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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mcnnlime

Nicht wenige von den Führern mögen das sehr bald erkannt haben, aber
es anch zu bekennen, daran hinderte sie eine falsche Scham; niemand gesteht
gern ein, daß er im öffentlichen Leben eine unglückliche Rolle übernommen
hat; lieber sucht man sie bis zu Ende durchzuführen, Wenns nicht anders geht,
in der Pose des tragischen Helden. In Offenburg sprach es ein hvchangesehener
und vortrefflicher Mann in einer Versammlung offen ans: Wir haben eine
Thorheit begangen, wir hätten protestantisch werden sollen! Ich widersprach
ihm, weil ich mich für meine Person zum Übertritt nicht hätte entschließen
können. Übrigens haben einige von den liberalen Führern das religiöse Interesse,
das ihnen anfangs abging, nach und nach gewonnen. Bis zum Ausbruch des
französischen Krieges war einige Monate hindurch die Allgemeine Zeitung mit
ihren Janus- und Quirinusartikelu das begehrteste Blatt, und alle großen
Zeitungen druckten sie nach, wie sie dann bald darauf die Grenzboten nach¬
gedruckt haben. Und wie im vierten Jahrhundert die Marktweiber von Alexan-
drien über Homo- und homoiusivs gestritten hatten, so erörterten jetzt die
Stammtischgäste den Primat des römischen Bischofs, und die Parlamente ver¬
wandelten sich in Konzilien. Dann kamen die Agitntionsreisen der Theologie-
Professoren, die Gemeindegründnngeu, und nachdem die Gründer schon eine
Menge theologische Vorträge angehört hatten, mußten sie nun Schande halber
auch manchmal in die Kirche gehen und Predigten anhören. Wenn nun nach
den Professoren ein Geistlicher kam, der eine genießbare Predigt zustande
brachte, so fanden die Herren, daß Religion und Gottesdienst keine so ganz
unvernünftigen und widerwärtigen Dinge seien, als sie sich vorgestellt hatten,
und einige von ihnen fanden sogar Geschmack daran und hielten nicht bloß
Schande halber aus. Andre freilich sparten grundsätzlich mit dem Kirchen¬
besuch, auch wenn sie den Geistlichen gern hörten, denn, sagte mir einmal ein
lieber Freund: Betbruder sind wir nun einmal nicht. Ich bins auch nicht,
aber Kirchenreformatoren müssens sein; denn nur Menschen, die der religiöse
Geist treibt, können die Kirche reformiren oder Kirchen gründen, und das Leben
solcher Menschen ist ein iuunerwährendes Gebet. Darum sagte ich einmal bei
einer besondern Veranlassung, wo die Kirche ziemlich voll war, meinen Zu¬
hörern und guten Freunden: Wenn ihr -- ich hätte sagen sollen: wenn wir --
die Kirche reformiren wollt, so ist das gerade so, wie wenn eine Gesellschaft
von stocktauben die Musik reformiren wollte.

Auch bei diesen aufgeklärte" Herren zeigte sich die merkwürdige Erscheinung,
die ziemlich allgemein wcchrgenvmmcn wird -- nnr unsre deutschen Sozial-
demokraten Haltens darin anders --, daß sie um die religiöse Erziehung ihrer
Kinder sehr besorgt waren. Es machte einen merkwürdigen Eindruck auf mich,
als ich einen berühmten Politiker darüber klagen hörte, daß die altkatholischen
Religionsschnler so wenig zu lernen aufbekämen, denn über die Meinung, daß
die Religion aus biblischem oder theologischen Lehrstoff bestehe und ein-


Jenseits der Mcnnlime

Nicht wenige von den Führern mögen das sehr bald erkannt haben, aber
es anch zu bekennen, daran hinderte sie eine falsche Scham; niemand gesteht
gern ein, daß er im öffentlichen Leben eine unglückliche Rolle übernommen
hat; lieber sucht man sie bis zu Ende durchzuführen, Wenns nicht anders geht,
in der Pose des tragischen Helden. In Offenburg sprach es ein hvchangesehener
und vortrefflicher Mann in einer Versammlung offen ans: Wir haben eine
Thorheit begangen, wir hätten protestantisch werden sollen! Ich widersprach
ihm, weil ich mich für meine Person zum Übertritt nicht hätte entschließen
können. Übrigens haben einige von den liberalen Führern das religiöse Interesse,
das ihnen anfangs abging, nach und nach gewonnen. Bis zum Ausbruch des
französischen Krieges war einige Monate hindurch die Allgemeine Zeitung mit
ihren Janus- und Quirinusartikelu das begehrteste Blatt, und alle großen
Zeitungen druckten sie nach, wie sie dann bald darauf die Grenzboten nach¬
gedruckt haben. Und wie im vierten Jahrhundert die Marktweiber von Alexan-
drien über Homo- und homoiusivs gestritten hatten, so erörterten jetzt die
Stammtischgäste den Primat des römischen Bischofs, und die Parlamente ver¬
wandelten sich in Konzilien. Dann kamen die Agitntionsreisen der Theologie-
Professoren, die Gemeindegründnngeu, und nachdem die Gründer schon eine
Menge theologische Vorträge angehört hatten, mußten sie nun Schande halber
auch manchmal in die Kirche gehen und Predigten anhören. Wenn nun nach
den Professoren ein Geistlicher kam, der eine genießbare Predigt zustande
brachte, so fanden die Herren, daß Religion und Gottesdienst keine so ganz
unvernünftigen und widerwärtigen Dinge seien, als sie sich vorgestellt hatten,
und einige von ihnen fanden sogar Geschmack daran und hielten nicht bloß
Schande halber aus. Andre freilich sparten grundsätzlich mit dem Kirchen¬
besuch, auch wenn sie den Geistlichen gern hörten, denn, sagte mir einmal ein
lieber Freund: Betbruder sind wir nun einmal nicht. Ich bins auch nicht,
aber Kirchenreformatoren müssens sein; denn nur Menschen, die der religiöse
Geist treibt, können die Kirche reformiren oder Kirchen gründen, und das Leben
solcher Menschen ist ein iuunerwährendes Gebet. Darum sagte ich einmal bei
einer besondern Veranlassung, wo die Kirche ziemlich voll war, meinen Zu¬
hörern und guten Freunden: Wenn ihr — ich hätte sagen sollen: wenn wir —
die Kirche reformiren wollt, so ist das gerade so, wie wenn eine Gesellschaft
von stocktauben die Musik reformiren wollte.

