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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Diktatlirparagraph und das Sozialistengesetz

Von innerer Erhebung des Menschen her, während jene bestenfalls aus Ge¬
wöhnung oder aus Abneigung gegen Störungen des Erwerbs, nicht selten
geradezu aus Angst entspringen, jedenfalls schwache und leicht versagende Stützen
sind. Von Gesetzesliebe nun und von der Ehrfurcht vor dem Gesetz nimmt
man in unserm Lande nichts wahr. Meinesteils habe ich im Laufe einer
Amtsthätigkeit, die mich mehr als vierzehn Jahre mit der Bevölkerung in un¬
mittelbare Berührung gebracht hat, unsre neuen Landsleute liebgewonnen, und
ich schätze an ihnen vieles, aber vom ersten bis zum letzten Tage, fast bei allen
und überall habe ich den Drang nach ungesetzlicher Bevorzugung wahrgenommen,
weit mehr als in Altdeutschland. Jeder hat das Gesetz im Munde, aber keiner
im Herzen; für andre mag es gelten, selber will man wenigstens drum herum¬
kommen dürfen. Bei der Volksschmeichelei, die in Presse und Parlament ge¬
trieben wird, dringen solche Beobachtungen sehr schwer in die Öffentlichkeit,
aber wie oft sind mir im Gespräch mit ernsten Männern meine Beobcichtnngen
bestätigt worden! Mit herben Zusätzen, die ich verschweigen möchte.

Die Fügsamkeit insbesondre steht nicht nur den Trägern des Staatsbefehls,
sondern auch denen zu Diensten, die sonst mächtig sind, durch Reichtum z. B.
und gesellschaftlichen Einfluß. Für politische Zwecke ist uns von diesen Kon¬
kurrenten, den Notabeln, die Verfügung über die Fügsamkeit der Bevölkerung
schon entrissen worden. Wir haben das Ungeschick begangen, unsre Konkurrenten
zu stärken, die Notabeln noch notabler zu machen. Ihren Einfluß schöpfen
sie noch aus weitern, uns unzugänglichen Quellen. Die Erinnerungen, das
Gebiet der Volksphantasie, der weitaus größere Teil des Tagcsgetriebes sind
und bleiben denen von uns, die etwas gelten oder zu Worte kommen, fremd;
unsre Gegner leben davon und mitten darin. Meint man, sie würden bei der
Fortsetzung des Wettlaufs vor der Staatsautoritüt Halt machen? Man be¬
achte doch den von Gift und Haß erfüllten Ton der meisten Blätter, die den
katholischen Namen mißbrauchen. Sie werden meist von Geistlichen geleitet,
also von Dienern der notabelsten unter den sozialen Mächten. Glaubt man,
daß die Funken, die von diesen Friedensträgern angeschlagen werden, erlöschen,
wenn sie in den Kreis der Leser dringen? Ist es nicht viel mehr so, daß sie
sich Verstürken und nur auf den Augenblick warten, zur Flamme aufzu¬
lodern? Wenn in den obern Schichten rücksichtslose Leidenschaft ihr Wesen
treibt, so wird sie beim Durchsickern nach unter nicht etwa filtrirt, nicht ge¬
einigt und geläutert, sondern es setzt sich immer mehr Schlamm an, und
der Ausbruch wird immer schwerer zu meistern.

Diese Folgen mögen sich die geistlichen Herren nicht gestehen. Nicht
ihretwegen, sondern aus andern Gründen machen sie mobil: vor allem
um noch mehr Herrschaft von unsrer Schwäche zu erlangen, als sie ihnen schon
jetzt in überreichlicher: Maße gewährt, aber auch um der Abneigung, die der
größte Teil der reichslündischen Geistlichkeit gegen alles Deutsche hegt, Luft zu


Der Diktatlirparagraph und das Sozialistengesetz

Von innerer Erhebung des Menschen her, während jene bestenfalls aus Ge¬
wöhnung oder aus Abneigung gegen Störungen des Erwerbs, nicht selten
geradezu aus Angst entspringen, jedenfalls schwache und leicht versagende Stützen
sind. Von Gesetzesliebe nun und von der Ehrfurcht vor dem Gesetz nimmt
man in unserm Lande nichts wahr. Meinesteils habe ich im Laufe einer
Amtsthätigkeit, die mich mehr als vierzehn Jahre mit der Bevölkerung in un¬
mittelbare Berührung gebracht hat, unsre neuen Landsleute liebgewonnen, und
ich schätze an ihnen vieles, aber vom ersten bis zum letzten Tage, fast bei allen
und überall habe ich den Drang nach ungesetzlicher Bevorzugung wahrgenommen,
weit mehr als in Altdeutschland. Jeder hat das Gesetz im Munde, aber keiner
im Herzen; für andre mag es gelten, selber will man wenigstens drum herum¬
kommen dürfen. Bei der Volksschmeichelei, die in Presse und Parlament ge¬
trieben wird, dringen solche Beobachtungen sehr schwer in die Öffentlichkeit,
aber wie oft sind mir im Gespräch mit ernsten Männern meine Beobcichtnngen
bestätigt worden! Mit herben Zusätzen, die ich verschweigen möchte.

