Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Gottfried Keller und seine Novelle" zu gehen, wozu ein kleines väterliches, von Oheim verwaltetes Vermächtnis Neben diesen malerischen Neigungen regten sich aber auch die dichterischen Ich habe dir noch etwas zu sagen. Du schreibst: Mit den Thränen, die ich Auch wünsche ich, daß du an einem andern Orte das Wort tugendhaft "'eggelassen Gottfried Keller und seine Novelle» zu gehen, wozu ein kleines väterliches, von Oheim verwaltetes Vermächtnis Neben diesen malerischen Neigungen regten sich aber auch die dichterischen Ich habe dir noch etwas zu sagen. Du schreibst: Mit den Thränen, die ich Auch wünsche ich, daß du an einem andern Orte das Wort tugendhaft »'eggelassen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224702"/> <fw type="header" place="top"> Gottfried Keller und seine Novelle»</fw><lb/> <p xml:id="ID_1333" prev="#ID_1332"> zu gehen, wozu ein kleines väterliches, von Oheim verwaltetes Vermächtnis<lb/> die Mittel gewähren sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1334"> Neben diesen malerischen Neigungen regten sich aber auch die dichterischen<lb/> Triebe in allerlei kleinen Versuchen und den ersten Gedichten, zu denen ihn<lb/> eine erste Liebe entflammte. Mir scheint eine Stelle aus einem Briese, den<lb/> er mit achtzehn Jahren an einen guten Freund schrieb, trotz aller jugendlichen<lb/> Anfblühnng am meisten die Bedeutung seines Geistes zu bezeugen und zugleich<lb/> für sein Wesen bezeichnend zu sein. Da heißt es:</p><lb/> <p xml:id="ID_1335"> Ich habe dir noch etwas zu sagen. Du schreibst: Mit den Thränen, die ich<lb/> hier schon geweint habe, könnte man ein Paar Sommerhvsen waschen, — Schämst<lb/> dn dich nicht ins innerste Mark hinein, das zu sagen! Weinen — weine»!<lb/> 1<'i aeine! Einer, der ein Mann werden will, der das Menschengeschlecht verachtet,<lb/> spricht von »'einen! Wenn das zehnte Jahr vorbei ist, so sollte der Mann sei»<lb/> ganzes Leben hindurch nicht mehr soviel Wasser vergießen, daß eine Fliege darin<lb/> ersaufen könnte, weder ans Ärger »och aus Gefühl usw. Nicht daß das Auge des<lb/> Helden sich nicht nehm dürfe; aber das find seltne Fälle und köstliche Augenblicke.<lb/> Wen» unaussprechlicher Gram n>» el» Verlornes seelengut, wen» bittrer Ärger<lb/> über der Menschen Verworfenheit, erfahrner Undank, die Qual, seine hochfliegenden,<lb/> herrlichen Pläne nicht erfüllen zu können, seine glühende Gedankenfülle erdrücken<lb/> und verschlucke» zu müssen, wenn »och hundert andre Feinde vereint auf des<lb/> Mannes oder des Jünglings Brust einstürme»: dann kann eine schwere Thräne<lb/> den Weg zum Lichte finden. Wie poches dann mit lauten Schlägen an die Rippen,<lb/> wie preßts das Herz! Ein Zentner liegt auf ihm. Wie brmnts und toasts und<lb/> sprudelt und siedet es in der hohen, doch so beklemmten Brust, daß die Flammen<lb/> hoch aufschlage« und die Hülle zu sprenge» drohen! Starr wie el» Fels steht der<lb/> Maun, aber das innere Jener zehrt an ihm. Heiß wallts hinauf, höher und höher<lb/> aus dem zerknirschten Herzen, heiß wird die Wange, rot die hohe Stirn, und heiß<lb/> dringt eine feuchte, volle Zähr ins finstre Auge. Betroffen will er sie zerdrücken,<lb/> aber sie fließt schon hell die Wange hinunter. Verstohlen, wie wenn ein Mädchen<lb/> den ersten Kuß verlor, wischt er sich das Aug; aber mit der Thräne ist aller<lb/> Jammer ausgezogen. Leicht und flüchtig atmet er, mild glimmts noch im aus¬<lb/> gebrannten Busen; eine düstre, doch weiche Melancholie sanft noch in der ver¬<lb/> lassenen Brust und giebt dem Dulder deu schönen, großen Blick, der den Schurken<lb/> zu Boden drückt. Solch eine Thräne ist göttlich und der Moment unschätzbar zu<lb/> nennen; aber der Name weinen bleibe fern von ihr. Denn nnr das Weib darf<lb/> weinen, oder der Thor, oder der Bösewicht. Ich bitte dich also, dir das Weinen<lb/> abzugewöhnen, sonst ersaufen deine edel» Gedanken in der trüben Flut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1336"> Auch wünsche ich, daß du an einem andern Orte das Wort tugendhaft »'eggelassen<lb/> hättest; denn der Mensch soll nicht tugendhaft, nur natürlich sein, so wird die Tugend<lb/> von selbst kommen. Überhaupt ist das Wort tugendhaft ein kleinliches, ärmliches, fröm¬<lb/> melndes Ding und soll vom Manne gar nie ausgesprochen werden, weil der, der<lb/> die Natur in ihrem heiligen Walten verehrt und die Menschen gerade um ihrer<lb/> Sünden willen bemitleidet, die Tugend sich nicht erst anzugewöhnen braucht, sondern<lb/> sie ist sei» Element. Er weiß nichts von ihr; denn sie ist ihm eigen wie jeden,<lb/> Tiere das Atmen; und wenn er noch so viele Fehler hätte, so entspricht jeder Fehler<lb/> einer Tugend. Freilich sind die Schwachheiten des großen Mannes und diejenigen<lb/> des schlechten von hümuelweitem Unterschied.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456]
Gottfried Keller und seine Novelle»
zu gehen, wozu ein kleines väterliches, von Oheim verwaltetes Vermächtnis
die Mittel gewähren sollte.
