besten hält."

Im Jahre 1850 ging Keller nach Berlin, wo er fast sechs Jahre (chis
zum Dezember 1855) blieb. Alle Nöte des Lebens, Hunger, Krankheit und
Einsamkeit hat er hier durchgekostet. Denn die wenigen Mittel, die ihm zu¬
flössen, und die seine Mutter mit den größten Opfern aufbrachte, reichten nicht
hin, auch nur die notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen. Einmal wollte


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[0499] Gottfried Keller und seine Novellen laug als möglich aufmerksam und treu bleibe»; aber der innerste, heiße Hunger des Herzens hat davon nichts, bei mir wenigstens nicht. In Beziehung auf Frauen ist es etwas andres; aber auch da muß ich, wenn ich für eine einzelne eine recht hingebende Freundschaft bekommen soll, zuerst geliebt haben, oder vielmehr, ich kenne hier keinen Unterschied zwischen beiden Neigungen, und das Wohlwollen, das ich für die Frauen im allgemeinen empfinde, ist durchaus keine Freundschaft, wenn sie mir auch »och so nahe stehen: es ist nnr Artigkeit. Zu dieser Nüchternheit in der Auffassung jener idealen Lebensmächte paßt auch, was er an Freiligrath über einen beabsichtigten Besuch des Kölner Doms schreibt (4. April 1850): „Wir wollen mit Interesse in der wackern Ruine herumsteigen; wenn ich mich anch um den illusorischen Inhaber des Gebäudes nicht viel kümmere, so leide ich doch noch genugsam an Germanomanie, um mich an dem leeren Hause zu freuen. Ich habe schon so manche schöne Schale ohne Kern begafft, daß diese auch noch hingehen mag." Daß in diesen Worten etwa dem revolutionären Freiligrath gegenüber eine Art Renommisterei liegen sollte, ist unwahrscheinlich. Keller macht überall den Eindruck eines durchweg geraden, ehrlichen Menschen, der immer sagte, was er empfand. Es läßt sich wohl auch kein Beweis dafür bringen, daß er für Architektur und bildende Kunst überhaupt irgend ein tieferes Verständnis gehabt habe. Die Heidelberger Zeit ging zu Ende. Was sie ihm gewesen war, sagt er in einem unvollendeten Brief: „Ich habe hier ein seltsames Jahr verlebt. Ich kann eben nicht sagen, daß ich sehr gelehrt worden bin, aber das Wenige, was ich gelernt habe, hat so gut in die äußern Erfahrungen einge¬ griffen, so viel Inneres mir aufgeschlossen, ich habe mein Selbst, welches in allerlei kleinen Passionen und Dingen von eitlem Geschmacke anfangen wollte zu verschwimmen, herausgerettet und sozusagen neu entdeckt und hergestellt, während ich doch meiner Natur nach der Alte geblieben bin, ich habe endlich meine sonderbare Jugend (ich bin diesen Sommer dreißig Jahre alt ge¬ worden) so rund abgeschlossen, daß ich dies Jahr nicht zu meinen schlechtesten zähle." Allmählich war in ihm der Wunsch rege geworden, nach Berlin zu gehen. Dieser Wunsch hing zusammen mit seiner Absicht, sich der dramatischen Dicht¬ kunst zu widmen. Drum wollte er dort den Besuch des Theaters mit den nötigen Geschichtsstudien verbinden und möglichst bald ein Drama zu Wege bringen, weil er meinte, daß „von allen litterarischen Thätigkeiten diejenige des Dramatikers ihren Man» gegenwärtig noch am besten hält." Im Jahre 1850 ging Keller nach Berlin, wo er fast sechs Jahre (chis zum Dezember 1855) blieb. Alle Nöte des Lebens, Hunger, Krankheit und Einsamkeit hat er hier durchgekostet. Denn die wenigen Mittel, die ihm zu¬ flössen, und die seine Mutter mit den größten Opfern aufbrachte, reichten nicht hin, auch nur die notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen. Einmal wollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/499>, abgerufen am 27.09.2024.