Auch bei diesen aufgeklärte» Herren zeigte sich die merkwürdige Erscheinung,
die ziemlich allgemein wcchrgenvmmcn wird — nnr unsre deutschen Sozial-
demokraten Haltens darin anders —, daß sie um die religiöse Erziehung ihrer
Kinder sehr besorgt waren. Es machte einen merkwürdigen Eindruck auf mich,
als ich einen berühmten Politiker darüber klagen hörte, daß die altkatholischen
Religionsschnler so wenig zu lernen aufbekämen, denn über die Meinung, daß
die Religion aus biblischem oder theologischen Lehrstoff bestehe und ein-


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[0394] Jenseits der Mcnnlime Nicht wenige von den Führern mögen das sehr bald erkannt haben, aber es anch zu bekennen, daran hinderte sie eine falsche Scham; niemand gesteht gern ein, daß er im öffentlichen Leben eine unglückliche Rolle übernommen hat; lieber sucht man sie bis zu Ende durchzuführen, Wenns nicht anders geht, in der Pose des tragischen Helden. In Offenburg sprach es ein hvchangesehener und vortrefflicher Mann in einer Versammlung offen ans: Wir haben eine Thorheit begangen, wir hätten protestantisch werden sollen! Ich widersprach ihm, weil ich mich für meine Person zum Übertritt nicht hätte entschließen können. Übrigens haben einige von den liberalen Führern das religiöse Interesse, das ihnen anfangs abging, nach und nach gewonnen. Bis zum Ausbruch des französischen Krieges war einige Monate hindurch die Allgemeine Zeitung mit ihren Janus- und Quirinusartikelu das begehrteste Blatt, und alle großen Zeitungen druckten sie nach, wie sie dann bald darauf die Grenzboten nach¬ gedruckt haben. Und wie im vierten Jahrhundert die Marktweiber von Alexan- drien über Homo- und homoiusivs gestritten hatten, so erörterten jetzt die Stammtischgäste den Primat des römischen Bischofs, und die Parlamente ver¬ wandelten sich in Konzilien. Dann kamen die Agitntionsreisen der Theologie- Professoren, die Gemeindegründnngeu, und nachdem die Gründer schon eine Menge theologische Vorträge angehört hatten, mußten sie nun Schande halber auch manchmal in die Kirche gehen und Predigten anhören. Wenn nun nach den Professoren ein Geistlicher kam, der eine genießbare Predigt zustande brachte, so fanden die Herren, daß Religion und Gottesdienst keine so ganz unvernünftigen und widerwärtigen Dinge seien, als sie sich vorgestellt hatten, und einige von ihnen fanden sogar Geschmack daran und hielten nicht bloß Schande halber aus. Andre freilich sparten grundsätzlich mit dem Kirchen¬ besuch, auch wenn sie den Geistlichen gern hörten, denn, sagte mir einmal ein lieber Freund: Betbruder sind wir nun einmal nicht. Ich bins auch nicht, aber Kirchenreformatoren müssens sein; denn nur Menschen, die der religiöse Geist treibt, können die Kirche reformiren oder Kirchen gründen, und das Leben solcher Menschen ist ein iuunerwährendes Gebet. Darum sagte ich einmal bei einer besondern Veranlassung, wo die Kirche ziemlich voll war, meinen Zu¬ hörern und guten Freunden: Wenn ihr — ich hätte sagen sollen: wenn wir — die Kirche reformiren wollt, so ist das gerade so, wie wenn eine Gesellschaft von stocktauben die Musik reformiren wollte. Auch bei diesen aufgeklärte» Herren zeigte sich die merkwürdige Erscheinung, die ziemlich allgemein wcchrgenvmmcn wird — nnr unsre deutschen Sozial- demokraten Haltens darin anders —, daß sie um die religiöse Erziehung ihrer Kinder sehr besorgt waren. Es machte einen merkwürdigen Eindruck auf mich, als ich einen berühmten Politiker darüber klagen hörte, daß die altkatholischen Religionsschnler so wenig zu lernen aufbekämen, denn über die Meinung, daß die Religion aus biblischem oder theologischen Lehrstoff bestehe und ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/394>, abgerufen am 26.06.2024.