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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Pan in Dresden und München

Vier Seiten daraus und schreibt darüber "Aufschwung." Wenn nun wenigstens
nur Feinheiten der Sprache in solchen Spielereien zu Tage träten! "Mir
ist, als fielen alle Schlacken ab der kleinen Menschlichkeit" -- verehrter Herr,
was für ein Unsinn! -- Aber es wird noch schöner. In einer "Novelle,"
"Das Wunderbare" genannt, erzählt jemand einem andern, wie er von einem
Gebirgsaufenthalt aus in einen am Wasser gelegnen Schloßgarten geraten sei
und dann mit der blassen, geheimnisvollen schonen Schloßherrin wochenlang
gelebt habe, ohne von ihr andres zu empfangen, als Beweise fürstlicher Gast-
freundschaft und unverständliche Bruchstücke einer wunderlichen, aus tiefe Krank¬
heit deutenden Gedankenmitteilung. Endlich, nach zehn Quartseiten, scheint ihm
der Zustand doch keiner Entwicklung mehr fähig und zwecklos. Er reist ab
und weiß bis auf den heutigen Tag nicht, was eigentlich an diesem Erlebnis
einen so bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht hat, und seine Leser natürlich
erst recht nicht. Wohl aber werden sie denken, der junge Mann hätte doch
erst die Sekunda eines Gymnasiums durchmachen müssen, wo man guten
Anfsatzunterricht erhält, wenn sie folgende Stilblüten genossen haben werden.
Meines Freundes Sorge um seine Familie "mußte ihn seit langem verhindert
haben, das innere Ich zu beschäftigen und zu bilden, von dessen Pflege ich
meinerseits niemals eine ernstliche Abhaltung^!) erfahren hatte." -- "Das Mond¬
licht, dem ein ganz leichter Nebel seine Kälte nahm, ließ eine Seite der hohen,
grüne Sales!) bildenden Bosketts zauberhaft erglänzen, um die andern in desto
tieferes Dunkel zu stürzen" (ein merkwürdiges, ungemein vielseitiges Mondlicht). --
"Der Kahn erwies sich als morsch und schlecht in Stand gehalten, aber wenigstens
würde(?) mir niemand seine Benutzung verwehren." -- "Und wenn mir diese
Schönheit und ihr ganzes Walten urweltlich und traumhaft deuchte, so konnte
es doch nicht den Grund haben, daß sie sich vor mir in Szene setzte. Ganz
im Gegenteil blieb sie oft genug unachtsam für meine Anwesenheit." Der
geschätzte Leser wird dies für eine Übersetzung Karlchen Mießnicks aus dem
Englischen halten, aber es steht wörtlich in jener "Novelle" des Pan S. 200.
Ebenso dies: "Denn das Unbegreifliche war Leben geworden, und man
atmete in lauter Rätseln, die keine waren, weil keine noch so leise Frage sie
verriet." Welch ein Blödsinn! Und das will sür andre Leute "Novellen"
schreiben!

Ein andrer von diesen eigenartigen Schriftstellern sährt, um einem Lon¬
doner Sonntag zu entgehen, auf einem Dampfer die Themse hinunter aufs
Meer hinaus, sieht dann vor sich einen ebensolchen Dampfer, nur gelb ange¬
strichen, in dessen Kielwasser der seine fährt, sodaß wohl ein Zusammen¬
stoß zu denken wäre, wenn nicht die "gelbe Kröte" wahrscheinlich gar kein
Dampfer wäre, sondern vielleicht nur ein Phantasiebild des geistreichen Ver¬
fassers, der nun sechs Quartseiteu lang darüber faselt, welchen Eindruck dieses
seltsame Unbestimmte auf sein wertvolles Ich gemacht habe, und sich auf die


Grenzboten I 1897 58
Pan in Dresden und München

Vier Seiten daraus und schreibt darüber „Aufschwung." Wenn nun wenigstens
nur Feinheiten der Sprache in solchen Spielereien zu Tage träten! „Mir
ist, als fielen alle Schlacken ab der kleinen Menschlichkeit" — verehrter Herr,
was für ein Unsinn! — Aber es wird noch schöner. In einer „Novelle,"
„Das Wunderbare" genannt, erzählt jemand einem andern, wie er von einem
Gebirgsaufenthalt aus in einen am Wasser gelegnen Schloßgarten geraten sei
und dann mit der blassen, geheimnisvollen schonen Schloßherrin wochenlang
gelebt habe, ohne von ihr andres zu empfangen, als Beweise fürstlicher Gast-
freundschaft und unverständliche Bruchstücke einer wunderlichen, aus tiefe Krank¬
heit deutenden Gedankenmitteilung. Endlich, nach zehn Quartseiten, scheint ihm
der Zustand doch keiner Entwicklung mehr fähig und zwecklos. Er reist ab
und weiß bis auf den heutigen Tag nicht, was eigentlich an diesem Erlebnis
einen so bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht hat, und seine Leser natürlich
erst recht nicht. Wohl aber werden sie denken, der junge Mann hätte doch
erst die Sekunda eines Gymnasiums durchmachen müssen, wo man guten
Anfsatzunterricht erhält, wenn sie folgende Stilblüten genossen haben werden.
Meines Freundes Sorge um seine Familie „mußte ihn seit langem verhindert
haben, das innere Ich zu beschäftigen und zu bilden, von dessen Pflege ich
meinerseits niemals eine ernstliche Abhaltung^!) erfahren hatte." — „Das Mond¬
licht, dem ein ganz leichter Nebel seine Kälte nahm, ließ eine Seite der hohen,
grüne Sales!) bildenden Bosketts zauberhaft erglänzen, um die andern in desto
tieferes Dunkel zu stürzen" (ein merkwürdiges, ungemein vielseitiges Mondlicht). —
„Der Kahn erwies sich als morsch und schlecht in Stand gehalten, aber wenigstens
würde(?) mir niemand seine Benutzung verwehren." — „Und wenn mir diese
Schönheit und ihr ganzes Walten urweltlich und traumhaft deuchte, so konnte
es doch nicht den Grund haben, daß sie sich vor mir in Szene setzte. Ganz
im Gegenteil blieb sie oft genug unachtsam für meine Anwesenheit." Der
geschätzte Leser wird dies für eine Übersetzung Karlchen Mießnicks aus dem
Englischen halten, aber es steht wörtlich in jener „Novelle" des Pan S. 200.
Ebenso dies: „Denn das Unbegreifliche war Leben geworden, und man
atmete in lauter Rätseln, die keine waren, weil keine noch so leise Frage sie
verriet." Welch ein Blödsinn! Und das will sür andre Leute „Novellen"
schreiben!

Ein andrer von diesen eigenartigen Schriftstellern sährt, um einem Lon¬
doner Sonntag zu entgehen, auf einem Dampfer die Themse hinunter aufs
Meer hinaus, sieht dann vor sich einen ebensolchen Dampfer, nur gelb ange¬
strichen, in dessen Kielwasser der seine fährt, sodaß wohl ein Zusammen¬
stoß zu denken wäre, wenn nicht die „gelbe Kröte" wahrscheinlich gar kein
Dampfer wäre, sondern vielleicht nur ein Phantasiebild des geistreichen Ver¬
fassers, der nun sechs Quartseiteu lang darüber faselt, welchen Eindruck dieses
seltsame Unbestimmte auf sein wertvolles Ich gemacht habe, und sich auf die


Grenzboten I 1897 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/465>, abgerufen am 26.06.2024.