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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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John Gabriel Borkman

Henri Becaue usw. herabblicken. Von Norden kommt das Liebet Henrik Ibsen
und Björnstjerne Björnson sind die hohen Priester der neuen Sonnenreligion,
und die litterarischen Erzeugnisse aller, die aus eignem Trieb oder aus ge¬
schäftlicher Spekulation in ihren Spuren wandeln, werden ins Deutsche übersetzt,
bis auf die schmutzigen Abenteuer von Studenten und Litteraten mit lieder¬
lichen Dirnen von Peter Raufen, die, wie alles schleichende Gift, ihren Weg
auch in die deutschen Leihbibliotheken finden. Und wenn ein ehrlicher Mahner
diesem Unfug durch einen Hinweis auf die dem deutschen Wesen fremde Art
dieser ausländischen Giftmischer zu steuern sucht, so wird er mit dröhnenden
Pathos zur Ruhe verwiesen. Diese wackern Männer und diese vorurteilsfreien
Damen sind ja unsre leiblichen Vettern und Basen! Sie sind ja auch germa¬
nischen Stammes, und darüber muß übersehen werden, daß diese lieben Ver¬
wandten, Björnstjerne Björnson an der Spitze, wütende Deutschenhasser sind
und mit Händen und Füßen darnach streben, entweder selbst in ihrem Lande
eine Republik zu errichten oder doch einen innigen Anschluß an die große
französische Republik zu erlangen.

Der deutsche Michel, der das Bedürfnis zu fühle" scheint, ab und zu
geprügelt zu werden, ist weit entfernt, bei seinem Liebeswerben um die Gunst
der nordischen Poeten darin eine Beleidigung zu sehen. Sein Enthusiasmus
wachst im Gegenteil immer mehr. Herr Henrik Ibsen hat ein neues Schau¬
spiel geschrieben. Es kann kaum fertig gewesen sein, als sich eine Menge von
Zeitungskorrespondentcn die hohlen Köpfe über den geheimnisvoll verschwiegnen
Titel des Stücks zerbrach. Es verging keine Woche, in der nicht in den
Zeitungen, die in allen Weltstädten und Krähwinkeln ihre "eignen" Korre¬
spondenten haben, meist Leute, die unter sieben Namen oder Zeichen vierzig
Zeitungen beglücken, dunkle Andentungen über den Inhalt des neuen Schau¬
spiels des nordischen Reformators gebracht wurden. Endlich sank der Nebel,
und man erhielt die wichtige Nachricht, daß das Schauspiel endgiltig auf
"John Gabriel Borkman" getauft worden sei. Einfältige Leute lachten über
diesen Notbehelf; aber die eingeschwvrnen Jbsenfanatiker lassen sich durch solche
kleinen Zwischenfälle nicht stören. Wieder hat der große "Magus des Nordens"
in seiner unergründlichen Weisheit das "Recht des Individuums" verkündet.
Man denke nur an die imposante Reihe: Catilina, Nora, Die Frau vom
Meere, Hedda Gabler, Baumeister Solneß, Klein Eyolf. Welch einen neuen,
erhabnen Charakter wird John Gabriel Borkman enthüllen?

Die Enthüllung ist denn auch mit gebührender Feierlichkeit aufgenommen
worden. Ein gewissenhafter Chronist muß dabei feststellen, daß dem Frank¬
furter Stadttheater die Ehre zu teil geworden ist, bei dem Wettrennen um
die erste Aufführung alle Nebenbuhler um mehrere Tage geschlagen zu haben,
nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Norwegen. Diese große That hat den
Berichterstatter der Frankfurter Zeitung so tief erschüttert, daß er plötzlich den


John Gabriel Borkman

Henri Becaue usw. herabblicken. Von Norden kommt das Liebet Henrik Ibsen
und Björnstjerne Björnson sind die hohen Priester der neuen Sonnenreligion,
und die litterarischen Erzeugnisse aller, die aus eignem Trieb oder aus ge¬
schäftlicher Spekulation in ihren Spuren wandeln, werden ins Deutsche übersetzt,
bis auf die schmutzigen Abenteuer von Studenten und Litteraten mit lieder¬
lichen Dirnen von Peter Raufen, die, wie alles schleichende Gift, ihren Weg
auch in die deutschen Leihbibliotheken finden. Und wenn ein ehrlicher Mahner
diesem Unfug durch einen Hinweis auf die dem deutschen Wesen fremde Art
dieser ausländischen Giftmischer zu steuern sucht, so wird er mit dröhnenden
Pathos zur Ruhe verwiesen. Diese wackern Männer und diese vorurteilsfreien
Damen sind ja unsre leiblichen Vettern und Basen! Sie sind ja auch germa¬
nischen Stammes, und darüber muß übersehen werden, daß diese lieben Ver¬
wandten, Björnstjerne Björnson an der Spitze, wütende Deutschenhasser sind
und mit Händen und Füßen darnach streben, entweder selbst in ihrem Lande
eine Republik zu errichten oder doch einen innigen Anschluß an die große
französische Republik zu erlangen.

