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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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John Gabriel Borkman

hätte Millionen schaffen können. "Alle die Bergwerke, die ich mir unter¬
worfen hätte! Neue Gruben ins Unendliche! die Wasserfälle! die Steinbrüche!
Handelsstraßen und Schiffahrtsverbindungcn über die ganze Welt. Alles,
alles hätte ich allein zu Wege gebracht! .... Hätte ich nur acht Tage Frist
gehabt, um alles in Ordnung zu bringen. Alle Depositen wären da wieder
eingelöst gewesen. Alle die Wertpapiere, von denen ich mit kühner Hand Ge¬
brauch gemacht hatte, sie hätten da wieder an ihrem Platz gelegen wie zuvor.
Es fehlte kaum ein Haar, und die ungeheuren Aktiengesellschaften wären damals
zu stände gekommen. Kein einziger Mensch Hütte einen Pfennig zu verlieren
brauchen --"

Die alte Logik aller Bankräuber, Schwindler und Bankerotteure! Wir
kennen sie seit dem großen Wiener Bankkrach von 1873 und sind dann durch
zahlreiche Gerichtsverhandlungen -- wir erinnern nnr aus jener ersten Zeit
an den famosen Ritter Ofenheim von Pont-Enxin -- in alle Geheimnisse
dieser Halunken eingeweiht worden, auch in ihre angeblichen seelischen Schmerzen!
Ibsen hat seinen Bankräuber auch mit dieser Gloriole umweben wollen, aber
damit nicht etwa die Gestalt Borkmans interessanter gemacht, sondern nur
für etwas Rührung gesorgt. Der lange Verkehr mit dem Theater hat den
harten Idealisten schließlich doch dazu gebracht, auch den Frauen etwas zu
bieten, das auf ihre Thränendrüsen wirkt. Der kalte Spekulant Borkman
war nämlich in seiner Jngend auch ein Herzenbrecher gewesen, obwohl ihm
schon damals die leiseste Regung eines Gemütsmenschen abging. Die Zwillings¬
schwester seiner jetzigen Frau war heimlich mit ihm verlobt; aber er entsagte
ihr einem Geschäft zuliebe, das er mit einem Advokaten machen wollte, der
selbst ein Auge auf die schöne Ella Rentheim geworfen hatte. Es war ein
Menschenhandel in bester Form, ohne daß die Hauptbeteiligte eine Ahnung
davon hatte. Ella hatte an eine Wandlung im Herzen ihres Geliebten ge¬
glaubt, hatte den Werbungen des Advokaten und andrer widerstanden und war
in die Einsamkeit gegangen, aus der sie erst wieder auftauchte, als es galt,
nach der Katastrophe an dem Sohne des Jugendgeliebten die Stelle der
Mutter zu vertreten, die sich in kaltem Hochmut von dem Zuchthäusler los¬
gesagt hatte.

Nachdem dieser seine Strafe verbüßt hat, hat Ella ihm und deu Seinigen
ihr Familiengut überlassen. Nach weitern acht Jahren der Einsamkeit drängt
es sie, ihren Pflegesohn wiederzusehen, in dem sie den Vater lieben gelernt hat.
Die Zustände, die sie vorfindet, erschüttern sie aufs tiefste. Mann und Frau
leben in zwei Stockwerken getrennt von einander, und der Sohn, ein flotter
Student, führt ein lustiges Leben, dessen Angelpunkt eine geschiedn" Frau
zweifelhaften Rufes bildet. Die Mutter giebt sich die größte Mühe, den Sohn
in Haß und Verachtung gegen den Vater zu erziehen und ihn auf seine "große
Mission" vorzubereiten, die darin bestehen soll, "so hoch emporzusteigen und


John Gabriel Borkman

hätte Millionen schaffen können. „Alle die Bergwerke, die ich mir unter¬
worfen hätte! Neue Gruben ins Unendliche! die Wasserfälle! die Steinbrüche!
Handelsstraßen und Schiffahrtsverbindungcn über die ganze Welt. Alles,
alles hätte ich allein zu Wege gebracht! .... Hätte ich nur acht Tage Frist
gehabt, um alles in Ordnung zu bringen. Alle Depositen wären da wieder
eingelöst gewesen. Alle die Wertpapiere, von denen ich mit kühner Hand Ge¬
brauch gemacht hatte, sie hätten da wieder an ihrem Platz gelegen wie zuvor.
Es fehlte kaum ein Haar, und die ungeheuren Aktiengesellschaften wären damals
zu stände gekommen. Kein einziger Mensch Hütte einen Pfennig zu verlieren
brauchen —"

