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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Antiker und moderner Militarismus

will, oder treiben muß, weil er so weitgehende große Interessen hat, muß eben
auch so weit wirken können.

Die Verteidigung des heimatlichen Bodens haben wir folglich als die ge¬
ringste der Forderungen anzusehen, der sich selbst ein von verbürgter Neu¬
tralität geschützter Staat nicht entziehen darf, wenn das Volk seinen Willen
zur Selbständigkeit überhaupt noch bekunden will.

Will man sich auf dieses Minimum beschränken, so muß man auch folge¬
richtigerweise jeden "Großmachtskitzel" als eine krankhafte Regung unterdrücken.
Soweit werden nun doch nur wenige verbissene Doktrinäre noch gehen wollen;
die ungeheure Mehrheit des Volkes freut sich, daß wir mit dem Bau des
Reiches und seiner Mauern vorwärts gekommen sind. Hie und da wird aber wohl
nach dem Zeitpunkt gefragt, wann wir vielleicht das Schwert von den Lenden
thun könnten. Man kann sogar die Ansicht hören, ob es nicht besser sei, mit
einem großen Kriege (dessen Ausgang als unbedingt glücklich vorausgesetzt wird)
eine vielleicht (?) bessere Zukunft einzuleiten.

Wir werden also, nachdem wir gesehen haben, woher wir kommen, die
Fragen: wo sind wir? und wohin treiben wir? zu beantworten suchen müssen.
Überall und zu allen Zeiten sehen wir im geschichtlichen Werden das Aufsteigen
zu höhern Organisationen; wer nicht mit seinen Konkurrenten Schritt halten
kann, der wird im Kampfe ums Dasein unter die Füße getreten, auch im Wett¬
kampfe der Nationen. Empfindsame Naturen mögen das schrecklich finden, aber
der zu verantwortungsvollen Handeln berufne darf nur mit den Thatsachen
rechnen. Nur in Deutschland kann man von gemeinsamen internationalen
Interessen des arbeitenden Volkes schwärmen, Engländer, Franzosen, Russen,
Polen und Magyaren denken darin ganz anders; wer noch zu belehren ist,
dem haben in den letzten Jahren die Augen darüber aufgehen müssen. Träte
der Fall ein, das arbeitende Volk käme mit einem Schlage überall in den aus¬
schließlichen Besitz der Macht, so würden die deutschen Genossen sofort erfahren,
wessen sie sich von den französischen und englischen "Brüdern" zu versehen
haben, und würden binnen kürzester Frist die Wege der von ihnen so bitter
getadelten Negierung wandeln.

In dem Kernpunkt aller politischen Gesinnung, der opferwilligen Unter¬
ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit und der thätigen Förderung
der gemeinsamen Interessen übertreffen die deutschen Arbeiter fast alle Par¬
teien. Es ist sicher zu erwarten, daß sie auch lernen, sich von Doktrinen los¬
zumachen, ihre Ziele richtig zu wählen und Geschäfte praktisch zu treiben, dann
werden sie eine der besten Stützen des Staates sein.

Unter den europäischen Völkern sehen wir Rußland und England sich zu
ungeheuern wirtschaftlichen und politischen Organisationen auswachsen, und in
den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein drittes ebenbürtiges Gebiet vor¬
handen. Dürfen und können wir uns da in stiller Selbstbescheidung des


Antiker und moderner Militarismus

will, oder treiben muß, weil er so weitgehende große Interessen hat, muß eben
auch so weit wirken können.

Die Verteidigung des heimatlichen Bodens haben wir folglich als die ge¬
ringste der Forderungen anzusehen, der sich selbst ein von verbürgter Neu¬
tralität geschützter Staat nicht entziehen darf, wenn das Volk seinen Willen
zur Selbständigkeit überhaupt noch bekunden will.

Will man sich auf dieses Minimum beschränken, so muß man auch folge¬
richtigerweise jeden „Großmachtskitzel" als eine krankhafte Regung unterdrücken.
Soweit werden nun doch nur wenige verbissene Doktrinäre noch gehen wollen;
die ungeheure Mehrheit des Volkes freut sich, daß wir mit dem Bau des
Reiches und seiner Mauern vorwärts gekommen sind. Hie und da wird aber wohl
nach dem Zeitpunkt gefragt, wann wir vielleicht das Schwert von den Lenden
thun könnten. Man kann sogar die Ansicht hören, ob es nicht besser sei, mit
einem großen Kriege (dessen Ausgang als unbedingt glücklich vorausgesetzt wird)
eine vielleicht (?) bessere Zukunft einzuleiten.

