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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

das Notrecht überhaupt ist, das Recht, politisch dagegen anzukämpfen, aber
mit Ehre und Würde hat das nichts zu thun, weder mit der persönlichen noch
mit der eines ganzen Landes. Es müßte denn jemand Ehre und Würde darin
suchen, sich mit denen, die den Vollmachten des Staatsnotrechs gegenüber ein
böses Gewissen haben, auf gleichen Fuß zu stellen. Davon ist Herr Dr. Höffel
weit entfernt, er ist durchaus loyal. Es liegt also eine Begriffsverwcchslung
und falsche Empfindlichkeit vor, zugleich allerdings, da sie aus viele Gemüter
wirkt, das, was Fürst Bismarck ein politisches Imponderabile nennt. Dagegen
ist das mir eine Phrase, was Herr Dr. Höffel von einem Deutschtum zweiter
Klasse spricht. Wenn das Gefühl davon irgendwo besteht, so ist es ganz ver¬
einzelt, denn die meisten "Einheimischen" fühlen sich gar nicht als Deutsche.
Nie fällt es ihnen ein, sich als Deutsche anzusehen oder zu geben, sie sprechen
sehr viel von Deutschen oder "Schwobeu," aber wie von einem fremden Volk.
Außer den Bewohnern der andern Einzelstaaten bezeichnen sie uns, die Ein-
gewanderten, so, und zwar in allen Generationen; sich selbst und die Ihrigen
kennen nud bezeichnen sie nur als Elsässer oder Lothringer. Darin steht es noch
ebenso wie um ersten Tage der Einverleibung, und das geschieht nicht etwa
bloß gewohnheitsmäßig, sondern mit vollem Bewußtsein und zur Festhaltung
des Gegensatzes. Darin liegt ja kein Protest gegen die Einverleibung mehr,
die Franzosenzeit ist für die Gemüter der großen Mehrheit vorbei, aber ganz
bestimmt und unzweideutig weisen die Leute dadurch die deutsche Volksgemein¬
schaft zurück. Es giebt hierzulande keine politische Thatsache, die fester stünde
als diese, jeden Tag wird sie durch die Erfahrung bestätigt, auch der Büreau-
kratie kann sie nicht unbekannt geblieben sein. Herr Dr. Höffel muß die That¬
sache gleichfalls kennen, aber, durch eine Luftspiegelung gleichsam, sieht er die
Zukunft, auf die er hofft, als gegenwärtig und möchte sie gern von allem, was
er für eine Trübung hält, befreit sehen. Das entspringt ja freundlicher Ge¬
sinnung, aber dislontireu läßt sich eine so nebelhafte Zukunft nicht; wir dürfen
uns sogar ans nichts einlassen, was die Neigung befördert, die Zugehörigkeit
zu Deutschland nur denn hervorzukehren, wenn man etwas haben will. Dann
entdecken nämlich sogar die vorhin genannten Gegner unsrer Sache, daß sie
Deutsche sind, ja es wird bei ihnen und bei ihrer Presse geradezu Mode, in
diesem Fall darauf zu pochen. Gegen die greifbare Unehrlichkeit und Ge¬
fährlichkeit dieses Spiels sollten Herr Dr. Höffel und seine Gesinnungs¬
genossen mitrüsten und sich auf das Unberechtigte ihrer Empfindlichkeit be¬
sinnen.

Statt dieses Verhaltens, das wir befugt sind von unsern Freunden zu
erwarten, kommt es nicht selten vor, daß sie in die Übertreibungen einstimmen,
die dem Diktaturparagraphen von unsern Feinden nachgesagt werden. Die
Leser kennen ihn und werden deshalb darüber lächeln, daß Herr Winterer ihn
noch vor wenigen Tagen für ein Monstrum erklärt und sich voriges Jahr zu


Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz

das Notrecht überhaupt ist, das Recht, politisch dagegen anzukämpfen, aber
mit Ehre und Würde hat das nichts zu thun, weder mit der persönlichen noch
mit der eines ganzen Landes. Es müßte denn jemand Ehre und Würde darin
suchen, sich mit denen, die den Vollmachten des Staatsnotrechs gegenüber ein
böses Gewissen haben, auf gleichen Fuß zu stellen. Davon ist Herr Dr. Höffel
weit entfernt, er ist durchaus loyal. Es liegt also eine Begriffsverwcchslung
und falsche Empfindlichkeit vor, zugleich allerdings, da sie aus viele Gemüter
wirkt, das, was Fürst Bismarck ein politisches Imponderabile nennt. Dagegen
ist das mir eine Phrase, was Herr Dr. Höffel von einem Deutschtum zweiter
Klasse spricht. Wenn das Gefühl davon irgendwo besteht, so ist es ganz ver¬
einzelt, denn die meisten „Einheimischen" fühlen sich gar nicht als Deutsche.
Nie fällt es ihnen ein, sich als Deutsche anzusehen oder zu geben, sie sprechen
sehr viel von Deutschen oder „Schwobeu," aber wie von einem fremden Volk.
Außer den Bewohnern der andern Einzelstaaten bezeichnen sie uns, die Ein-
gewanderten, so, und zwar in allen Generationen; sich selbst und die Ihrigen
kennen nud bezeichnen sie nur als Elsässer oder Lothringer. Darin steht es noch
ebenso wie um ersten Tage der Einverleibung, und das geschieht nicht etwa
bloß gewohnheitsmäßig, sondern mit vollem Bewußtsein und zur Festhaltung
des Gegensatzes. Darin liegt ja kein Protest gegen die Einverleibung mehr,
die Franzosenzeit ist für die Gemüter der großen Mehrheit vorbei, aber ganz
bestimmt und unzweideutig weisen die Leute dadurch die deutsche Volksgemein¬
schaft zurück. Es giebt hierzulande keine politische Thatsache, die fester stünde
als diese, jeden Tag wird sie durch die Erfahrung bestätigt, auch der Büreau-
kratie kann sie nicht unbekannt geblieben sein. Herr Dr. Höffel muß die That¬
sache gleichfalls kennen, aber, durch eine Luftspiegelung gleichsam, sieht er die
Zukunft, auf die er hofft, als gegenwärtig und möchte sie gern von allem, was
er für eine Trübung hält, befreit sehen. Das entspringt ja freundlicher Ge¬
sinnung, aber dislontireu läßt sich eine so nebelhafte Zukunft nicht; wir dürfen
uns sogar ans nichts einlassen, was die Neigung befördert, die Zugehörigkeit
zu Deutschland nur denn hervorzukehren, wenn man etwas haben will. Dann
entdecken nämlich sogar die vorhin genannten Gegner unsrer Sache, daß sie
Deutsche sind, ja es wird bei ihnen und bei ihrer Presse geradezu Mode, in
diesem Fall darauf zu pochen. Gegen die greifbare Unehrlichkeit und Ge¬
fährlichkeit dieses Spiels sollten Herr Dr. Höffel und seine Gesinnungs¬
genossen mitrüsten und sich auf das Unberechtigte ihrer Empfindlichkeit be¬
sinnen.