Die Fügsamkeit insbesondre steht nicht nur den Trägern des Staatsbefehls,
sondern auch denen zu Diensten, die sonst mächtig sind, durch Reichtum z. B.
und gesellschaftlichen Einfluß. Für politische Zwecke ist uns von diesen Kon¬
kurrenten, den Notabeln, die Verfügung über die Fügsamkeit der Bevölkerung
schon entrissen worden. Wir haben das Ungeschick begangen, unsre Konkurrenten
zu stärken, die Notabeln noch notabler zu machen. Ihren Einfluß schöpfen
sie noch aus weitern, uns unzugänglichen Quellen. Die Erinnerungen, das
Gebiet der Volksphantasie, der weitaus größere Teil des Tagcsgetriebes sind
und bleiben denen von uns, die etwas gelten oder zu Worte kommen, fremd;
unsre Gegner leben davon und mitten darin. Meint man, sie würden bei der
Fortsetzung des Wettlaufs vor der Staatsautoritüt Halt machen? Man be¬
achte doch den von Gift und Haß erfüllten Ton der meisten Blätter, die den
katholischen Namen mißbrauchen. Sie werden meist von Geistlichen geleitet,
also von Dienern der notabelsten unter den sozialen Mächten. Glaubt man,
daß die Funken, die von diesen Friedensträgern angeschlagen werden, erlöschen,
wenn sie in den Kreis der Leser dringen? Ist es nicht viel mehr so, daß sie
sich Verstürken und nur auf den Augenblick warten, zur Flamme aufzu¬
lodern? Wenn in den obern Schichten rücksichtslose Leidenschaft ihr Wesen
treibt, so wird sie beim Durchsickern nach unter nicht etwa filtrirt, nicht ge¬
einigt und geläutert, sondern es setzt sich immer mehr Schlamm an, und
der Ausbruch wird immer schwerer zu meistern.

Diese Folgen mögen sich die geistlichen Herren nicht gestehen. Nicht
ihretwegen, sondern aus andern Gründen machen sie mobil: vor allem
um noch mehr Herrschaft von unsrer Schwäche zu erlangen, als sie ihnen schon
jetzt in überreichlicher: Maße gewährt, aber auch um der Abneigung, die der
größte Teil der reichslündischen Geistlichkeit gegen alles Deutsche hegt, Luft zu


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[0387] Der Diktatlirparagraph und das Sozialistengesetz Von innerer Erhebung des Menschen her, während jene bestenfalls aus Ge¬ wöhnung oder aus Abneigung gegen Störungen des Erwerbs, nicht selten geradezu aus Angst entspringen, jedenfalls schwache und leicht versagende Stützen sind. Von Gesetzesliebe nun und von der Ehrfurcht vor dem Gesetz nimmt man in unserm Lande nichts wahr. Meinesteils habe ich im Laufe einer Amtsthätigkeit, die mich mehr als vierzehn Jahre mit der Bevölkerung in un¬ mittelbare Berührung gebracht hat, unsre neuen Landsleute liebgewonnen, und ich schätze an ihnen vieles, aber vom ersten bis zum letzten Tage, fast bei allen und überall habe ich den Drang nach ungesetzlicher Bevorzugung wahrgenommen, weit mehr als in Altdeutschland. Jeder hat das Gesetz im Munde, aber keiner im Herzen; für andre mag es gelten, selber will man wenigstens drum herum¬ kommen dürfen. Bei der Volksschmeichelei, die in Presse und Parlament ge¬ trieben wird, dringen solche Beobachtungen sehr schwer in die Öffentlichkeit, aber wie oft sind mir im Gespräch mit ernsten Männern meine Beobcichtnngen bestätigt worden! Mit herben Zusätzen, die ich verschweigen möchte. Die Fügsamkeit insbesondre steht nicht nur den Trägern des Staatsbefehls, sondern auch denen zu Diensten, die sonst mächtig sind, durch Reichtum z. B. und gesellschaftlichen Einfluß. Für politische Zwecke ist uns von diesen Kon¬ kurrenten, den Notabeln, die Verfügung über die Fügsamkeit der Bevölkerung schon entrissen worden. Wir haben das Ungeschick begangen, unsre Konkurrenten zu stärken, die Notabeln noch notabler zu machen. Ihren Einfluß schöpfen sie noch aus weitern, uns unzugänglichen Quellen. Die Erinnerungen, das Gebiet der Volksphantasie, der weitaus größere Teil des Tagcsgetriebes sind und bleiben denen von uns, die etwas gelten oder zu Worte kommen, fremd; unsre Gegner leben davon und mitten darin. Meint man, sie würden bei der Fortsetzung des Wettlaufs vor der Staatsautoritüt Halt machen? Man be¬ achte doch den von Gift und Haß erfüllten Ton der meisten Blätter, die den katholischen Namen mißbrauchen. Sie werden meist von Geistlichen geleitet, also von Dienern der notabelsten unter den sozialen Mächten. Glaubt man, daß die Funken, die von diesen Friedensträgern angeschlagen werden, erlöschen, wenn sie in den Kreis der Leser dringen? Ist es nicht viel mehr so, daß sie sich Verstürken und nur auf den Augenblick warten, zur Flamme aufzu¬ lodern? Wenn in den obern Schichten rücksichtslose Leidenschaft ihr Wesen treibt, so wird sie beim Durchsickern nach unter nicht etwa filtrirt, nicht ge¬ einigt und geläutert, sondern es setzt sich immer mehr Schlamm an, und der Ausbruch wird immer schwerer zu meistern. Diese Folgen mögen sich die geistlichen Herren nicht gestehen. Nicht ihretwegen, sondern aus andern Gründen machen sie mobil: vor allem um noch mehr Herrschaft von unsrer Schwäche zu erlangen, als sie ihnen schon jetzt in überreichlicher: Maße gewährt, aber auch um der Abneigung, die der größte Teil der reichslündischen Geistlichkeit gegen alles Deutsche hegt, Luft zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/387>, abgerufen am 26.06.2024.