Wir werden also, nachdem wir gesehen haben, woher wir kommen, die
Fragen: wo sind wir? und wohin treiben wir? zu beantworten suchen müssen.
Überall und zu allen Zeiten sehen wir im geschichtlichen Werden das Aufsteigen
zu höhern Organisationen; wer nicht mit seinen Konkurrenten Schritt halten
kann, der wird im Kampfe ums Dasein unter die Füße getreten, auch im Wett¬
kampfe der Nationen. Empfindsame Naturen mögen das schrecklich finden, aber
der zu verantwortungsvollen Handeln berufne darf nur mit den Thatsachen
rechnen. Nur in Deutschland kann man von gemeinsamen internationalen
Interessen des arbeitenden Volkes schwärmen, Engländer, Franzosen, Russen,
Polen und Magyaren denken darin ganz anders; wer noch zu belehren ist,
dem haben in den letzten Jahren die Augen darüber aufgehen müssen. Träte
der Fall ein, das arbeitende Volk käme mit einem Schlage überall in den aus¬
schließlichen Besitz der Macht, so würden die deutschen Genossen sofort erfahren,
wessen sie sich von den französischen und englischen „Brüdern" zu versehen
haben, und würden binnen kürzester Frist die Wege der von ihnen so bitter
getadelten Negierung wandeln.

In dem Kernpunkt aller politischen Gesinnung, der opferwilligen Unter¬
ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit und der thätigen Förderung
der gemeinsamen Interessen übertreffen die deutschen Arbeiter fast alle Par¬
teien. Es ist sicher zu erwarten, daß sie auch lernen, sich von Doktrinen los¬
zumachen, ihre Ziele richtig zu wählen und Geschäfte praktisch zu treiben, dann
werden sie eine der besten Stützen des Staates sein.

Unter den europäischen Völkern sehen wir Rußland und England sich zu
ungeheuern wirtschaftlichen und politischen Organisationen auswachsen, und in
den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein drittes ebenbürtiges Gebiet vor¬
handen. Dürfen und können wir uns da in stiller Selbstbescheidung des


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[0333] Antiker und moderner Militarismus will, oder treiben muß, weil er so weitgehende große Interessen hat, muß eben auch so weit wirken können. Die Verteidigung des heimatlichen Bodens haben wir folglich als die ge¬ ringste der Forderungen anzusehen, der sich selbst ein von verbürgter Neu¬ tralität geschützter Staat nicht entziehen darf, wenn das Volk seinen Willen zur Selbständigkeit überhaupt noch bekunden will. Will man sich auf dieses Minimum beschränken, so muß man auch folge¬ richtigerweise jeden „Großmachtskitzel" als eine krankhafte Regung unterdrücken. Soweit werden nun doch nur wenige verbissene Doktrinäre noch gehen wollen; die ungeheure Mehrheit des Volkes freut sich, daß wir mit dem Bau des Reiches und seiner Mauern vorwärts gekommen sind. Hie und da wird aber wohl nach dem Zeitpunkt gefragt, wann wir vielleicht das Schwert von den Lenden thun könnten. Man kann sogar die Ansicht hören, ob es nicht besser sei, mit einem großen Kriege (dessen Ausgang als unbedingt glücklich vorausgesetzt wird) eine vielleicht (?) bessere Zukunft einzuleiten. Wir werden also, nachdem wir gesehen haben, woher wir kommen, die Fragen: wo sind wir? und wohin treiben wir? zu beantworten suchen müssen. Überall und zu allen Zeiten sehen wir im geschichtlichen Werden das Aufsteigen zu höhern Organisationen; wer nicht mit seinen Konkurrenten Schritt halten kann, der wird im Kampfe ums Dasein unter die Füße getreten, auch im Wett¬ kampfe der Nationen. Empfindsame Naturen mögen das schrecklich finden, aber der zu verantwortungsvollen Handeln berufne darf nur mit den Thatsachen rechnen. Nur in Deutschland kann man von gemeinsamen internationalen Interessen des arbeitenden Volkes schwärmen, Engländer, Franzosen, Russen, Polen und Magyaren denken darin ganz anders; wer noch zu belehren ist, dem haben in den letzten Jahren die Augen darüber aufgehen müssen. Träte der Fall ein, das arbeitende Volk käme mit einem Schlage überall in den aus¬ schließlichen Besitz der Macht, so würden die deutschen Genossen sofort erfahren, wessen sie sich von den französischen und englischen „Brüdern" zu versehen haben, und würden binnen kürzester Frist die Wege der von ihnen so bitter getadelten Negierung wandeln. In dem Kernpunkt aller politischen Gesinnung, der opferwilligen Unter¬ ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit und der thätigen Förderung der gemeinsamen Interessen übertreffen die deutschen Arbeiter fast alle Par¬ teien. Es ist sicher zu erwarten, daß sie auch lernen, sich von Doktrinen los¬ zumachen, ihre Ziele richtig zu wählen und Geschäfte praktisch zu treiben, dann werden sie eine der besten Stützen des Staates sein. Unter den europäischen Völkern sehen wir Rußland und England sich zu ungeheuern wirtschaftlichen und politischen Organisationen auswachsen, und in den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein drittes ebenbürtiges Gebiet vor¬ handen. Dürfen und können wir uns da in stiller Selbstbescheidung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/333>, abgerufen am 26.06.2024.