Neben diesen malerischen Neigungen regten sich aber auch die dichterischen
Triebe in allerlei kleinen Versuchen und den ersten Gedichten, zu denen ihn
eine erste Liebe entflammte. Mir scheint eine Stelle aus einem Briese, den
er mit achtzehn Jahren an einen guten Freund schrieb, trotz aller jugendlichen
Anfblühnng am meisten die Bedeutung seines Geistes zu bezeugen und zugleich
für sein Wesen bezeichnend zu sein. Da heißt es:
Ich habe dir noch etwas zu sagen. Du schreibst: Mit den Thränen, die ich
hier schon geweint habe, könnte man ein Paar Sommerhvsen waschen, — Schämst
dn dich nicht ins innerste Mark hinein, das zu sagen! Weinen — weine»!
1<'i aeine! Einer, der ein Mann werden will, der das Menschengeschlecht verachtet,
spricht von »'einen! Wenn das zehnte Jahr vorbei ist, so sollte der Mann sei»
ganzes Leben hindurch nicht mehr soviel Wasser vergießen, daß eine Fliege darin
ersaufen könnte, weder ans Ärger »och aus Gefühl usw. Nicht daß das Auge des
Helden sich nicht nehm dürfe; aber das find seltne Fälle und köstliche Augenblicke.
Wen» unaussprechlicher Gram n>» el» Verlornes seelengut, wen» bittrer Ärger
über der Menschen Verworfenheit, erfahrner Undank, die Qual, seine hochfliegenden,
herrlichen Pläne nicht erfüllen zu können, seine glühende Gedankenfülle erdrücken
und verschlucke» zu müssen, wenn »och hundert andre Feinde vereint auf des
Mannes oder des Jünglings Brust einstürme»: dann kann eine schwere Thräne
den Weg zum Lichte finden. Wie poches dann mit lauten Schlägen an die Rippen,
wie preßts das Herz! Ein Zentner liegt auf ihm. Wie brmnts und toasts und
sprudelt und siedet es in der hohen, doch so beklemmten Brust, daß die Flammen
hoch aufschlage« und die Hülle zu sprenge» drohen! Starr wie el» Fels steht der
Maun, aber das innere Jener zehrt an ihm. Heiß wallts hinauf, höher und höher
aus dem zerknirschten Herzen, heiß wird die Wange, rot die hohe Stirn, und heiß
dringt eine feuchte, volle Zähr ins finstre Auge. Betroffen will er sie zerdrücken,
aber sie fließt schon hell die Wange hinunter. Verstohlen, wie wenn ein Mädchen
den ersten Kuß verlor, wischt er sich das Aug; aber mit der Thräne ist aller
Jammer ausgezogen. Leicht und flüchtig atmet er, mild glimmts noch im aus¬
gebrannten Busen; eine düstre, doch weiche Melancholie sanft noch in der ver¬
lassenen Brust und giebt dem Dulder deu schönen, großen Blick, der den Schurken
zu Boden drückt. Solch eine Thräne ist göttlich und der Moment unschätzbar zu
nennen; aber der Name weinen bleibe fern von ihr. Denn nnr das Weib darf
weinen, oder der Thor, oder der Bösewicht. Ich bitte dich also, dir das Weinen
abzugewöhnen, sonst ersaufen deine edel» Gedanken in der trüben Flut.
Auch wünsche ich, daß du an einem andern Orte das Wort tugendhaft »'eggelassen
hättest; denn der Mensch soll nicht tugendhaft, nur natürlich sein, so wird die Tugend
von selbst kommen. Überhaupt ist das Wort tugendhaft ein kleinliches, ärmliches, fröm¬
melndes Ding und soll vom Manne gar nie ausgesprochen werden, weil der, der
die Natur in ihrem heiligen Walten verehrt und die Menschen gerade um ihrer
Sünden willen bemitleidet, die Tugend sich nicht erst anzugewöhnen braucht, sondern
sie ist sei» Element. Er weiß nichts von ihr; denn sie ist ihm eigen wie jeden,
Tiere das Atmen; und wenn er noch so viele Fehler hätte, so entspricht jeder Fehler
einer Tugend. Freilich sind die Schwachheiten des großen Mannes und diejenigen
des schlechten von hümuelweitem Unterschied.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |