Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Jenseits der Mainlinie getrichtert werden könne, war ich doch schon in meiner römisch-katholischen Zeit Jenseits der Mainlinie getrichtert werden könne, war ich doch schon in meiner römisch-katholischen Zeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224641"/> <fw type="header" place="top"> Jenseits der Mainlinie</fw><lb/> <p xml:id="ID_1171" prev="#ID_1170" next="#ID_1172"> getrichtert werden könne, war ich doch schon in meiner römisch-katholischen Zeit<lb/> ziemlich weit hinausgewesen. Aber es sollte noch schöner kommen. In einer<lb/> Kirchenvorstandssitzung — das ist nicht in Offenburg geschehen — wurde ich<lb/> von einem Mitgliede zur Rede gestellt, warum ich keinen ordentlichen Veicht-<lb/> unterricht erteilte; „die Bube jammere: wie soll das werde, 's isch bald<lb/> Oschtere, und wir könne noch nit beichte, wir könne nit beichte." Ich war<lb/> mir bewußt, mich im Beicht- und Kommunionunterricht rechtschaffen bemüht<lb/> zu haben, um den Schülern Sinn und Bedeutung der heiligen Handlungen<lb/> klar zu macheu und ihre Herzen für eine würdige und fruchtreiche Begehung<lb/> der Feier vorzubereiten, und so erklärte ich denn, wenn die Bengel und Bälger<lb/> etwa kämen, mir ein Geschenk zu überreichen — das war mir angekündigt<lb/> worden —, so würde ich sie rausschmeißen. Ein paar Tage darauf suchte<lb/> man mich zu begütigen. Der Irrtum habe sich aufgeklärt. Mein Vorgänger<lb/> habe immer schon lange vor Ostern den Marsch zum Altar einexerziert, und<lb/> das sei diesmal noch nicht geschehen; nur dieses hätten die Kinder gemeint.<lb/> Nun habe ich auch immer darauf gehalten, daß in der Kirche alles hübsch<lb/> ordentlich zugehe, und habe namentlich die Ministranten tüchtig einexerziert,<lb/> aber für den Gang zum Abendmahl ist doch keine besondre Einübung er¬<lb/> forderlich; es genügt, wenn man den Kindern sagte, in welcher Ordnung sie<lb/> kommen und wo sie Platz nehmen sollen. Die so schmerzlich vermißte Ein¬<lb/> übung übernahm dann der Küster, und das Ergebnis war ein lächerlich aus¬<lb/> sehender und darum die Andacht störender Gänsemarsch. Gerade bei der ersten<lb/> Kommunion war ich immer bemüht gewesen, störende Äußerlichkeiten fernzuhalten.<lb/> So hatte ich einmal in Liegnitz den Knaben gesagt: Ihr seid alle arme Jungen<lb/> und an Glacehandschuhe nicht gewöhnt; zur erste» Kommunion bekommt ihr die<lb/> ersten, aber zieht sie lieber nicht an, denn das ungewohnte Zeug an der Hand<lb/> würde eure Aufmerksamkeit von, Gebet abziehen. Und siehe da, kein einziger<lb/> trug Handschuhe; aber zum Nachmittagsgottesdienst erschienen sie alle behand¬<lb/> schuht, um zu zeigen, daß sie welche hätten. Von dem vielen Wunderliche»,<lb/> was sich in der Wirrnis dieses Kirchenstreits ereignete, will ich nur noch eins<lb/> erwähnen. Ehe die Offenburger Altkatholiken einen Geistlichen bekamen, hatte<lb/> e>n Arzt, ein hochgebildeter Mann von anerkannt ehrenwerten Charakter, be¬<lb/> antragt, seine Söhne vom Religionsunterricht zu entbinden, und erklärt, er<lb/> wolle sie selbst in der Religion unterrichten, aber „Großherzogliches Ministerium"<lb/> ging nicht darauf ein; dieselbe Negierung, die den römischen Katholizismus<lb/> leidenschaftlich bekämpfte, zwang den Manu, seine Söhne in den römisch¬<lb/> katholischen Religionsunterricht zu schicken Aufrichtige Altkatholikiuuen waren<lb/> die Frauen. Manche von ihnen waren fromm, und es hatte sie einen schweren<lb/> Kampf gekostet, ihren Männern zu folgen; die übrigen »ahmen die Sache<lb/> Wenigstens sehr ernst als eine Angelegenheit des Gewissens und der Über¬<lb/> zeugung, und es empörte sie, wenn der eine oder der andre von den Männern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0395]
