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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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John Gabriel Borkman

so weit hinauszuglänzen, daß kein Mensch mehr im Lande den Schatten sieht,
den sein Vater über seine Frau und ihn geworfen hat." Der junge Bursche
hat aber ganz andre Gedanken im Kopf als seine "große Mission," eine
klingende Phrase übrigens, mit der Ibsen seinen Anhängern gerade so blauen
Dunst vorgemacht hat, wie mit der "idealen Forderung." mit der sich die
Phantasten und Idioten in der "Wildente" benebeln. Der Junge will sich
um jeden Preis amüsiren. er will sein Leben in vollen Zügen genießen, und
dazu verhilft die reiche Sirene, die mit ihm hinaus in die Welt zieht, zur
Vorsorge aber noch ein junges Mädchen mitnimmt, damit, wie sie sich in
Gegenwart der ganzen Familie mit cynischer Offenheit ausdrückt, "der arme
Mensch jemand in der Hinterhand hat, wenn er mit ihr und sie mit ihm fertig
ist." Es ist schwer, bei solchen Auftritten noch an die Aufrichtigkeit des
Jbsenschen Idealismus zu glauben. Eher scheint es uns, als habe der Nor¬
weger eine Anleihe bei einem der neuesten französischen Sittendramen gemacht,
in denen alte Kokotten, die sich an der naiven Kraft unverdorbner Jünglinge
wieder auffrischen wollen, immer noch den Gegenstand seelischer Analysen bilden.

Während sich diese erbaulichen Dinge im Erdgeschoß langsam vorbereiten,
läuft der ebenfalls mit seiner "großen Mission" als Menschheitbeglücker klüglich
gescheiterte Bankdirektor in dem Stockwerk vom frühen Morgen bis tief in
die Nacht auf und ab, einen Tag wie den andern, wie "ein kranker Wolf
im Käfig." Damit vergleicht ihn seine Frau, die ihrer Schwester davon er¬
zählt hat. Acht lange Jahre hat er es so getrieben, und seine Beschäftigung
hat darin bestanden, daß er immer wieder seinen Prozeß durchgegangen ist,
als Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person. Er ist immer wieder
zu demselben Ergebnis, der unbedingten Freisprechung gekommen; denn nicht
er ist der eigentliche Verbrecher gewesen, sondern der Advokat, der kurz vor
der Entscheidung, dicht vor seinem heißersehnten Siege seine betrügerischen Hand¬
lungen aufgedeckt hat. Aus gemeiner Rachsucht, wie Borkman meint, weil
jeder dieser Ehrenmänner hinter dem andern nur die niedrigsten Motive sucht.
Durch die Weigerung Ella Rentheims ist der Advokat um die Frucht seines
schmählichen Handels mit Borkman gekommen, und in der Meinung, daß
dieser hinter Elias Weigerung stecke, führt er Borkmcms Sturz herbei.

In der ersten Begegnung, die dieser mit Ella nach ihrer Rückkehr hat,
ist er so unklug, die schone Rührung des Wiedersehens nach langen, bangen
Jahren im Eifer der Verteidigung seines Handelns durch die Enthüllung seiner
Machenschaften mit dem Advokaten zu stören. Mit niederschmetternder Gewalt
wirkt diese grausame Offenbarung auf das arme Mädchen, das immer noch in
einem Winkel seines Herzens mit dem Geliebten seiner Jugend einen stillen
Kultus getrieben hat. Solche ungeheuerliche That ist aber auch ungeheuer¬
licher Worte würdig, und um solche ist Ibsen niemals verlegen. "Du bist
ein Mörder! ruft Ella dem Unseligen zu. Du hast die große Todsünde be-


John Gabriel Borkman

so weit hinauszuglänzen, daß kein Mensch mehr im Lande den Schatten sieht,
den sein Vater über seine Frau und ihn geworfen hat." Der junge Bursche
hat aber ganz andre Gedanken im Kopf als seine „große Mission," eine
klingende Phrase übrigens, mit der Ibsen seinen Anhängern gerade so blauen
Dunst vorgemacht hat, wie mit der „idealen Forderung." mit der sich die
Phantasten und Idioten in der „Wildente" benebeln. Der Junge will sich
um jeden Preis amüsiren. er will sein Leben in vollen Zügen genießen, und
dazu verhilft die reiche Sirene, die mit ihm hinaus in die Welt zieht, zur
Vorsorge aber noch ein junges Mädchen mitnimmt, damit, wie sie sich in
Gegenwart der ganzen Familie mit cynischer Offenheit ausdrückt, „der arme
Mensch jemand in der Hinterhand hat, wenn er mit ihr und sie mit ihm fertig
ist." Es ist schwer, bei solchen Auftritten noch an die Aufrichtigkeit des
Jbsenschen Idealismus zu glauben. Eher scheint es uns, als habe der Nor¬
weger eine Anleihe bei einem der neuesten französischen Sittendramen gemacht,
in denen alte Kokotten, die sich an der naiven Kraft unverdorbner Jünglinge
wieder auffrischen wollen, immer noch den Gegenstand seelischer Analysen bilden.

