Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Gottfried Keller und seine Novellen sich regelmäßig einzuteilen, sondern beständig genötigt ist, von der Hand in Die Schwester Regula blieb lebenslang ein bescheidnes Wesen, das man Also darben hat Keller von seiner Mutter gelernt, und er hat es bis zu Anfangs besuchte Keller die Armenschule, dann einige Jahre das Lcmd- Im übrigen nahm er aus dem häuslichen Leben und dem Umgang in ") Davon hat er Vorteil gehabt.
Gottfried Keller und seine Novellen sich regelmäßig einzuteilen, sondern beständig genötigt ist, von der Hand in Die Schwester Regula blieb lebenslang ein bescheidnes Wesen, das man Also darben hat Keller von seiner Mutter gelernt, und er hat es bis zu Anfangs besuchte Keller die Armenschule, dann einige Jahre das Lcmd- Im übrigen nahm er aus dem häuslichen Leben und dem Umgang in ") Davon hat er Vorteil gehabt.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224700"/> <fw type="header" place="top"> Gottfried Keller und seine Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324"> sich regelmäßig einzuteilen, sondern beständig genötigt ist, von der Hand in<lb/> den Mund und zwar meist auf Borg zu leben, wird die Kunst des Haushaltens<lb/> nie recht erlernen. Die Entbehrung, die sich die Mutter fortwährend auferlegte,<lb/> ist dem Sohne in schwierigen Umständen wohl gekommen.*) Die Mutter<lb/> war eine geistig aufgeweckte Frau, eine ganz vorzügliche Briefstellerin, die oft<lb/> große Munterkeit des Gemüts, daneben auch eine gewisse schweizerisch derbe<lb/> Rücksichtslosigkeit und Offenheit zeigt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1326"> Die Schwester Regula blieb lebenslang ein bescheidnes Wesen, das man<lb/> sich, bis auf die letzte» Jahre, ganz gut aus der Umgebung des Bruders weg¬<lb/> denken kann. Sie wurde nach und nach ältliche Jungfrau und behielt seitdem<lb/> etwas Mißvergnügtes, Mürrisches. Seit dem Tode der Mutter (1864) führte<lb/> sie ihm die bescheidne Wirtschaft, freilich ohne die Fähigkeit, sein Leben freundlich<lb/> zu schmücken. Zwischen beiden bestand ein ewiges Gebrumm. Und doch war<lb/> sie ihm eine brave Schwester, die schließlich nur noch für ihn lebte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1327"> Also darben hat Keller von seiner Mutter gelernt, und er hat es bis zu<lb/> seinem vierzigsten Lebensjahre oft genug geübt, aber weder sparen noch an¬<lb/> dauernd arbeiten. Ob sie auf sein Gemüt einen wesentlichen Einfluß geübt<lb/> hat, ist nicht zu ersehen. Aus seineu Briefen nu die Mutter klingt sehr selten<lb/> ein herzlicherer Ton der Liebe, mehr stille, freundliche Verehrung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1328"> Anfangs besuchte Keller die Armenschule, dann einige Jahre das Lcmd-<lb/> knabeninstitnt, eine Privatanstalt, wo man anßer den Elementarfächern im<lb/> Französischen, im Italienischen und in der Buchhaltung unterrichtet wurde, und<lb/> seit 1833 die kantonale Industrieschule, die zur Vorbereitung auf technische Berufs¬<lb/> arten, Gewerbe und Handwerk bestimmt war. Hier wurde er als angeblicher<lb/> Rädelsführer eiuer lärmenden Unbvtmüßigkeit (gegen einen Lehrer) von der<lb/> Schule verwiesen, „während man die Schuldigern Herrensöhncheu schonte; das<lb/> bittere Gefühl der ungerechten Relegation hat er nie recht verwunden. Seit¬<lb/> dem war er völlig auf Selbstbildung angewiesen, die er von um an mit<lb/> einem heiligen Ernst betrieb, nicht ohne öfter schmerzlich durch die verschlossenen<lb/> Gitter in den reichen Garten der reifern Jugendbildung zu sehen und den<lb/> Verlust doppelt zu empfinden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Im übrigen nahm