Jenseits der Mainlinie
getrichtert werden könne, war ich doch schon in meiner römisch-katholischen Zeit
ziemlich weit hinausgewesen. Aber es sollte noch schöner kommen. In einer
Kirchenvorstandssitzung — das ist nicht in Offenburg geschehen — wurde ich
von einem Mitgliede zur Rede gestellt, warum ich keinen ordentlichen Veicht-
unterricht erteilte; „die Bube jammere: wie soll das werde, 's isch bald
Oschtere, und wir könne noch nit beichte, wir könne nit beichte." Ich war
mir bewußt, mich im Beicht- und Kommunionunterricht rechtschaffen bemüht
zu haben, um den Schülern Sinn und Bedeutung der heiligen Handlungen
klar zu macheu und ihre Herzen für eine würdige und fruchtreiche Begehung
der Feier vorzubereiten, und so erklärte ich denn, wenn die Bengel und Bälger
etwa kämen, mir ein Geschenk zu überreichen — das war mir angekündigt
worden —, so würde ich sie rausschmeißen. Ein paar Tage darauf suchte
man mich zu begütigen. Der Irrtum habe sich aufgeklärt. Mein Vorgänger
habe immer schon lange vor Ostern den Marsch zum Altar einexerziert, und
das sei diesmal noch nicht geschehen; nur dieses hätten die Kinder gemeint.
Nun habe ich auch immer darauf gehalten, daß in der Kirche alles hübsch
ordentlich zugehe, und habe namentlich die Ministranten tüchtig einexerziert,
aber für den Gang zum Abendmahl ist doch keine besondre Einübung er¬
forderlich; es genügt, wenn man den Kindern sagte, in welcher Ordnung sie
kommen und wo sie Platz nehmen sollen. Die so schmerzlich vermißte Ein¬
übung übernahm dann der Küster, und das Ergebnis war ein lächerlich aus¬
sehender und darum die Andacht störender Gänsemarsch. Gerade bei der ersten
Kommunion war ich immer bemüht gewesen, störende Äußerlichkeiten fernzuhalten.
So hatte ich einmal in Liegnitz den Knaben gesagt: Ihr seid alle arme Jungen
und an Glacehandschuhe nicht gewöhnt; zur erste» Kommunion bekommt ihr die
ersten, aber zieht sie lieber nicht an, denn das ungewohnte Zeug an der Hand
würde eure Aufmerksamkeit von, Gebet abziehen. Und siehe da, kein einziger
trug Handschuhe; aber zum Nachmittagsgottesdienst erschienen sie alle behand¬
schuht, um zu zeigen, daß sie welche hätten. Von dem vielen Wunderliche»,
was sich in der Wirrnis dieses Kirchenstreits ereignete, will ich nur noch eins
erwähnen. Ehe die Offenburger Altkatholiken einen Geistlichen bekamen, hatte
e>n Arzt, ein hochgebildeter Mann von anerkannt ehrenwerten Charakter, be¬
antragt, seine Söhne vom Religionsunterricht zu entbinden, und erklärt, er
wolle sie selbst in der Religion unterrichten, aber „Großherzogliches Ministerium"
ging nicht darauf ein; dieselbe Negierung, die den römischen Katholizismus
leidenschaftlich bekämpfte, zwang den Manu, seine Söhne in den römisch¬
katholischen Religionsunterricht zu schicken Aufrichtige Altkatholikiuuen waren
die Frauen. Manche von ihnen waren fromm, und es hatte sie einen schweren
Kampf gekostet, ihren Männern zu folgen; die übrigen »ahmen die Sache
Wenigstens sehr ernst als eine Angelegenheit des Gewissens und der Über¬
zeugung, und es empörte sie, wenn der eine oder der andre von den Männern
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