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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Viktaturparagraph und das Sozialistengesetz

machen. Die Neigung, Unruhen zu erregen, liegt den Herren fern, sie wurden
sogar vor dieser Folge erschrecken und die obrigkeitliche Hilfe dagegen nnrnfen.
Aber, um das Treiben nochmals kurz zu bezeichnen, es ist die Geschichte
vom Zauberlehrling, die Gefahren werden heraufbeschworen, ohne die Kraft,
sie wieder zu dämmen. Wenn unsre Staatsleitung nicht den Willen oder nicht
die Macht hat, das gefährliche Spiel zu hemmen, so ist es doch Pflicht, die
bestehenden Vorkehrungen gegen thätige Ausbrüche zu hüten und zu wahren,
sie eher zu vermehren als in ihre Schmälerung zu willigen. Und dann
giebts ja noch andre Volksführer, solche, denen der Brand, den sie im Herzen
hegen, etwas mehr als ein geistliches oder ungastliches Spielzeug ist. Endlich,
auch um der uns zugeneigten Teile der Bevölkerung willen müssen wir an der
Warnung festhalten, die der Diktaturparagraph bildet: sie würden es am
schwersten empfinden, wenn wir auch dieses Schwert abgäbe". Rache und
Einschüchterung treiben ja schon jetzt ihr Wesen, in Form von Geschäfts¬
schädigungen, gesellschaftlichen Verrnfserklärnngeu, Hetzereien in den Familien
oder wie sonst, aber sie treten doch gemäßigter und behutsamer auf. Selbst
gegen ihren Willen müssen wir unsre Freunde schützen, denn ihr Wille ist nicht
frei. Ebenso wenig frei ist die Zunge unsrer subaltern- und Unterbeamten;
sie würden nach Aufhebung des Diktatnrparagraphen noch mehr als jetzt von
der Kehrseite der gleißenden Versöhnnngsparole zu erzählen wissen. Freilich,
unsre leitenden Kreise wissen davon nicht viel, denn sie bleiben dem wirk¬
lichen Leben fremd und erhalten von dem Januskopf uur die freundliche Hälfte
zugekehrt.

Wohin wir auch blicken, überall stellt sich heraus, daß Unfreiheit des
Geistes, des Charakters und des Handelns das wahre Gesicht dessen ist, was
man als Ruheliebe und Fügsamkeit anpreist und ausnutzt. So etwas ist ja
nicht ohne Wert, denn es verhütet manche Gesetzcsverletzung, aber "in den
Willen" nimmt es das Gesetz nicht auf und macht darum dessen "strenge
Fessel" nicht entbehrlich. Für deren Beseitigung ist denn auch in neuerer Zeit
ein zweiter Grund ausfindig gemacht worden: die <iuoLt,inen als öiFicktö. In
keinem andern deutschen Staate bestehe ein ähnliches Gesetz, deshalb sei Elsaß-
Lothringen in einem unwürdigen Ausnahmezustände, die Elsaß-Lothringer fühlten
sich als Deutsche zweiter Klasse, die Abschaffung sei für sie Ehrensache. So
hat es noch dieser Tage Herr or. Höffel im Landesansschnß ausgedrückt.

Herr Dr. Höffel hat, im Gegensatz zu den Herren Winterer, Cotbus, Preis
und Genossen, Anspruch darauf, ernst genommen zu werden, wenn er vom
deutschen Standpunkt aus argumentire, allein seine Pränüssen und seine Folge¬
rungen sind gleichermaßen hinfällig. Es ist ja richtig, daß es "ur im Reichs-
lande so etwas wie den Diktatnrparagraphen giebt, aber er ist nur eine ge¬
setzliche Formulirung des auch im Reich und in den Einzelstaaten bestehenden
Staatsnvtrechts. Zweifellos hat ferner, wer gegen die Formulirung oder gegen


Der Viktaturparagraph und das Sozialistengesetz

machen. Die Neigung, Unruhen zu erregen, liegt den Herren fern, sie wurden
sogar vor dieser Folge erschrecken und die obrigkeitliche Hilfe dagegen nnrnfen.
Aber, um das Treiben nochmals kurz zu bezeichnen, es ist die Geschichte
vom Zauberlehrling, die Gefahren werden heraufbeschworen, ohne die Kraft,
sie wieder zu dämmen. Wenn unsre Staatsleitung nicht den Willen oder nicht
die Macht hat, das gefährliche Spiel zu hemmen, so ist es doch Pflicht, die
bestehenden Vorkehrungen gegen thätige Ausbrüche zu hüten und zu wahren,
sie eher zu vermehren als in ihre Schmälerung zu willigen. Und dann
giebts ja noch andre Volksführer, solche, denen der Brand, den sie im Herzen
hegen, etwas mehr als ein geistliches oder ungastliches Spielzeug ist. Endlich,
auch um der uns zugeneigten Teile der Bevölkerung willen müssen wir an der
Warnung festhalten, die der Diktaturparagraph bildet: sie würden es am
schwersten empfinden, wenn wir auch dieses Schwert abgäbe». Rache und
Einschüchterung treiben ja schon jetzt ihr Wesen, in Form von Geschäfts¬
schädigungen, gesellschaftlichen Verrnfserklärnngeu, Hetzereien in den Familien
oder wie sonst, aber sie treten doch gemäßigter und behutsamer auf. Selbst
gegen ihren Willen müssen wir unsre Freunde schützen, denn ihr Wille ist nicht
frei. Ebenso wenig frei ist die Zunge unsrer subaltern- und Unterbeamten;
sie würden nach Aufhebung des Diktatnrparagraphen noch mehr als jetzt von
der Kehrseite der gleißenden Versöhnnngsparole zu erzählen wissen. Freilich,
unsre leitenden Kreise wissen davon nicht viel, denn sie bleiben dem wirk¬
lichen Leben fremd und erhalten von dem Januskopf uur die freundliche Hälfte
zugekehrt.

Wohin wir auch blicken, überall stellt sich heraus, daß Unfreiheit des
Geistes, des Charakters und des Handelns das wahre Gesicht dessen ist, was
man als Ruheliebe und Fügsamkeit anpreist und ausnutzt. So etwas ist ja
nicht ohne Wert, denn es verhütet manche Gesetzcsverletzung, aber „in den
Willen" nimmt es das Gesetz nicht auf und macht darum dessen „strenge
Fessel" nicht entbehrlich. Für deren Beseitigung ist denn auch in neuerer Zeit
ein zweiter Grund ausfindig gemacht worden: die <iuoLt,inen als öiFicktö. In
keinem andern deutschen Staate bestehe ein ähnliches Gesetz, deshalb sei Elsaß-
Lothringen in einem unwürdigen Ausnahmezustände, die Elsaß-Lothringer fühlten
sich als Deutsche zweiter Klasse, die Abschaffung sei für sie Ehrensache. So
hat es noch dieser Tage Herr or. Höffel im Landesansschnß ausgedrückt.

Herr Dr. Höffel hat, im Gegensatz zu den Herren Winterer, Cotbus, Preis
und Genossen, Anspruch darauf, ernst genommen zu werden, wenn er vom
deutschen Standpunkt aus argumentire, allein seine Pränüssen und seine Folge¬
rungen sind gleichermaßen hinfällig. Es ist ja richtig, daß es »ur im Reichs-
lande so etwas wie den Diktatnrparagraphen giebt, aber er ist nur eine ge¬
setzliche Formulirung des auch im Reich und in den Einzelstaaten bestehenden
Staatsnvtrechts. Zweifellos hat ferner, wer gegen die Formulirung oder gegen


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[0388] Der Viktaturparagraph und das Sozialistengesetz machen. Die Neigung, Unruhen zu erregen, liegt den Herren fern, sie wurden sogar vor dieser Folge erschrecken und die obrigkeitliche Hilfe dagegen nnrnfen. Aber, um das Treiben nochmals kurz zu bezeichnen, es ist die Geschichte vom Zauberlehrling, die Gefahren werden heraufbeschworen, ohne die Kraft, sie wieder zu dämmen. Wenn unsre Staatsleitung nicht den Willen oder nicht die Macht hat, das gefährliche Spiel zu hemmen, so ist es doch Pflicht, die bestehenden Vorkehrungen gegen thätige Ausbrüche zu hüten und zu wahren, sie eher zu vermehren als in ihre Schmälerung zu willigen. Und dann giebts ja noch andre Volksführer, solche, denen der Brand, den sie im Herzen hegen, etwas mehr als ein geistliches oder ungastliches Spielzeug ist. Endlich, auch um der uns zugeneigten Teile der Bevölkerung willen müssen wir an der Warnung festhalten, die der Diktaturparagraph bildet: sie würden es am schwersten empfinden, wenn wir auch dieses Schwert abgäbe». Rache und Einschüchterung treiben ja schon jetzt ihr Wesen, in Form von Geschäfts¬ schädigungen, gesellschaftlichen Verrnfserklärnngeu, Hetzereien in den Familien oder wie sonst, aber sie treten doch gemäßigter und behutsamer auf. Selbst gegen ihren Willen müssen wir unsre Freunde schützen, denn ihr Wille ist nicht frei. Ebenso wenig frei ist die Zunge unsrer subaltern- und Unterbeamten; sie würden nach Aufhebung des Diktatnrparagraphen noch mehr als jetzt von der Kehrseite der gleißenden Versöhnnngsparole zu erzählen wissen. Freilich, unsre leitenden Kreise wissen davon nicht viel, denn sie bleiben dem wirk¬ lichen Leben fremd und erhalten von dem Januskopf uur die freundliche Hälfte zugekehrt. Wohin wir auch blicken, überall stellt sich heraus, daß Unfreiheit des Geistes, des Charakters und des Handelns das wahre Gesicht dessen ist, was man als Ruheliebe und Fügsamkeit anpreist und ausnutzt. So etwas ist ja nicht ohne Wert, denn es verhütet manche Gesetzcsverletzung, aber „in den Willen" nimmt es das Gesetz nicht auf und macht darum dessen „strenge Fessel" nicht entbehrlich. Für deren Beseitigung ist denn auch in neuerer Zeit ein zweiter Grund ausfindig gemacht worden: die <iuoLt,inen als öiFicktö. In keinem andern deutschen Staate bestehe ein ähnliches Gesetz, deshalb sei Elsaß- Lothringen in einem unwürdigen Ausnahmezustände, die Elsaß-Lothringer fühlten sich als Deutsche zweiter Klasse, die Abschaffung sei für sie Ehrensache. So hat es noch dieser Tage Herr or. Höffel im Landesansschnß ausgedrückt. Herr Dr. Höffel hat, im Gegensatz zu den Herren Winterer, Cotbus, Preis und Genossen, Anspruch darauf, ernst genommen zu werden, wenn er vom deutschen Standpunkt aus argumentire, allein seine Pränüssen und seine Folge¬ rungen sind gleichermaßen hinfällig. Es ist ja richtig, daß es »ur im Reichs- lande so etwas wie den Diktatnrparagraphen giebt, aber er ist nur eine ge¬ setzliche Formulirung des auch im Reich und in den Einzelstaaten bestehenden Staatsnvtrechts. Zweifellos hat ferner, wer gegen die Formulirung oder gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/388>, abgerufen am 26.06.2024.