er aus dem häuslichen Leben und dem Umgang in<lb/> der Stadt mannichfnche Eindrücke in sich auf, die sich später gerade in<lb/> seinen Novellen und im Roman spiegeln und überhaupt seine jugendliche Phan¬<lb/> tasie mit bleibender Wirkung belebten: Hausgenossen und Hausfreunde, wie<lb/> die Familie seiner Pflegeschwester Bäbeli (Das Verlorne Lachen) und der<lb/> durstige Schreiner Schanfelberger (Das Fähnlein der sieben Aufrechten), die<lb/> Spiele der Jugend und das Mörserschießen der Alten (Züricher Novellen), das<lb/> Puppenspiel, das die ersten Dichtungen veranlaßte, und vor allem die Trödlers-</p><lb/> <note xml:id="FID_39" place="foot"> ") Davon hat er Vorteil gehabt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Gottfried Keller und seine Novellen
sich regelmäßig einzuteilen, sondern beständig genötigt ist, von der Hand in
den Mund und zwar meist auf Borg zu leben, wird die Kunst des Haushaltens
nie recht erlernen. Die Entbehrung, die sich die Mutter fortwährend auferlegte,
ist dem Sohne in schwierigen Umständen wohl gekommen.*) Die Mutter
war eine geistig aufgeweckte Frau, eine ganz vorzügliche Briefstellerin, die oft
große Munterkeit des Gemüts, daneben auch eine gewisse schweizerisch derbe
Rücksichtslosigkeit und Offenheit zeigt."
Die Schwester Regula blieb lebenslang ein bescheidnes Wesen, das man
sich, bis auf die letzte» Jahre, ganz gut aus der Umgebung des Bruders weg¬
denken kann. Sie wurde nach und nach ältliche Jungfrau und behielt seitdem
etwas Mißvergnügtes, Mürrisches. Seit dem Tode der Mutter (1864) führte
sie ihm die bescheidne Wirtschaft, freilich ohne die Fähigkeit, sein Leben freundlich
zu schmücken. Zwischen beiden bestand ein ewiges Gebrumm. Und doch war
sie ihm eine brave Schwester, die schließlich nur noch für ihn lebte.
Also darben hat Keller von seiner Mutter gelernt, und er hat es bis zu
seinem vierzigsten Lebensjahre oft genug geübt, aber weder sparen noch an¬
dauernd arbeiten. Ob sie auf sein Gemüt einen wesentlichen Einfluß geübt
hat, ist nicht zu ersehen. Aus seineu Briefen nu die Mutter klingt sehr selten
ein herzlicherer Ton der Liebe, mehr stille, freundliche Verehrung.
Anfangs besuchte Keller die Armenschule, dann einige Jahre das Lcmd-
knabeninstitnt, eine Privatanstalt, wo man anßer den Elementarfächern im
Französischen, im Italienischen und in der Buchhaltung unterrichtet wurde, und
seit 1833 die kantonale Industrieschule, die zur Vorbereitung auf technische Berufs¬
arten, Gewerbe und Handwerk bestimmt war. Hier wurde er als angeblicher
Rädelsführer eiuer lärmenden Unbvtmüßigkeit (gegen einen Lehrer) von der
Schule verwiesen, „während man die Schuldigern Herrensöhncheu schonte; das
bittere Gefühl der ungerechten Relegation hat er nie recht verwunden. Seit¬
dem war er völlig auf Selbstbildung angewiesen, die er von um an mit
einem heiligen Ernst betrieb, nicht ohne öfter schmerzlich durch die verschlossenen
Gitter in den reichen Garten der reifern Jugendbildung zu sehen und den
Verlust doppelt zu empfinden."
Im übrigen nahm er aus dem häuslichen Leben und dem Umgang in
der Stadt mannichfnche Eindrücke in sich auf, die sich später gerade in
seinen Novellen und im Roman spiegeln und überhaupt seine jugendliche Phan¬
tasie mit bleibender Wirkung belebten: Hausgenossen und Hausfreunde, wie
die Familie seiner Pflegeschwester Bäbeli (Das Verlorne Lachen) und der
durstige Schreiner Schanfelberger (Das Fähnlein der sieben Aufrechten), die
Spiele der Jugend und das Mörserschießen der Alten (Züricher Novellen), das
Puppenspiel, das die ersten Dichtungen veranlaßte, und vor allem die Trödlers-
") Davon hat er Vorteil gehabt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |