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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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John Gabriel Borkman

Beruf eines Historikers in sich entdeckte und seinen Bericht über die erste Auf¬
führung mit den monumentalen Worten schloß: "Also verlief die erste Auf¬
führung von "John Gabriel Borkmcm" am 16. Januar 1897. Das Frank¬
furter Theater hat den Anfang gemacht, alle deutschen Bühnen werden seinem
Beispiel folgen."

"Also sprach Zarathustra" -- aber so ganz sicher dürfte diese Prophe¬
zeiung des Frankfurter Vrahmanen nicht sein. Es giebt immer noch viele
Städte in Deutschland, deren Bewohner sich gegen die Jbseuschen Dramen so
kalt und teilnahmlos verhalten, daß sie dem, der in großen Städten lebt,
wieder Mut machen, wieder den Glauben an die unversiegliche Kraft des
deutschen Volkstums stärken können. Nach Frankfurt ist erst zehn oder zwölf
Tage später Christiauici mit der Aufführung des Schauspiels nachgehinkt. Selbst
eine Telegraphenagentnr, deren Begeisterung sonst mit dem Geschäft innig zu¬
sammenhängt, hat nur von einem starken Beifall nach dem zweiten und vierten
Akt gesprochen. Das ging der Berliner Jbsengcmeinde gegen den Strich,
diese Scharte mußte bei der ersten Aufführung des Schauspiels im Deutschen
Theater ausgewetzt werden. Und so geschah es. Je seltsamer, je unbegreif¬
licher, je phantastischer sich die Leute auf der Bühne geberdeten, desto leb¬
hafter, geräuschvoller, stürmischer wurde der Beifall in einem großen Teil
des Znschauerraums. Durch dick und dünn gingen sie mit ihrem Dichter,
dem großen Idealisten und Sittenrichter, der den Menschen dieser Welt die
Maske der Heuchelei vom Gesichte reißt und sie zur Strafe für ihre Sünden
elend zu Grunde gehen läßt -- Phhsisch oder moralisch!

Im Grunde genommen ist der äußerliche, in Klatschen, Stampfen und
Gebrüll ausgedrückte Beifall an einem Theaterabend nnr eine rohe Kraftüuße-
rnng, die über den litterarischen Wert eines Werkes der Dichtkunst nicht die
geringste Aufklärung giebt, aber als Zeichen der Zeit von einiger Bedeutung
ist. Freilich sind wir seit anderthalb Jahrzehnten an diese Demonstrationen
gewöhnt worden, und wir haben auch immer die Erfahrung gemacht, daß der
wirkliche Erfolg eines Schauspiels nicht durch den Verlauf seiner ersten Auf¬
führung in der Hauptstadt eines Landes "gemacht," sondern durch ganz andre
Ursachen, deren letzte Wurzeln viel tiefer liegen, begründet wird. Aber daß
diese Demonstrationen von Jahr zu Jahr stärker werden, daß ein großer Teil
der Presse von Bewunderung über jedes neue Jbsensche Schauspiel überfließt,
ist doch ein Zeichen einer Zeit, in der nicht bloß die sattsam bekannten
Mächte der sozialen Revolution an unserm Staatsleben rütteln, sondern auch
an der Zersetzung und Zerstörung unsrer Kunst und Litteratur arbeiten. Ein
Berliner Theaterkritiker, der als das Orakel der Jbseugemeinde gilt, hat bei
der Aufführung des neuen Schauspiels vou Ibsen sogar behauptet, daß es zu
den Werken gehöre, die "in die Jahrhunderte übergehen," und damit reicht er
dem Frankfurter Kollegen die Hand. Er spricht von dem wonnigen Gefühl,


John Gabriel Borkman

Beruf eines Historikers in sich entdeckte und seinen Bericht über die erste Auf¬
führung mit den monumentalen Worten schloß: „Also verlief die erste Auf¬
führung von »John Gabriel Borkmcm« am 16. Januar 1897. Das Frank¬
furter Theater hat den Anfang gemacht, alle deutschen Bühnen werden seinem
Beispiel folgen."

„Also sprach Zarathustra" — aber so ganz sicher dürfte diese Prophe¬
zeiung des Frankfurter Vrahmanen nicht sein. Es giebt immer noch viele
Städte in Deutschland, deren Bewohner sich gegen die Jbseuschen Dramen so
kalt und teilnahmlos verhalten, daß sie dem, der in großen Städten lebt,
wieder Mut machen, wieder den Glauben an die unversiegliche Kraft des
deutschen Volkstums stärken können. Nach Frankfurt ist erst zehn oder zwölf
Tage später Christiauici mit der Aufführung des Schauspiels nachgehinkt. Selbst
eine Telegraphenagentnr, deren Begeisterung sonst mit dem Geschäft innig zu¬
sammenhängt, hat nur von einem starken Beifall nach dem zweiten und vierten
Akt gesprochen. Das ging der Berliner Jbsengcmeinde gegen den Strich,
diese Scharte mußte bei der ersten Aufführung des Schauspiels im Deutschen
Theater ausgewetzt werden. Und so geschah es. Je seltsamer, je unbegreif¬
licher, je phantastischer sich die Leute auf der Bühne geberdeten, desto leb¬
hafter, geräuschvoller, stürmischer wurde der Beifall in einem großen Teil
des Znschauerraums. Durch dick und dünn gingen sie mit ihrem Dichter,
dem großen Idealisten und Sittenrichter, der den Menschen dieser Welt die
Maske der Heuchelei vom Gesichte reißt und sie zur Strafe für ihre Sünden
elend zu Grunde gehen läßt — Phhsisch oder moralisch!

