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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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und daß in Posen die Kosten von 1441 Mark durch die Gemeinden mit
zwölf Mark und durch den Staat mit 1429 Mark gedeckt werden. An den
87S Schulen waren im ganzen thätig 1182 Lehrer und zwar 1122 Volksschul-
lehrer, 42 Pastoren, 17 Landwirte u. dergl., ein landwirtschaftlicher Lehrer.
Zu beachten ist. wie die Denkschrift sagt, daß der Unterricht durch Geistliche
und Lehrer vielfach unentgeltlich erteilt wird.

Man wird zugeben müssen, daß dieses Ergebnis mehr als zwanzigjähriger
Bemühungen -- wenn dieses Wort nicht schon zu viel sagt--, soweit die Ost-
Provinzen und Westfalen in Betracht kommen, überaus kläglich ist. Die Denk¬
schrift sucht das wie folgt zu erklären. Zunächst "verkenne" die ländliche Be¬
völkerung das Bedürfnis. "Interesse- und ihre Teilnahmlosigkeit" mache, daß
zahlreiche auf die Entwicklung dieser Schulen gerichtete Bestrebungen und An¬
regungen Einzelner und der Behörden im Keim erstickten. Die "klein- und
mittelbäuerliche" Bevölkerung, sür deren Söhne insbesondre die Fortbildungs¬
schulen in Betracht kommen müßten, zeige "in den meisten Teilen der Monarchie
noch einen völligen Mangel an Verständnis für diese Schulen." In den
"großbäuerlicheu" Kreisen mangle das Interesse, weil für die eignen heran¬
wachsenden Söhne ein ländlicher Fortbilduugsuuterricht nicht sür ausreichend
gehalten werde. Daher seien es vielfach die größern Bauern, die das Zustande¬
kommen von Fortbildungsschulen in den Bauerngemeinden verhinderten, wegen
ihrer Abneigung, für Zwecke, die ihnen nicht unmittelbar zu gute kämen,
Aufwendungen zu machen. "Fast noch mehr -- sagt die Denkschrift wörtlich --
wie die großbäuerlichen Kreise stehen die größern Landwirte und Großgrund¬
besitzer dem ländlichen Fortbildungsschulwesen ablehnend gegenüber. Ihnen
fehlt selbstverständlich in noch höherm Maße ein unmittelbares Interesse an
dem Fortbildungsunterricht, der für die eignen Söhne gar nicht in Frage
kommen kann; andre Gründe mehr grundsätzlicher Natur führen sie zu eiuer
der Fortbildungsschule häufig selbst feindlichen Stellungnahme. Dies ist
namentlich in den östlichen Teilen der Monarchie der Fall, wo die Frage in
den Vordergrund tritt, ob der ländliche Fortbilduugsunterricht auch der länd¬
lichen Arbeiterbevölkerung zu teil werden soll. Man begegnet nicht selten der
Ansicht, daß eine Fortbildung für diejenigen, deren späterer Beruf der eiues
Knechtes oder ländlichen Tagelöhners ist, keinem Bedürfnis entspreche; der
Volksschulunterricht gilt als völlig ausreichend; von einem Mehr wird eine
Art von Halbbildung erwartet, die nur schädigend wirken und den Erfolg
haben werde, die ländliche Arbeiterbevölkerung mit ihrem Beruf unzufrieden
zu machen und mehr noch, als dies durch andre Ursachen bereits bewirkt wird,
den Zug in die großen Städte zu verstärken. Auch wird die Befürchtung
gehegt, daß das Halbwissen, das durch den Fortbilduugsschulunterricht be¬
günstigt werde, die ländliche Arbeitervöllerung den Verführungen und Lehren
sozialdemokratischer Agitatoren zugänglich machen könne. Einen mehr die fach-


Grenzbotm I 1897 ö4

und daß in Posen die Kosten von 1441 Mark durch die Gemeinden mit
zwölf Mark und durch den Staat mit 1429 Mark gedeckt werden. An den
87S Schulen waren im ganzen thätig 1182 Lehrer und zwar 1122 Volksschul-
lehrer, 42 Pastoren, 17 Landwirte u. dergl., ein landwirtschaftlicher Lehrer.
Zu beachten ist. wie die Denkschrift sagt, daß der Unterricht durch Geistliche
und Lehrer vielfach unentgeltlich erteilt wird.

Man wird zugeben müssen, daß dieses Ergebnis mehr als zwanzigjähriger
Bemühungen — wenn dieses Wort nicht schon zu viel sagt—, soweit die Ost-
Provinzen und Westfalen in Betracht kommen, überaus kläglich ist. Die Denk¬
schrift sucht das wie folgt zu erklären. Zunächst „verkenne" die ländliche Be¬
völkerung das Bedürfnis. „Interesse- und ihre Teilnahmlosigkeit" mache, daß
zahlreiche auf die Entwicklung dieser Schulen gerichtete Bestrebungen und An¬
regungen Einzelner und der Behörden im Keim erstickten. Die „klein- und
mittelbäuerliche" Bevölkerung, sür deren Söhne insbesondre die Fortbildungs¬
schulen in Betracht kommen müßten, zeige „in den meisten Teilen der Monarchie
noch einen völligen Mangel an Verständnis für diese Schulen." In den
„großbäuerlicheu" Kreisen mangle das Interesse, weil für die eignen heran¬
wachsenden Söhne ein ländlicher Fortbilduugsuuterricht nicht sür ausreichend
gehalten werde. Daher seien es vielfach die größern Bauern, die das Zustande¬
kommen von Fortbildungsschulen in den Bauerngemeinden verhinderten, wegen
ihrer Abneigung, für Zwecke, die ihnen nicht unmittelbar zu gute kämen,
Aufwendungen zu machen. „Fast noch mehr — sagt die Denkschrift wörtlich —
wie die großbäuerlichen Kreise stehen die größern Landwirte und Großgrund¬
besitzer dem ländlichen Fortbildungsschulwesen ablehnend gegenüber. Ihnen
fehlt selbstverständlich in noch höherm Maße ein unmittelbares Interesse an
dem Fortbildungsunterricht, der für die eignen Söhne gar nicht in Frage
kommen kann; andre Gründe mehr grundsätzlicher Natur führen sie zu eiuer
der Fortbildungsschule häufig selbst feindlichen Stellungnahme. Dies ist
namentlich in den östlichen Teilen der Monarchie der Fall, wo die Frage in
den Vordergrund tritt, ob der ländliche Fortbilduugsunterricht auch der länd¬
lichen Arbeiterbevölkerung zu teil werden soll. Man begegnet nicht selten der
Ansicht, daß eine Fortbildung für diejenigen, deren späterer Beruf der eiues
Knechtes oder ländlichen Tagelöhners ist, keinem Bedürfnis entspreche; der
Volksschulunterricht gilt als völlig ausreichend; von einem Mehr wird eine
Art von Halbbildung erwartet, die nur schädigend wirken und den Erfolg
haben werde, die ländliche Arbeiterbevölkerung mit ihrem Beruf unzufrieden
zu machen und mehr noch, als dies durch andre Ursachen bereits bewirkt wird,
den Zug in die großen Städte zu verstärken. Auch wird die Befürchtung
gehegt, daß das Halbwissen, das durch den Fortbilduugsschulunterricht be¬
günstigt werde, die ländliche Arbeitervöllerung den Verführungen und Lehren
sozialdemokratischer Agitatoren zugänglich machen könne. Einen mehr die fach-


Grenzbotm I 1897 ö4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/433>, abgerufen am 26.06.2024.