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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen

Diese Worte gewähren einen Blick in sein Innerstes, aus dem sie ohne
jeden Zweifel offen und ehrlich -- wie seine brieflichen Ergüsse immer -- ge¬
flossen sind. Stark aufwallende Gefühle, die auch den stärksten übermannen,
kannte er nicht, auch in seinem spätern Leben findet sich keine Spur davon.
Er hat wohl thatsächlich nie eine Thräne vergossen. Er ging einsam durch
die Welt; Weib und Kind hatte er nicht. Auch religiöse Empfindungen kannte
er nicht. Seine einsamen Wege führten ihn auch davon immer weiter ab.
Daß er je derartige Anregungen in seinem Elternhause empfangen hätte, auch
davon findet sich nirgends eine Spur. Daher sind auch die Briefe seiner
nächsten Jahre Urbilder von Trockenheit. Nie ein überschäumeudes Gefühl,
nie ein warmer Liebesausdruck gege" Mutter oder Schwester; selbst in den
Liebesbriefen birgt sich die Empfindung unter trocknen Auseinandersetzungen.

Aber verfolgen wir zunächst den jungen Mann ein Stück weiter auf seiner
Lebensreise und sehen wir, wie statt des Malers ein Dichter von der Wander¬
schaft heimkehrte.

Als "ein junges Männchen, dessen Gestalt ziemlich unter mittlerer
Höhe geblieben war, auf dem schmächtigen Körper ein großer Schädel, mit
einem aufs linke Ohr gedrückten Barett geschmückt," so tritt er uns 1840 in
München entgegen, ein Kunstschüler, der mit den größten Hoffnungen nach
Baierns Hauptstadt gekommen war, mit dessen Ausbildung es aber nur sehr
langsam vorwärts ging. Die gehofften Erfolge blieben aus, vermutlich weniger
aus Mattgel an Talent als an Beharrlichkeit in der Arbeit, und die Mittel
zum Lebe" waren so gering, daß er oft in der größten Not war. Dazu kamen
Krankheit und Unglttcksfälle mit seinen Bildern, die eigne Nachlässigkeit oder
fremde Unzuverlässigkeit verschuldeten; so wurde sein Streben unterbunden,
und es erwachten Zweifel in ihm an seinem Beruf. "Schon jetzt rief ihm
ein Freund, den gerade eine Kellersche Leistung in einer Bierzeitung be¬
lustigte, er solle humoristische Aufsätze für öffentliche Blätter schreiben, was
unter allen Umständen mehr eintrüge als das Malen. Aber Keller lehnte jede
Zumutung dieser Art rundweg ab" und kehrte nach zwei und einem halben
Jahre nach Zürich zurück.

Es folgte nun eine Zeit des innern Ringens. Immer mehr klärte und
befestigte sich seiue radikale politische und seine atheistische Weltanschauung, wie sie
allgemein in der Zeit lag und in der Schweiz besondre Gestalt gewann. Und
aus diesen innern Kämpfen heraus wurde der lyrische Dichter Keller geboren,
dem sich in rascher Folge Gedicht auf Gedicht entrang, sodaß er bald (1846)
den ersten Band seiner Jugenddichtuugen hinausgehen ließ. Einige Stellen
aus seinem nur wenige Wochen des Jahres 1843 umfassenden Tagebuche will
ich hier zu seiner Charakteristik mitteilen. Am 11. Juli schreibt er:

Das Wetter heitert ein wenig nuf. Heute faßte ich Plötzlich den Entschluß,
einige Gedichte zusammenzupacken und einer Zeitschrift, etwa Lewnlds Europa, zn-


Grenzbotcn I 18!)7 57
Gottfried Keller und seine Novellen

Diese Worte gewähren einen Blick in sein Innerstes, aus dem sie ohne
jeden Zweifel offen und ehrlich — wie seine brieflichen Ergüsse immer — ge¬
flossen sind. Stark aufwallende Gefühle, die auch den stärksten übermannen,
kannte er nicht, auch in seinem spätern Leben findet sich keine Spur davon.
Er hat wohl thatsächlich nie eine Thräne vergossen. Er ging einsam durch
die Welt; Weib und Kind hatte er nicht. Auch religiöse Empfindungen kannte
er nicht. Seine einsamen Wege führten ihn auch davon immer weiter ab.
Daß er je derartige Anregungen in seinem Elternhause empfangen hätte, auch
davon findet sich nirgends eine Spur. Daher sind auch die Briefe seiner
nächsten Jahre Urbilder von Trockenheit. Nie ein überschäumeudes Gefühl,
nie ein warmer Liebesausdruck gege» Mutter oder Schwester; selbst in den
Liebesbriefen birgt sich die Empfindung unter trocknen Auseinandersetzungen.

Aber verfolgen wir zunächst den jungen Mann ein Stück weiter auf seiner
Lebensreise und sehen wir, wie statt des Malers ein Dichter von der Wander¬
schaft heimkehrte.