Im Grunde genommen ist der äußerliche, in Klatschen, Stampfen und
Gebrüll ausgedrückte Beifall an einem Theaterabend nnr eine rohe Kraftüuße-
rnng, die über den litterarischen Wert eines Werkes der Dichtkunst nicht die
geringste Aufklärung giebt, aber als Zeichen der Zeit von einiger Bedeutung
ist. Freilich sind wir seit anderthalb Jahrzehnten an diese Demonstrationen
gewöhnt worden, und wir haben auch immer die Erfahrung gemacht, daß der
wirkliche Erfolg eines Schauspiels nicht durch den Verlauf seiner ersten Auf¬
führung in der Hauptstadt eines Landes „gemacht," sondern durch ganz andre
Ursachen, deren letzte Wurzeln viel tiefer liegen, begründet wird. Aber daß
diese Demonstrationen von Jahr zu Jahr stärker werden, daß ein großer Teil
der Presse von Bewunderung über jedes neue Jbsensche Schauspiel überfließt,
ist doch ein Zeichen einer Zeit, in der nicht bloß die sattsam bekannten
Mächte der sozialen Revolution an unserm Staatsleben rütteln, sondern auch
an der Zersetzung und Zerstörung unsrer Kunst und Litteratur arbeiten. Ein
Berliner Theaterkritiker, der als das Orakel der Jbseugemeinde gilt, hat bei
der Aufführung des neuen Schauspiels vou Ibsen sogar behauptet, daß es zu
den Werken gehöre, die „in die Jahrhunderte übergehen," und damit reicht er
dem Frankfurter Kollegen die Hand. Er spricht von dem wonnigen Gefühl,


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[0357] John Gabriel Borkman Beruf eines Historikers in sich entdeckte und seinen Bericht über die erste Auf¬ führung mit den monumentalen Worten schloß: „Also verlief die erste Auf¬ führung von »John Gabriel Borkmcm« am 16. Januar 1897. Das Frank¬ furter Theater hat den Anfang gemacht, alle deutschen Bühnen werden seinem Beispiel folgen." „Also sprach Zarathustra" — aber so ganz sicher dürfte diese Prophe¬ zeiung des Frankfurter Vrahmanen nicht sein. Es giebt immer noch viele Städte in Deutschland, deren Bewohner sich gegen die Jbseuschen Dramen so kalt und teilnahmlos verhalten, daß sie dem, der in großen Städten lebt, wieder Mut machen, wieder den Glauben an die unversiegliche Kraft des deutschen Volkstums stärken können. Nach Frankfurt ist erst zehn oder zwölf Tage später Christiauici mit der Aufführung des Schauspiels nachgehinkt. Selbst eine Telegraphenagentnr, deren Begeisterung sonst mit dem Geschäft innig zu¬ sammenhängt, hat nur von einem starken Beifall nach dem zweiten und vierten Akt gesprochen. Das ging der Berliner Jbsengcmeinde gegen den Strich, diese Scharte mußte bei der ersten Aufführung des Schauspiels im Deutschen Theater ausgewetzt werden. Und so geschah es. Je seltsamer, je unbegreif¬ licher, je phantastischer sich die Leute auf der Bühne geberdeten, desto leb¬ hafter, geräuschvoller, stürmischer wurde der Beifall in einem großen Teil des Znschauerraums. Durch dick und dünn gingen sie mit ihrem Dichter, dem großen Idealisten und Sittenrichter, der den Menschen dieser Welt die Maske der Heuchelei vom Gesichte reißt und sie zur Strafe für ihre Sünden elend zu Grunde gehen läßt — Phhsisch oder moralisch! Im Grunde genommen ist der äußerliche, in Klatschen, Stampfen und Gebrüll ausgedrückte Beifall an einem Theaterabend nnr eine rohe Kraftüuße- rnng, die über den litterarischen Wert eines Werkes der Dichtkunst nicht die geringste Aufklärung giebt, aber als Zeichen der Zeit von einiger Bedeutung ist. Freilich sind wir seit anderthalb Jahrzehnten an diese Demonstrationen gewöhnt worden, und wir haben auch immer die Erfahrung gemacht, daß der wirkliche Erfolg eines Schauspiels nicht durch den Verlauf seiner ersten Auf¬ führung in der Hauptstadt eines Landes „gemacht," sondern durch ganz andre Ursachen, deren letzte Wurzeln viel tiefer liegen, begründet wird. Aber daß diese Demonstrationen von Jahr zu Jahr stärker werden, daß ein großer Teil der Presse von Bewunderung über jedes neue Jbsensche Schauspiel überfließt, ist doch ein Zeichen einer Zeit, in der nicht bloß die sattsam bekannten Mächte der sozialen Revolution an unserm Staatsleben rütteln, sondern auch an der Zersetzung und Zerstörung unsrer Kunst und Litteratur arbeiten. Ein Berliner Theaterkritiker, der als das Orakel der Jbseugemeinde gilt, hat bei der Aufführung des neuen Schauspiels vou Ibsen sogar behauptet, daß es zu den Werken gehöre, die „in die Jahrhunderte übergehen," und damit reicht er dem Frankfurter Kollegen die Hand. Er spricht von dem wonnigen Gefühl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/357>, abgerufen am 26.06.2024.