Die alte Logik aller Bankräuber, Schwindler und Bankerotteure! Wir
kennen sie seit dem großen Wiener Bankkrach von 1873 und sind dann durch
zahlreiche Gerichtsverhandlungen — wir erinnern nnr aus jener ersten Zeit
an den famosen Ritter Ofenheim von Pont-Enxin — in alle Geheimnisse
dieser Halunken eingeweiht worden, auch in ihre angeblichen seelischen Schmerzen!
Ibsen hat seinen Bankräuber auch mit dieser Gloriole umweben wollen, aber
damit nicht etwa die Gestalt Borkmans interessanter gemacht, sondern nur
für etwas Rührung gesorgt. Der lange Verkehr mit dem Theater hat den
harten Idealisten schließlich doch dazu gebracht, auch den Frauen etwas zu
bieten, das auf ihre Thränendrüsen wirkt. Der kalte Spekulant Borkman
war nämlich in seiner Jngend auch ein Herzenbrecher gewesen, obwohl ihm
schon damals die leiseste Regung eines Gemütsmenschen abging. Die Zwillings¬
schwester seiner jetzigen Frau war heimlich mit ihm verlobt; aber er entsagte
ihr einem Geschäft zuliebe, das er mit einem Advokaten machen wollte, der
selbst ein Auge auf die schöne Ella Rentheim geworfen hatte. Es war ein
Menschenhandel in bester Form, ohne daß die Hauptbeteiligte eine Ahnung
davon hatte. Ella hatte an eine Wandlung im Herzen ihres Geliebten ge¬
glaubt, hatte den Werbungen des Advokaten und andrer widerstanden und war
in die Einsamkeit gegangen, aus der sie erst wieder auftauchte, als es galt,
nach der Katastrophe an dem Sohne des Jugendgeliebten die Stelle der
Mutter zu vertreten, die sich in kaltem Hochmut von dem Zuchthäusler los¬
gesagt hatte.

Nachdem dieser seine Strafe verbüßt hat, hat Ella ihm und deu Seinigen
ihr Familiengut überlassen. Nach weitern acht Jahren der Einsamkeit drängt
es sie, ihren Pflegesohn wiederzusehen, in dem sie den Vater lieben gelernt hat.
Die Zustände, die sie vorfindet, erschüttern sie aufs tiefste. Mann und Frau
leben in zwei Stockwerken getrennt von einander, und der Sohn, ein flotter
Student, führt ein lustiges Leben, dessen Angelpunkt eine geschiedn« Frau
zweifelhaften Rufes bildet. Die Mutter giebt sich die größte Mühe, den Sohn
in Haß und Verachtung gegen den Vater zu erziehen und ihn auf seine „große
Mission" vorzubereiten, die darin bestehen soll, „so hoch emporzusteigen und


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[0359] John Gabriel Borkman hätte Millionen schaffen können. „Alle die Bergwerke, die ich mir unter¬ worfen hätte! Neue Gruben ins Unendliche! die Wasserfälle! die Steinbrüche! Handelsstraßen und Schiffahrtsverbindungcn über die ganze Welt. Alles, alles hätte ich allein zu Wege gebracht! .... Hätte ich nur acht Tage Frist gehabt, um alles in Ordnung zu bringen. Alle Depositen wären da wieder eingelöst gewesen. Alle die Wertpapiere, von denen ich mit kühner Hand Ge¬ brauch gemacht hatte, sie hätten da wieder an ihrem Platz gelegen wie zuvor. Es fehlte kaum ein Haar, und die ungeheuren Aktiengesellschaften wären damals zu stände gekommen. Kein einziger Mensch Hütte einen Pfennig zu verlieren brauchen —" Die alte Logik aller Bankräuber, Schwindler und Bankerotteure! Wir kennen sie seit dem großen Wiener Bankkrach von 1873 und sind dann durch zahlreiche Gerichtsverhandlungen — wir erinnern nnr aus jener ersten Zeit an den famosen Ritter Ofenheim von Pont-Enxin — in alle Geheimnisse dieser Halunken eingeweiht worden, auch in ihre angeblichen seelischen Schmerzen! Ibsen hat seinen Bankräuber auch mit dieser Gloriole umweben wollen, aber damit nicht etwa die Gestalt Borkmans interessanter gemacht, sondern nur für etwas Rührung gesorgt. Der lange Verkehr mit dem Theater hat den harten Idealisten schließlich doch dazu gebracht, auch den Frauen etwas zu bieten, das auf ihre Thränendrüsen wirkt. Der kalte Spekulant Borkman war nämlich in seiner Jngend auch ein Herzenbrecher gewesen, obwohl ihm schon damals die leiseste Regung eines Gemütsmenschen abging. Die Zwillings¬ schwester seiner jetzigen Frau war heimlich mit ihm verlobt; aber er entsagte ihr einem Geschäft zuliebe, das er mit einem Advokaten machen wollte, der selbst ein Auge auf die schöne Ella Rentheim geworfen hatte. Es war ein Menschenhandel in bester Form, ohne daß die Hauptbeteiligte eine Ahnung davon hatte. Ella hatte an eine Wandlung im Herzen ihres Geliebten ge¬ glaubt, hatte den Werbungen des Advokaten und andrer widerstanden und war in die Einsamkeit gegangen, aus der sie erst wieder auftauchte, als es galt, nach der Katastrophe an dem Sohne des Jugendgeliebten die Stelle der Mutter zu vertreten, die sich in kaltem Hochmut von dem Zuchthäusler los¬ gesagt hatte. Nachdem dieser seine Strafe verbüßt hat, hat Ella ihm und deu Seinigen ihr Familiengut überlassen. Nach weitern acht Jahren der Einsamkeit drängt es sie, ihren Pflegesohn wiederzusehen, in dem sie den Vater lieben gelernt hat. Die Zustände, die sie vorfindet, erschüttern sie aufs tiefste. Mann und Frau leben in zwei Stockwerken getrennt von einander, und der Sohn, ein flotter Student, führt ein lustiges Leben, dessen Angelpunkt eine geschiedn« Frau zweifelhaften Rufes bildet. Die Mutter giebt sich die größte Mühe, den Sohn in Haß und Verachtung gegen den Vater zu erziehen und ihn auf seine „große Mission" vorzubereiten, die darin bestehen soll, „so hoch emporzusteigen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/359>, abgerufen am 26.06.2024.