Als „ein junges Männchen, dessen Gestalt ziemlich unter mittlerer
Höhe geblieben war, auf dem schmächtigen Körper ein großer Schädel, mit
einem aufs linke Ohr gedrückten Barett geschmückt," so tritt er uns 1840 in
München entgegen, ein Kunstschüler, der mit den größten Hoffnungen nach
Baierns Hauptstadt gekommen war, mit dessen Ausbildung es aber nur sehr
langsam vorwärts ging. Die gehofften Erfolge blieben aus, vermutlich weniger
aus Mattgel an Talent als an Beharrlichkeit in der Arbeit, und die Mittel
zum Lebe» waren so gering, daß er oft in der größten Not war. Dazu kamen
Krankheit und Unglttcksfälle mit seinen Bildern, die eigne Nachlässigkeit oder
fremde Unzuverlässigkeit verschuldeten; so wurde sein Streben unterbunden,
und es erwachten Zweifel in ihm an seinem Beruf. „Schon jetzt rief ihm
ein Freund, den gerade eine Kellersche Leistung in einer Bierzeitung be¬
lustigte, er solle humoristische Aufsätze für öffentliche Blätter schreiben, was
unter allen Umständen mehr eintrüge als das Malen. Aber Keller lehnte jede
Zumutung dieser Art rundweg ab" und kehrte nach zwei und einem halben
Jahre nach Zürich zurück.

Es folgte nun eine Zeit des innern Ringens. Immer mehr klärte und
befestigte sich seiue radikale politische und seine atheistische Weltanschauung, wie sie
allgemein in der Zeit lag und in der Schweiz besondre Gestalt gewann. Und
aus diesen innern Kämpfen heraus wurde der lyrische Dichter Keller geboren,
dem sich in rascher Folge Gedicht auf Gedicht entrang, sodaß er bald (1846)
den ersten Band seiner Jugenddichtuugen hinausgehen ließ. Einige Stellen
aus seinem nur wenige Wochen des Jahres 1843 umfassenden Tagebuche will
ich hier zu seiner Charakteristik mitteilen. Am 11. Juli schreibt er:

Das Wetter heitert ein wenig nuf. Heute faßte ich Plötzlich den Entschluß,
einige Gedichte zusammenzupacken und einer Zeitschrift, etwa Lewnlds Europa, zn-


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[0457] Gottfried Keller und seine Novellen Diese Worte gewähren einen Blick in sein Innerstes, aus dem sie ohne jeden Zweifel offen und ehrlich — wie seine brieflichen Ergüsse immer — ge¬ flossen sind. Stark aufwallende Gefühle, die auch den stärksten übermannen, kannte er nicht, auch in seinem spätern Leben findet sich keine Spur davon. Er hat wohl thatsächlich nie eine Thräne vergossen. Er ging einsam durch die Welt; Weib und Kind hatte er nicht. Auch religiöse Empfindungen kannte er nicht. Seine einsamen Wege führten ihn auch davon immer weiter ab. Daß er je derartige Anregungen in seinem Elternhause empfangen hätte, auch davon findet sich nirgends eine Spur. Daher sind auch die Briefe seiner nächsten Jahre Urbilder von Trockenheit. Nie ein überschäumeudes Gefühl, nie ein warmer Liebesausdruck gege» Mutter oder Schwester; selbst in den Liebesbriefen birgt sich die Empfindung unter trocknen Auseinandersetzungen. Aber verfolgen wir zunächst den jungen Mann ein Stück weiter auf seiner Lebensreise und sehen wir, wie statt des Malers ein Dichter von der Wander¬ schaft heimkehrte. Als „ein junges Männchen, dessen Gestalt ziemlich unter mittlerer Höhe geblieben war, auf dem schmächtigen Körper ein großer Schädel, mit einem aufs linke Ohr gedrückten Barett geschmückt," so tritt er uns 1840 in München entgegen, ein Kunstschüler, der mit den größten Hoffnungen nach Baierns Hauptstadt gekommen war, mit dessen Ausbildung es aber nur sehr langsam vorwärts ging. Die gehofften Erfolge blieben aus, vermutlich weniger aus Mattgel an Talent als an Beharrlichkeit in der Arbeit, und die Mittel zum Lebe» waren so gering, daß er oft in der größten Not war. Dazu kamen Krankheit und Unglttcksfälle mit seinen Bildern, die eigne Nachlässigkeit oder fremde Unzuverlässigkeit verschuldeten; so wurde sein Streben unterbunden, und es erwachten Zweifel in ihm an seinem Beruf. „Schon jetzt rief ihm ein Freund, den gerade eine Kellersche Leistung in einer Bierzeitung be¬ lustigte, er solle humoristische Aufsätze für öffentliche Blätter schreiben, was unter allen Umständen mehr eintrüge als das Malen. Aber Keller lehnte jede Zumutung dieser Art rundweg ab" und kehrte nach zwei und einem halben Jahre nach Zürich zurück. Es folgte nun eine Zeit des innern Ringens. Immer mehr klärte und befestigte sich seiue radikale politische und seine atheistische Weltanschauung, wie sie allgemein in der Zeit lag und in der Schweiz besondre Gestalt gewann. Und aus diesen innern Kämpfen heraus wurde der lyrische Dichter Keller geboren, dem sich in rascher Folge Gedicht auf Gedicht entrang, sodaß er bald (1846) den ersten Band seiner Jugenddichtuugen hinausgehen ließ. Einige Stellen aus seinem nur wenige Wochen des Jahres 1843 umfassenden Tagebuche will ich hier zu seiner Charakteristik mitteilen. Am 11. Juli schreibt er: Das Wetter heitert ein wenig nuf. Heute faßte ich Plötzlich den Entschluß, einige Gedichte zusammenzupacken und einer Zeitschrift, etwa Lewnlds Europa, zn- Grenzbotcn I 18!)7 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/457>, abgerufen am 26.06.2024.