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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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antraf und aufrüttelte, über die Sezession und ihre wohlgemeinte" und ver¬
ständlichen Absichten, endlich, was uns besonders interessirt hat, über den
Privatbau, das bürgerliche Wohnhaus und seine letzte Gestaltung. Hier scheint
München etwas gewonnen zu haben, indem die Baukunst in den Grundlagen
natürlich und zweckmäßig und im Schmuck möglichst geschichtlich zu verfahren
suchte, während doch alle andern großen Städte in den letzten Jahrzehnten
leider sehr verloren haben. Der Gegenstand ist so wichtig, daß er eingehende
Behandlung und Prüfung auf seine Ursachen hin wohl verdiente. Aber um
müssen wir uns zu der eigentlichen Kunst in München wenden. Sie wird uns
dargeboten in einer größern Zahl von landschaftlichen Radirungen oder Litho¬
graphien, von denen einige sehr unbedentend und skizzenhaft und des Veröffent-
lichens nicht wert sind, weniges ist gut (Halm, Motiv von der Reichenau,
Böcklin, komponirte Landschaft von italienischem Charakter) und nichts hervor¬
ragend. Ohnehin ist ja die Landschaft nicht das Sorgenkind unter den heutigen
Kunstaufgaben. Im Figürlichem aber kommen wir noch schlechter weg. Denn
da sitzen wir sofort im Münchner Karikaturenstil, wenn die Benennungen auch
nach etwas klingen. Z. B. "November, Originalradirung von Kirchner" heißt
ein steil ansteigender Weg mit hinausgehenden und herabkommenden Menschen,
denen die Kleider so um die Ohren fliegen, daß es für den Beschauer dasselbe
thut, ob er sie von vorn oder von hinten sieht. Eine schauderhafte bunte
Fratze in drei Farben (ziuuober, grün und lila) von W. Volz heißt "Salome,
Originallithographie." Von demselben erhalten wir noch sechs Kleinigkeiten,
Hexe, Nereide usw., die wenigstens ordentlich gezeichnet sind; mancher mag sie
in der Auffassung originell finden, für uns sind sie widerwärtig. Dazu noch
ein Blatt mit den wunderlichen "Ziergläsern" des als Nadirer verdienten
Professors Köppiug, die man schön findet und überall ausstellt, als ob mau
noch nie etwas von einem Stil gehört hätte und zeigen wollte, daß alles Geld
sür kunstgewerblichen Unterricht umsonst hinausgeworfen wäre, und wir sind am
Rande mit unsrer "Kunst." Kläglich! Oder soll uns vielleicht eine Lithographie
in vier Farben von Thoma, eine Schwarzwaldlandschaft, entschädigen, weil sie
einen Mann von bedeutendem Namen zum Urheber und ein technisch interessantes
Verfahre" zum Gegenstände hat? Die Kunstwissenschaft leitet uns dazu nu
mit umständlicher Belehrung. Aber als Kunst angesehen, ist es doch herz¬
lich wenig.

Wir haben kaum noch den Mut, unsre Leser um ihre Begleitung zu einem
Gang in das Lesekabinett des Pan zu bitten. Denn diese Lektüre ist noch um
vieles trübseliger als die Bilder. Dresden und München machten hier keinen
Unterschied, höchstens daß dort der unglückliche Nietzsche, weil er im Bereiche
des betreffenden, von dem Pan gezognen Kunstkreises wohnt, wieder einmal
gezeigt wird mit einigen Sprüchen Zarathustras und einem in Musik gesetzten
Gedicht. Übrigens Übersetzungen aus dem Schwedischen und Norwegischen:


antraf und aufrüttelte, über die Sezession und ihre wohlgemeinte» und ver¬
ständlichen Absichten, endlich, was uns besonders interessirt hat, über den
Privatbau, das bürgerliche Wohnhaus und seine letzte Gestaltung. Hier scheint
München etwas gewonnen zu haben, indem die Baukunst in den Grundlagen
natürlich und zweckmäßig und im Schmuck möglichst geschichtlich zu verfahren
suchte, während doch alle andern großen Städte in den letzten Jahrzehnten
leider sehr verloren haben. Der Gegenstand ist so wichtig, daß er eingehende
Behandlung und Prüfung auf seine Ursachen hin wohl verdiente. Aber um
müssen wir uns zu der eigentlichen Kunst in München wenden. Sie wird uns
dargeboten in einer größern Zahl von landschaftlichen Radirungen oder Litho¬
graphien, von denen einige sehr unbedentend und skizzenhaft und des Veröffent-
lichens nicht wert sind, weniges ist gut (Halm, Motiv von der Reichenau,
Böcklin, komponirte Landschaft von italienischem Charakter) und nichts hervor¬
ragend. Ohnehin ist ja die Landschaft nicht das Sorgenkind unter den heutigen
Kunstaufgaben. Im Figürlichem aber kommen wir noch schlechter weg. Denn
da sitzen wir sofort im Münchner Karikaturenstil, wenn die Benennungen auch
nach etwas klingen. Z. B. „November, Originalradirung von Kirchner" heißt
ein steil ansteigender Weg mit hinausgehenden und herabkommenden Menschen,
denen die Kleider so um die Ohren fliegen, daß es für den Beschauer dasselbe
thut, ob er sie von vorn oder von hinten sieht. Eine schauderhafte bunte
Fratze in drei Farben (ziuuober, grün und lila) von W. Volz heißt „Salome,
Originallithographie." Von demselben erhalten wir noch sechs Kleinigkeiten,
Hexe, Nereide usw., die wenigstens ordentlich gezeichnet sind; mancher mag sie
in der Auffassung originell finden, für uns sind sie widerwärtig. Dazu noch
ein Blatt mit den wunderlichen „Ziergläsern" des als Nadirer verdienten
Professors Köppiug, die man schön findet und überall ausstellt, als ob mau
noch nie etwas von einem Stil gehört hätte und zeigen wollte, daß alles Geld
sür kunstgewerblichen Unterricht umsonst hinausgeworfen wäre, und wir sind am
Rande mit unsrer „Kunst." Kläglich! Oder soll uns vielleicht eine Lithographie
in vier Farben von Thoma, eine Schwarzwaldlandschaft, entschädigen, weil sie
einen Mann von bedeutendem Namen zum Urheber und ein technisch interessantes
Verfahre» zum Gegenstände hat? Die Kunstwissenschaft leitet uns dazu nu
mit umständlicher Belehrung. Aber als Kunst angesehen, ist es doch herz¬
lich wenig.

