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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

liebe Seite betoueudeu Fortbildungsunterricht hält man vollends für nicht er¬
forderlich, da die ländlichen Arbeiten mehr auf Handfertigkeit und physische
Ausdauer der Arbeiter, als auf selbständiges Überlegen und Durchdenken hin¬
wiesen. Daneben sind auch wirtschaftliche Bedenken für die Abneigung gegen
deu Fortbildungsunterricht maßgebend. Man scheut es vielfach, daß der jugend¬
liche Arbeiter und Knecht der Arbeit, wenn auch nur für Stunden, entzogen
werde. Dies Bedenken tritt um so stärker da hervor, wo bereits Mangel an
ländlicher Arbeitskraft sich fühlbar macht, wie dies in vielen Teilen des
Ostens bereits seit längerer Zeit der Fall ist."

Kennzeichnen diese Ausführungen der Denkschrift das Verständnis der
ländlichen Grundbesitzer für die Sache schon hinreichend, so ist es für die
Stellung der Regierung nicht minder bezeichnend, daß, während der Unverstand
der kleinbäuerlichen und bäuerlichen Besitzer in der Denkschrift die gebührende
Kritik erfährt, das Verhalten der Großgrundbesitzer auch nicht mit einem Wort
als unverständig und verfehlt bezeichnet und von einem ernsthaften Bekämpfen
dieses Widerstands nach dem ganzen Inhalt der Denkschrift thatsächlich auch
vollständig Abstand genommen wird. Man wird nicht behaupten können, daß
das dem friederieianischcn Geiste entspreche, auf den man in Preußen so stolz ist,
dem zick- und pflichtbewußten Negierungswilleu, an dem es in dem absolutem
Hoheuzollernstaate so selten gefehlt hat und im konstitutionellen Preußen erst
recht uicht fehlen sollte. Die Denkschrift stellt sich ganz auf den oben ge¬
kennzeichneten Standpunkt des Laudesökonvmiekvllegiums von 1890, diesem
nachgerade zur Genieingefährlichteit ausartenden Selbstverwaltungsfanatismns,
nach dein die Durchführung für das Gemeinwohl notwendiger Maßnahmen
grundsätzlich von dem guten Willen der Leute abhängig gemacht wird, denen
erklärtermaßen das Verständnis für die Sache und namentlich für das Be¬
dürfnis abgeht. Es entspricht dieser Stellung der Regierung auch nur, wenn
am Schluß der Denkschrift die "Stellung des Ministers" zu der wichtigen Frage,
ob "fakultativer oder obligatorischer Unterricht" vorzuziehen sei, mit folgender
geradezu klassischen Antwort abgethan wird: "Zur Frage des Schulzwangs
hat weder die königliche Staatsregierung noch die landwirtschaftliche Verwaltung
bestimmte Stellung zu nehmen bisher Veranlassung gehabt; seitens der letztern
ist lediglich in einem bestimmten Fall, in welchem angenommen war, daß auf
Grund des § 102 der Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen
vom 3. Juli 1891 es möglich sei, deu Schulzwang für die Fortbildungsschulen
für ländliche Gemeinden einzuführen, die Ansicht vertreten worden, daß diese
Annahme nicht zutreffend sei, daß es vielmehr zur Erreichung der, wenn auch
nur ortsstatutarischeu Einführung des Schnlzwangs des Erlasses eines besondern
Gesetzes bedürfe."

Es liegt auf der Hand, daß es der ländlichen Fortbildungsunterricht
in deu Ostprovinzen auf diesem Wege auch in Zukunft zu keiner auch nur


Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter

liebe Seite betoueudeu Fortbildungsunterricht hält man vollends für nicht er¬
forderlich, da die ländlichen Arbeiten mehr auf Handfertigkeit und physische
Ausdauer der Arbeiter, als auf selbständiges Überlegen und Durchdenken hin¬
wiesen. Daneben sind auch wirtschaftliche Bedenken für die Abneigung gegen
deu Fortbildungsunterricht maßgebend. Man scheut es vielfach, daß der jugend¬
liche Arbeiter und Knecht der Arbeit, wenn auch nur für Stunden, entzogen
werde. Dies Bedenken tritt um so stärker da hervor, wo bereits Mangel an
ländlicher Arbeitskraft sich fühlbar macht, wie dies in vielen Teilen des
Ostens bereits seit längerer Zeit der Fall ist."

Kennzeichnen diese Ausführungen der Denkschrift das Verständnis der
ländlichen Grundbesitzer für die Sache schon hinreichend, so ist es für die
Stellung der Regierung nicht minder bezeichnend, daß, während der Unverstand
der kleinbäuerlichen und bäuerlichen Besitzer in der Denkschrift die gebührende
Kritik erfährt, das Verhalten der Großgrundbesitzer auch nicht mit einem Wort
als unverständig und verfehlt bezeichnet und von einem ernsthaften Bekämpfen
dieses Widerstands nach dem ganzen Inhalt der Denkschrift thatsächlich auch
vollständig Abstand genommen wird. Man wird nicht behaupten können, daß
das dem friederieianischcn Geiste entspreche, auf den man in Preußen so stolz ist,
dem zick- und pflichtbewußten Negierungswilleu, an dem es in dem absolutem
Hoheuzollernstaate so selten gefehlt hat und im konstitutionellen Preußen erst
recht uicht fehlen sollte. Die Denkschrift stellt sich ganz auf den oben ge¬
kennzeichneten Standpunkt des Laudesökonvmiekvllegiums von 1890, diesem
nachgerade zur Genieingefährlichteit ausartenden Selbstverwaltungsfanatismns,
nach dein die Durchführung für das Gemeinwohl notwendiger Maßnahmen
grundsätzlich von dem guten Willen der Leute abhängig gemacht wird, denen
erklärtermaßen das Verständnis für die Sache und namentlich für das Be¬
dürfnis abgeht. Es entspricht dieser Stellung der Regierung auch nur, wenn
am Schluß der Denkschrift die „Stellung des Ministers" zu der wichtigen Frage,
ob „fakultativer oder obligatorischer Unterricht" vorzuziehen sei, mit folgender
geradezu klassischen Antwort abgethan wird: „Zur Frage des Schulzwangs
hat weder die königliche Staatsregierung noch die landwirtschaftliche Verwaltung
bestimmte Stellung zu nehmen bisher Veranlassung gehabt; seitens der letztern
ist lediglich in einem bestimmten Fall, in welchem angenommen war, daß auf
Grund des § 102 der Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen
vom 3. Juli 1891 es möglich sei, deu Schulzwang für die Fortbildungsschulen
für ländliche Gemeinden einzuführen, die Ansicht vertreten worden, daß diese
Annahme nicht zutreffend sei, daß es vielmehr zur Erreichung der, wenn auch
nur ortsstatutarischeu Einführung des Schnlzwangs des Erlasses eines besondern
Gesetzes bedürfe."

Es liegt auf der Hand, daß es der ländlichen Fortbildungsunterricht
in deu Ostprovinzen auf diesem Wege auch in Zukunft zu keiner auch nur


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[0434] Der Nachwuchs der ländlichen Arbeiter liebe Seite betoueudeu Fortbildungsunterricht hält man vollends für nicht er¬ forderlich, da die ländlichen Arbeiten mehr auf Handfertigkeit und physische Ausdauer der Arbeiter, als auf selbständiges Überlegen und Durchdenken hin¬ wiesen. Daneben sind auch wirtschaftliche Bedenken für die Abneigung gegen deu Fortbildungsunterricht maßgebend. Man scheut es vielfach, daß der jugend¬ liche Arbeiter und Knecht der Arbeit, wenn auch nur für Stunden, entzogen werde. Dies Bedenken tritt um so stärker da hervor, wo bereits Mangel an ländlicher Arbeitskraft sich fühlbar macht, wie dies in vielen Teilen des Ostens bereits seit längerer Zeit der Fall ist." Kennzeichnen diese Ausführungen der Denkschrift das Verständnis der ländlichen Grundbesitzer für die Sache schon hinreichend, so ist es für die Stellung der Regierung nicht minder bezeichnend, daß, während der Unverstand der kleinbäuerlichen und bäuerlichen Besitzer in der Denkschrift die gebührende Kritik erfährt, das Verhalten der Großgrundbesitzer auch nicht mit einem Wort als unverständig und verfehlt bezeichnet und von einem ernsthaften Bekämpfen dieses Widerstands nach dem ganzen Inhalt der Denkschrift thatsächlich auch vollständig Abstand genommen wird. Man wird nicht behaupten können, daß das dem friederieianischcn Geiste entspreche, auf den man in Preußen so stolz ist, dem zick- und pflichtbewußten Negierungswilleu, an dem es in dem absolutem Hoheuzollernstaate so selten gefehlt hat und im konstitutionellen Preußen erst recht uicht fehlen sollte. Die Denkschrift stellt sich ganz auf den oben ge¬ kennzeichneten Standpunkt des Laudesökonvmiekvllegiums von 1890, diesem nachgerade zur Genieingefährlichteit ausartenden Selbstverwaltungsfanatismns, nach dein die Durchführung für das Gemeinwohl notwendiger Maßnahmen grundsätzlich von dem guten Willen der Leute abhängig gemacht wird, denen erklärtermaßen das Verständnis für die Sache und namentlich für das Be¬ dürfnis abgeht. Es entspricht dieser Stellung der Regierung auch nur, wenn am Schluß der Denkschrift die „Stellung des Ministers" zu der wichtigen Frage, ob „fakultativer oder obligatorischer Unterricht" vorzuziehen sei, mit folgender geradezu klassischen Antwort abgethan wird: „Zur Frage des Schulzwangs hat weder die königliche Staatsregierung noch die landwirtschaftliche Verwaltung bestimmte Stellung zu nehmen bisher Veranlassung gehabt; seitens der letztern ist lediglich in einem bestimmten Fall, in welchem angenommen war, daß auf Grund des § 102 der Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen vom 3. Juli 1891 es möglich sei, deu Schulzwang für die Fortbildungsschulen für ländliche Gemeinden einzuführen, die Ansicht vertreten worden, daß diese Annahme nicht zutreffend sei, daß es vielmehr zur Erreichung der, wenn auch nur ortsstatutarischeu Einführung des Schnlzwangs des Erlasses eines besondern Gesetzes bedürfe." Es liegt auf der Hand, daß es der ländlichen Fortbildungsunterricht in deu Ostprovinzen auf diesem Wege auch in Zukunft zu keiner auch nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/434>, abgerufen am 27.09.2024.