Der deutsche Michel, der das Bedürfnis zu fühle» scheint, ab und zu
geprügelt zu werden, ist weit entfernt, bei seinem Liebeswerben um die Gunst
der nordischen Poeten darin eine Beleidigung zu sehen. Sein Enthusiasmus
wachst im Gegenteil immer mehr. Herr Henrik Ibsen hat ein neues Schau¬
spiel geschrieben. Es kann kaum fertig gewesen sein, als sich eine Menge von
Zeitungskorrespondentcn die hohlen Köpfe über den geheimnisvoll verschwiegnen
Titel des Stücks zerbrach. Es verging keine Woche, in der nicht in den
Zeitungen, die in allen Weltstädten und Krähwinkeln ihre „eignen" Korre¬
spondenten haben, meist Leute, die unter sieben Namen oder Zeichen vierzig
Zeitungen beglücken, dunkle Andentungen über den Inhalt des neuen Schau¬
spiels des nordischen Reformators gebracht wurden. Endlich sank der Nebel,
und man erhielt die wichtige Nachricht, daß das Schauspiel endgiltig auf
„John Gabriel Borkman" getauft worden sei. Einfältige Leute lachten über
diesen Notbehelf; aber die eingeschwvrnen Jbsenfanatiker lassen sich durch solche
kleinen Zwischenfälle nicht stören. Wieder hat der große „Magus des Nordens"
in seiner unergründlichen Weisheit das „Recht des Individuums" verkündet.
Man denke nur an die imposante Reihe: Catilina, Nora, Die Frau vom
Meere, Hedda Gabler, Baumeister Solneß, Klein Eyolf. Welch einen neuen,
erhabnen Charakter wird John Gabriel Borkman enthüllen?

Die Enthüllung ist denn auch mit gebührender Feierlichkeit aufgenommen
worden. Ein gewissenhafter Chronist muß dabei feststellen, daß dem Frank¬
furter Stadttheater die Ehre zu teil geworden ist, bei dem Wettrennen um
die erste Aufführung alle Nebenbuhler um mehrere Tage geschlagen zu haben,
nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Norwegen. Diese große That hat den
Berichterstatter der Frankfurter Zeitung so tief erschüttert, daß er plötzlich den


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[0356] John Gabriel Borkman Henri Becaue usw. herabblicken. Von Norden kommt das Liebet Henrik Ibsen und Björnstjerne Björnson sind die hohen Priester der neuen Sonnenreligion, und die litterarischen Erzeugnisse aller, die aus eignem Trieb oder aus ge¬ schäftlicher Spekulation in ihren Spuren wandeln, werden ins Deutsche übersetzt, bis auf die schmutzigen Abenteuer von Studenten und Litteraten mit lieder¬ lichen Dirnen von Peter Raufen, die, wie alles schleichende Gift, ihren Weg auch in die deutschen Leihbibliotheken finden. Und wenn ein ehrlicher Mahner diesem Unfug durch einen Hinweis auf die dem deutschen Wesen fremde Art dieser ausländischen Giftmischer zu steuern sucht, so wird er mit dröhnenden Pathos zur Ruhe verwiesen. Diese wackern Männer und diese vorurteilsfreien Damen sind ja unsre leiblichen Vettern und Basen! Sie sind ja auch germa¬ nischen Stammes, und darüber muß übersehen werden, daß diese lieben Ver¬ wandten, Björnstjerne Björnson an der Spitze, wütende Deutschenhasser sind und mit Händen und Füßen darnach streben, entweder selbst in ihrem Lande eine Republik zu errichten oder doch einen innigen Anschluß an die große französische Republik zu erlangen. Der deutsche Michel, der das Bedürfnis zu fühle» scheint, ab und zu geprügelt zu werden, ist weit entfernt, bei seinem Liebeswerben um die Gunst der nordischen Poeten darin eine Beleidigung zu sehen. Sein Enthusiasmus wachst im Gegenteil immer mehr. Herr Henrik Ibsen hat ein neues Schau¬ spiel geschrieben. Es kann kaum fertig gewesen sein, als sich eine Menge von Zeitungskorrespondentcn die hohlen Köpfe über den geheimnisvoll verschwiegnen Titel des Stücks zerbrach. Es verging keine Woche, in der nicht in den Zeitungen, die in allen Weltstädten und Krähwinkeln ihre „eignen" Korre¬ spondenten haben, meist Leute, die unter sieben Namen oder Zeichen vierzig Zeitungen beglücken, dunkle Andentungen über den Inhalt des neuen Schau¬ spiels des nordischen Reformators gebracht wurden. Endlich sank der Nebel, und man erhielt die wichtige Nachricht, daß das Schauspiel endgiltig auf „John Gabriel Borkman" getauft worden sei. Einfältige Leute lachten über diesen Notbehelf; aber die eingeschwvrnen Jbsenfanatiker lassen sich durch solche kleinen Zwischenfälle nicht stören. Wieder hat der große „Magus des Nordens" in seiner unergründlichen Weisheit das „Recht des Individuums" verkündet. Man denke nur an die imposante Reihe: Catilina, Nora, Die Frau vom Meere, Hedda Gabler, Baumeister Solneß, Klein Eyolf. Welch einen neuen, erhabnen Charakter wird John Gabriel Borkman enthüllen? Die Enthüllung ist denn auch mit gebührender Feierlichkeit aufgenommen worden. Ein gewissenhafter Chronist muß dabei feststellen, daß dem Frank¬ furter Stadttheater die Ehre zu teil geworden ist, bei dem Wettrennen um die erste Aufführung alle Nebenbuhler um mehrere Tage geschlagen zu haben, nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Norwegen. Diese große That hat den Berichterstatter der Frankfurter Zeitung so tief erschüttert, daß er plötzlich den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/356>, abgerufen am 27.09.2024.