Wir haben kaum noch den Mut, unsre Leser um ihre Begleitung zu einem
Gang in das Lesekabinett des Pan zu bitten. Denn diese Lektüre ist noch um
vieles trübseliger als die Bilder. Dresden und München machten hier keinen
Unterschied, höchstens daß dort der unglückliche Nietzsche, weil er im Bereiche
des betreffenden, von dem Pan gezognen Kunstkreises wohnt, wieder einmal
gezeigt wird mit einigen Sprüchen Zarathustras und einem in Musik gesetzten
Gedicht. Übrigens Übersetzungen aus dem Schwedischen und Norwegischen:


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[0463] antraf und aufrüttelte, über die Sezession und ihre wohlgemeinte» und ver¬ ständlichen Absichten, endlich, was uns besonders interessirt hat, über den Privatbau, das bürgerliche Wohnhaus und seine letzte Gestaltung. Hier scheint München etwas gewonnen zu haben, indem die Baukunst in den Grundlagen natürlich und zweckmäßig und im Schmuck möglichst geschichtlich zu verfahren suchte, während doch alle andern großen Städte in den letzten Jahrzehnten leider sehr verloren haben. Der Gegenstand ist so wichtig, daß er eingehende Behandlung und Prüfung auf seine Ursachen hin wohl verdiente. Aber um müssen wir uns zu der eigentlichen Kunst in München wenden. Sie wird uns dargeboten in einer größern Zahl von landschaftlichen Radirungen oder Litho¬ graphien, von denen einige sehr unbedentend und skizzenhaft und des Veröffent- lichens nicht wert sind, weniges ist gut (Halm, Motiv von der Reichenau, Böcklin, komponirte Landschaft von italienischem Charakter) und nichts hervor¬ ragend. Ohnehin ist ja die Landschaft nicht das Sorgenkind unter den heutigen Kunstaufgaben. Im Figürlichem aber kommen wir noch schlechter weg. Denn da sitzen wir sofort im Münchner Karikaturenstil, wenn die Benennungen auch nach etwas klingen. Z. B. „November, Originalradirung von Kirchner" heißt ein steil ansteigender Weg mit hinausgehenden und herabkommenden Menschen, denen die Kleider so um die Ohren fliegen, daß es für den Beschauer dasselbe thut, ob er sie von vorn oder von hinten sieht. Eine schauderhafte bunte Fratze in drei Farben (ziuuober, grün und lila) von W. Volz heißt „Salome, Originallithographie." Von demselben erhalten wir noch sechs Kleinigkeiten, Hexe, Nereide usw., die wenigstens ordentlich gezeichnet sind; mancher mag sie in der Auffassung originell finden, für uns sind sie widerwärtig. Dazu noch ein Blatt mit den wunderlichen „Ziergläsern" des als Nadirer verdienten Professors Köppiug, die man schön findet und überall ausstellt, als ob mau noch nie etwas von einem Stil gehört hätte und zeigen wollte, daß alles Geld sür kunstgewerblichen Unterricht umsonst hinausgeworfen wäre, und wir sind am Rande mit unsrer „Kunst." Kläglich! Oder soll uns vielleicht eine Lithographie in vier Farben von Thoma, eine Schwarzwaldlandschaft, entschädigen, weil sie einen Mann von bedeutendem Namen zum Urheber und ein technisch interessantes Verfahre» zum Gegenstände hat? Die Kunstwissenschaft leitet uns dazu nu mit umständlicher Belehrung. Aber als Kunst angesehen, ist es doch herz¬ lich wenig. Wir haben kaum noch den Mut, unsre Leser um ihre Begleitung zu einem Gang in das Lesekabinett des Pan zu bitten. Denn diese Lektüre ist noch um vieles trübseliger als die Bilder. Dresden und München machten hier keinen Unterschied, höchstens daß dort der unglückliche Nietzsche, weil er im Bereiche des betreffenden, von dem Pan gezognen Kunstkreises wohnt, wieder einmal gezeigt wird mit einigen Sprüchen Zarathustras und einem in Musik gesetzten Gedicht. Übrigens Übersetzungen aus dem Schwedischen und Norwegischen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/463>, abgerufen am 26.06.2024.