Während sich diese erbaulichen Dinge im Erdgeschoß langsam vorbereiten,
läuft der ebenfalls mit seiner „großen Mission" als Menschheitbeglücker klüglich
gescheiterte Bankdirektor in dem Stockwerk vom frühen Morgen bis tief in
die Nacht auf und ab, einen Tag wie den andern, wie „ein kranker Wolf
im Käfig." Damit vergleicht ihn seine Frau, die ihrer Schwester davon er¬
zählt hat. Acht lange Jahre hat er es so getrieben, und seine Beschäftigung
hat darin bestanden, daß er immer wieder seinen Prozeß durchgegangen ist,
als Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person. Er ist immer wieder
zu demselben Ergebnis, der unbedingten Freisprechung gekommen; denn nicht
er ist der eigentliche Verbrecher gewesen, sondern der Advokat, der kurz vor
der Entscheidung, dicht vor seinem heißersehnten Siege seine betrügerischen Hand¬
lungen aufgedeckt hat. Aus gemeiner Rachsucht, wie Borkman meint, weil
jeder dieser Ehrenmänner hinter dem andern nur die niedrigsten Motive sucht.
Durch die Weigerung Ella Rentheims ist der Advokat um die Frucht seines
schmählichen Handels mit Borkman gekommen, und in der Meinung, daß
dieser hinter Elias Weigerung stecke, führt er Borkmcms Sturz herbei.

In der ersten Begegnung, die dieser mit Ella nach ihrer Rückkehr hat,
ist er so unklug, die schone Rührung des Wiedersehens nach langen, bangen
Jahren im Eifer der Verteidigung seines Handelns durch die Enthüllung seiner
Machenschaften mit dem Advokaten zu stören. Mit niederschmetternder Gewalt
wirkt diese grausame Offenbarung auf das arme Mädchen, das immer noch in
einem Winkel seines Herzens mit dem Geliebten seiner Jugend einen stillen
Kultus getrieben hat. Solche ungeheuerliche That ist aber auch ungeheuer¬
licher Worte würdig, und um solche ist Ibsen niemals verlegen. „Du bist
ein Mörder! ruft Ella dem Unseligen zu. Du hast die große Todsünde be-


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[0360] John Gabriel Borkman so weit hinauszuglänzen, daß kein Mensch mehr im Lande den Schatten sieht, den sein Vater über seine Frau und ihn geworfen hat." Der junge Bursche hat aber ganz andre Gedanken im Kopf als seine „große Mission," eine klingende Phrase übrigens, mit der Ibsen seinen Anhängern gerade so blauen Dunst vorgemacht hat, wie mit der „idealen Forderung." mit der sich die Phantasten und Idioten in der „Wildente" benebeln. Der Junge will sich um jeden Preis amüsiren. er will sein Leben in vollen Zügen genießen, und dazu verhilft die reiche Sirene, die mit ihm hinaus in die Welt zieht, zur Vorsorge aber noch ein junges Mädchen mitnimmt, damit, wie sie sich in Gegenwart der ganzen Familie mit cynischer Offenheit ausdrückt, „der arme Mensch jemand in der Hinterhand hat, wenn er mit ihr und sie mit ihm fertig ist." Es ist schwer, bei solchen Auftritten noch an die Aufrichtigkeit des Jbsenschen Idealismus zu glauben. Eher scheint es uns, als habe der Nor¬ weger eine Anleihe bei einem der neuesten französischen Sittendramen gemacht, in denen alte Kokotten, die sich an der naiven Kraft unverdorbner Jünglinge wieder auffrischen wollen, immer noch den Gegenstand seelischer Analysen bilden. Während sich diese erbaulichen Dinge im Erdgeschoß langsam vorbereiten, läuft der ebenfalls mit seiner „großen Mission" als Menschheitbeglücker klüglich gescheiterte Bankdirektor in dem Stockwerk vom frühen Morgen bis tief in die Nacht auf und ab, einen Tag wie den andern, wie „ein kranker Wolf im Käfig." Damit vergleicht ihn seine Frau, die ihrer Schwester davon er¬ zählt hat. Acht lange Jahre hat er es so getrieben, und seine Beschäftigung hat darin bestanden, daß er immer wieder seinen Prozeß durchgegangen ist, als Ankläger, Verteidiger und Richter in einer Person. Er ist immer wieder zu demselben Ergebnis, der unbedingten Freisprechung gekommen; denn nicht er ist der eigentliche Verbrecher gewesen, sondern der Advokat, der kurz vor der Entscheidung, dicht vor seinem heißersehnten Siege seine betrügerischen Hand¬ lungen aufgedeckt hat. Aus gemeiner Rachsucht, wie Borkman meint, weil jeder dieser Ehrenmänner hinter dem andern nur die niedrigsten Motive sucht. Durch die Weigerung Ella Rentheims ist der Advokat um die Frucht seines schmählichen Handels mit Borkman gekommen, und in der Meinung, daß dieser hinter Elias Weigerung stecke, führt er Borkmcms Sturz herbei. In der ersten Begegnung, die dieser mit Ella nach ihrer Rückkehr hat, ist er so unklug, die schone Rührung des Wiedersehens nach langen, bangen Jahren im Eifer der Verteidigung seines Handelns durch die Enthüllung seiner Machenschaften mit dem Advokaten zu stören. Mit niederschmetternder Gewalt wirkt diese grausame Offenbarung auf das arme Mädchen, das immer noch in einem Winkel seines Herzens mit dem Geliebten seiner Jugend einen stillen Kultus getrieben hat. Solche ungeheuerliche That ist aber auch ungeheuer¬ licher Worte würdig, und um solche ist Ibsen niemals verlegen. „Du bist ein Mörder! ruft Ella dem Unseligen zu. Du hast die große Todsünde be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/360>, abgerufen am 26.06.2024.