Statt dieses Verhaltens, das wir befugt sind von unsern Freunden zu
erwarten, kommt es nicht selten vor, daß sie in die Übertreibungen einstimmen,
die dem Diktaturparagraphen von unsern Feinden nachgesagt werden. Die
Leser kennen ihn und werden deshalb darüber lächeln, daß Herr Winterer ihn
noch vor wenigen Tagen für ein Monstrum erklärt und sich voriges Jahr zu


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[0389] Der Diktaturparagraph und das Sozialistengesetz das Notrecht überhaupt ist, das Recht, politisch dagegen anzukämpfen, aber mit Ehre und Würde hat das nichts zu thun, weder mit der persönlichen noch mit der eines ganzen Landes. Es müßte denn jemand Ehre und Würde darin suchen, sich mit denen, die den Vollmachten des Staatsnotrechs gegenüber ein böses Gewissen haben, auf gleichen Fuß zu stellen. Davon ist Herr Dr. Höffel weit entfernt, er ist durchaus loyal. Es liegt also eine Begriffsverwcchslung und falsche Empfindlichkeit vor, zugleich allerdings, da sie aus viele Gemüter wirkt, das, was Fürst Bismarck ein politisches Imponderabile nennt. Dagegen ist das mir eine Phrase, was Herr Dr. Höffel von einem Deutschtum zweiter Klasse spricht. Wenn das Gefühl davon irgendwo besteht, so ist es ganz ver¬ einzelt, denn die meisten „Einheimischen" fühlen sich gar nicht als Deutsche. Nie fällt es ihnen ein, sich als Deutsche anzusehen oder zu geben, sie sprechen sehr viel von Deutschen oder „Schwobeu," aber wie von einem fremden Volk. Außer den Bewohnern der andern Einzelstaaten bezeichnen sie uns, die Ein- gewanderten, so, und zwar in allen Generationen; sich selbst und die Ihrigen kennen nud bezeichnen sie nur als Elsässer oder Lothringer. Darin steht es noch ebenso wie um ersten Tage der Einverleibung, und das geschieht nicht etwa bloß gewohnheitsmäßig, sondern mit vollem Bewußtsein und zur Festhaltung des Gegensatzes. Darin liegt ja kein Protest gegen die Einverleibung mehr, die Franzosenzeit ist für die Gemüter der großen Mehrheit vorbei, aber ganz bestimmt und unzweideutig weisen die Leute dadurch die deutsche Volksgemein¬ schaft zurück. Es giebt hierzulande keine politische Thatsache, die fester stünde als diese, jeden Tag wird sie durch die Erfahrung bestätigt, auch der Büreau- kratie kann sie nicht unbekannt geblieben sein. Herr Dr. Höffel muß die That¬ sache gleichfalls kennen, aber, durch eine Luftspiegelung gleichsam, sieht er die Zukunft, auf die er hofft, als gegenwärtig und möchte sie gern von allem, was er für eine Trübung hält, befreit sehen. Das entspringt ja freundlicher Ge¬ sinnung, aber dislontireu läßt sich eine so nebelhafte Zukunft nicht; wir dürfen uns sogar ans nichts einlassen, was die Neigung befördert, die Zugehörigkeit zu Deutschland nur denn hervorzukehren, wenn man etwas haben will. Dann entdecken nämlich sogar die vorhin genannten Gegner unsrer Sache, daß sie Deutsche sind, ja es wird bei ihnen und bei ihrer Presse geradezu Mode, in diesem Fall darauf zu pochen. Gegen die greifbare Unehrlichkeit und Ge¬ fährlichkeit dieses Spiels sollten Herr Dr. Höffel und seine Gesinnungs¬ genossen mitrüsten und sich auf das Unberechtigte ihrer Empfindlichkeit be¬ sinnen. Statt dieses Verhaltens, das wir befugt sind von unsern Freunden zu erwarten, kommt es nicht selten vor, daß sie in die Übertreibungen einstimmen, die dem Diktaturparagraphen von unsern Feinden nachgesagt werden. Die Leser kennen ihn und werden deshalb darüber lächeln, daß Herr Winterer ihn noch vor wenigen Tagen für ein Monstrum erklärt und sich voriges Jahr zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/389>, abgerufen am 27.09.2024.