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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Dikwturparagraxh und das Sozialisteugesctz

die Ordnung wiederherstellen, aber zugleich die Sozialreform begraben würde,
von der die dauernde Erhaltung des sozialen Friedens und unsrer Volkskraft
abhängt. Alleiniger Erbe des positiven Niederschlags wäre der Kapitalismus
mit seinem Wüstenhauch.

In Elsaß-Lothringen ist der Diktatnrparagrciph in Kraft geblieben, seine
Geltung war ja vom Svzialistengesetz unabhängig und ältern Datums. Er
besteht jetzt fünfundzwanzig Jahre. Während dieses langen Zeitraums ist er so
selteu angewendet worden, daß es jedem auffallen muß, der die Menge des
Zündstoffs in einem neu erworbnen Lande bedenkt; besonders hervorzuheben
ist, daß er immer nur einzelne Personen oder Unternehmungen, nie ganze Orte
oder Bezirke getroffen hat. Der Diktaturparagraph hat seine Dienste ohne
Soldaten geleistet, ohne Velageruugszustand, ohne Zwangseinquartiernngen und
Kriegsgerichte, ohne Kaltstellung des rücksichtsvollen Kreisdirektvrs durch den
rücksichtslosen Offizier, ohne irgendwelche Belästigung des friedfertigen Bürgers.
Diesem, mag er auch französisch oder sozialistisch gesinnt sein, thut der Diktatur-
Paragraph nicht mehr weh als dem eifrigsten Anhänger der deutschen Sache
und als dem, der soziale Nöte ganz leugnet; für den Friedfertigen ist er das¬
selbe wie der Strafgesetzbuchsparagraph, der auf den Mord Todesstrafe setzt:
eine Drohung, die nur Schuldige trifft. Wir leben im Reichslande ebenso
frei wie in irgend einem andern Teile Deutschlands. Was die Presse anlangt,
so ist sogar für den Geschmack derer gesorgt, die nur die Überschreitung des
Maßes Freiheit nennen: die Sprache eines großen Teils der reichsländischen
Presse ist geradezu zügellos, Tag für Tag. Aber allerdings die öffentliche
Sicherheit ist beschützt, gegen den, der ihr gefährlich wird, sind Waffen vor¬
handen, z. B. gegen den, der den "Geisteskampf" auf die Straße trügt oder
in Volksversammlungen hetzt. Diese Waffen sind ja nicht auf den Diktatur-
Paragraphen beschränkt, auch Rüstzeug aus der französischen Vergangenheit ist
darunter; die für die Volksempfindung unheimlichste Macht hat doch der
Diktaturparagraph. Dieser Empfindung namentlich ist es zu danken, daß
grobe Ausschreitungen immer vereinzelt geblieben sind. So hat sich denn der
Diktnturparagraph in der That als eine Schutzwehr ordnungsmäßiger Freiheit
erwiesen, er ist ein Vorzug, den Elsaß-Lothringen vor den andern deutschen
Ländern hat. Einerseits wirkt die Angemessenheit seiner Vollmachten Furcht
erregend, sie "schreckt die Bösen," andrerseits ist Mißbrauch dadurch verhütet,
daß die Vollmachten in die Hände des stellvertretenden Staatsoberhaupts ge¬
legt siud. Der Statthalter steht viel zu hoch, als daß er anders als bei be¬
deutenden Anlässen eingreifen könnte, ein häufiger oder kleinlicher Gebrauch
des ihm verliehenen Schwertes verbietet sich von selbst; so scharf es ist, es
müßte schartig werden, wenn er damit das kleine Unkraut mühen wollte.
Subalterne Handhabung mit ihren Gefahren ist ganz ausgeschlossen.

Trotzdem ist der Diktaturparagraph Gegenstand lebhafter Angriffe ge-


Grcnzboten I tM7 48
Der Dikwturparagraxh und das Sozialisteugesctz

die Ordnung wiederherstellen, aber zugleich die Sozialreform begraben würde,
von der die dauernde Erhaltung des sozialen Friedens und unsrer Volkskraft
abhängt. Alleiniger Erbe des positiven Niederschlags wäre der Kapitalismus
mit seinem Wüstenhauch.

In Elsaß-Lothringen ist der Diktatnrparagrciph in Kraft geblieben, seine
Geltung war ja vom Svzialistengesetz unabhängig und ältern Datums. Er
besteht jetzt fünfundzwanzig Jahre. Während dieses langen Zeitraums ist er so
selteu angewendet worden, daß es jedem auffallen muß, der die Menge des
Zündstoffs in einem neu erworbnen Lande bedenkt; besonders hervorzuheben
ist, daß er immer nur einzelne Personen oder Unternehmungen, nie ganze Orte
oder Bezirke getroffen hat. Der Diktaturparagraph hat seine Dienste ohne
Soldaten geleistet, ohne Velageruugszustand, ohne Zwangseinquartiernngen und
Kriegsgerichte, ohne Kaltstellung des rücksichtsvollen Kreisdirektvrs durch den
rücksichtslosen Offizier, ohne irgendwelche Belästigung des friedfertigen Bürgers.
Diesem, mag er auch französisch oder sozialistisch gesinnt sein, thut der Diktatur-
Paragraph nicht mehr weh als dem eifrigsten Anhänger der deutschen Sache
und als dem, der soziale Nöte ganz leugnet; für den Friedfertigen ist er das¬
selbe wie der Strafgesetzbuchsparagraph, der auf den Mord Todesstrafe setzt:
eine Drohung, die nur Schuldige trifft. Wir leben im Reichslande ebenso
frei wie in irgend einem andern Teile Deutschlands. Was die Presse anlangt,
so ist sogar für den Geschmack derer gesorgt, die nur die Überschreitung des
Maßes Freiheit nennen: die Sprache eines großen Teils der reichsländischen
Presse ist geradezu zügellos, Tag für Tag. Aber allerdings die öffentliche
Sicherheit ist beschützt, gegen den, der ihr gefährlich wird, sind Waffen vor¬
handen, z. B. gegen den, der den „Geisteskampf" auf die Straße trügt oder
in Volksversammlungen hetzt. Diese Waffen sind ja nicht auf den Diktatur-
Paragraphen beschränkt, auch Rüstzeug aus der französischen Vergangenheit ist
darunter; die für die Volksempfindung unheimlichste Macht hat doch der
Diktaturparagraph. Dieser Empfindung namentlich ist es zu danken, daß
grobe Ausschreitungen immer vereinzelt geblieben sind. So hat sich denn der
Diktnturparagraph in der That als eine Schutzwehr ordnungsmäßiger Freiheit
erwiesen, er ist ein Vorzug, den Elsaß-Lothringen vor den andern deutschen
Ländern hat. Einerseits wirkt die Angemessenheit seiner Vollmachten Furcht
erregend, sie „schreckt die Bösen," andrerseits ist Mißbrauch dadurch verhütet,
daß die Vollmachten in die Hände des stellvertretenden Staatsoberhaupts ge¬
legt siud. Der Statthalter steht viel zu hoch, als daß er anders als bei be¬
deutenden Anlässen eingreifen könnte, ein häufiger oder kleinlicher Gebrauch
des ihm verliehenen Schwertes verbietet sich von selbst; so scharf es ist, es
müßte schartig werden, wenn er damit das kleine Unkraut mühen wollte.
Subalterne Handhabung mit ihren Gefahren ist ganz ausgeschlossen.

Trotzdem ist der Diktaturparagraph Gegenstand lebhafter Angriffe ge-


Grcnzboten I tM7 48
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/385>, abgerufen am 26.06.2024.