Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Antiker und moderner Militarismus

Friedens am heutigen Tage freuen, und im übrigen die Hände in den Schoß
legen, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, und bei
uns zu Hause nur schön alles beim Alten lassen? Wer sieht nicht, daß das
der Anfang vom Ende wäre!

Nein, das deutsche Reich ist nicht von unsern Großvätern ersehnt, von
den Vätern in seinem jetzigen Zustande geschaffen worden, damit wir es nun
bequem haben und über Theorien weitergrübeln können, sondern es verpflichtet
uns, weiter kräftig zu handeln und den Rest der Welt nicht vergebe" zu lassen,
ohne daß auch der Deutsche sein richtig gemessenes Teil davon erhält. Und
auf richtiges Maß und Gewicht wollen wir sehen und dabei mitreden. In
einer engen Verbindung mit Österreich in wirtschaftlicher und politischer Be¬
ziehung vertreten wir eine Bevölkerung von hundert Millionen, und bei
kräftiger Organisation sind wir dann den Anforderungen jeder Lage vorläufig
gewachsen.

Sehr langsam ist bei den Deutschen erst in diesem Jahrhundert politisches
Verständnis in weitern Kreisen wieder erwacht; zum großen Teil leidet das
verehrte Publikum entweder an Kurzsichtigkeit, die nur den eignen Kirchturm
sehen kann und die Hand auf das Portemonnaie hält, oder an einem fern¬
sichtigen Idealismus und Kosmopolitismus, der über den ersten Stein auf
dem Wege stolpert. Aber in dem stetigen Aufsteigen ist nichts so wichtig, wie das
Aufsteigen von Stufe zu Stufe. Wie oft haben hochstrebende deutsche Führer
ihr Ziel verfehlt, weil sie vermeinten, es in einem Sprunge erreichen zu
können.


In den Himmel zu springen, das ist nicht verboten,
Doch die es versuchen, mögen sich hüten,
Den Hals zu brechen,

läßt Jordan seinen Siegfried warnen.

Das kleindeutsche Programm hat seiue Erfüllung gefunden, aber wir
empfinden schon heute, daß es auf die Dauer den Entwickluugsansprüchcn
unsers Volks nicht mehr genügt. Im engen Zusammenschluß des deutschen
Reichs mit Österreich gehen auch Österreichs orientalische Interessen zum größten
Teil auf uns über; nur durch diesen Zusammenschluß gewinnt Österreich die
Hoffnung auf eine neue und bessere Zukunft. Für Österreich im deutschen
Reiche, für das deutsche Reich in Österreich und im Orient liegt die Abrundung
zu einem selbständigen Wirtschaftsgebiet, nur so können wir unsre Bevölkerung
auch bei allen Kricgseveutualitäteu selbst längere Zeit ernähren, dort soll unser
Bevölkerungsüberschuß Aufucchme finden, ohne der Nation verloren zu gehen,
ein Punkt, der nachgerade anfängt, ernste Bedenken zu rechtfertigen, und von
^ahr zu Jahr dringender wird.

So stehen die beiden Mächte abermals, wie schon so oft, vor der Wahl,


Antiker und moderner Militarismus

Friedens am heutigen Tage freuen, und im übrigen die Hände in den Schoß
legen, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, und bei
uns zu Hause nur schön alles beim Alten lassen? Wer sieht nicht, daß das
der Anfang vom Ende wäre!

Nein, das deutsche Reich ist nicht von unsern Großvätern ersehnt, von
den Vätern in seinem jetzigen Zustande geschaffen worden, damit wir es nun
bequem haben und über Theorien weitergrübeln können, sondern es verpflichtet
uns, weiter kräftig zu handeln und den Rest der Welt nicht vergebe» zu lassen,
ohne daß auch der Deutsche sein richtig gemessenes Teil davon erhält. Und
auf richtiges Maß und Gewicht wollen wir sehen und dabei mitreden. In
einer engen Verbindung mit Österreich in wirtschaftlicher und politischer Be¬
ziehung vertreten wir eine Bevölkerung von hundert Millionen, und bei
kräftiger Organisation sind wir dann den Anforderungen jeder Lage vorläufig
gewachsen.

Sehr langsam ist bei den Deutschen erst in diesem Jahrhundert politisches
Verständnis in weitern Kreisen wieder erwacht; zum großen Teil leidet das
verehrte Publikum entweder an Kurzsichtigkeit, die nur den eignen Kirchturm
sehen kann und die Hand auf das Portemonnaie hält, oder an einem fern¬
sichtigen Idealismus und Kosmopolitismus, der über den ersten Stein auf
dem Wege stolpert. Aber in dem stetigen Aufsteigen ist nichts so wichtig, wie das
Aufsteigen von Stufe zu Stufe. Wie oft haben hochstrebende deutsche Führer
ihr Ziel verfehlt, weil sie vermeinten, es in einem Sprunge erreichen zu
können.


In den Himmel zu springen, das ist nicht verboten,
Doch die es versuchen, mögen sich hüten,
Den Hals zu brechen,

läßt Jordan seinen Siegfried warnen.

Das kleindeutsche Programm hat seiue Erfüllung gefunden, aber wir
empfinden schon heute, daß es auf die Dauer den Entwickluugsansprüchcn
unsers Volks nicht mehr genügt. Im engen Zusammenschluß des deutschen
Reichs mit Österreich gehen auch Österreichs orientalische Interessen zum größten
Teil auf uns über; nur durch diesen Zusammenschluß gewinnt Österreich die
Hoffnung auf eine neue und bessere Zukunft. Für Österreich im deutschen
Reiche, für das deutsche Reich in Österreich und im Orient liegt die Abrundung
zu einem selbständigen Wirtschaftsgebiet, nur so können wir unsre Bevölkerung
auch bei allen Kricgseveutualitäteu selbst längere Zeit ernähren, dort soll unser
Bevölkerungsüberschuß Aufucchme finden, ohne der Nation verloren zu gehen,
ein Punkt, der nachgerade anfängt, ernste Bedenken zu rechtfertigen, und von
^ahr zu Jahr dringender wird.

So stehen die beiden Mächte abermals, wie schon so oft, vor der Wahl,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224581"/>
          <fw type="header" place="top"> Antiker und moderner Militarismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_990" prev="#ID_989"> Friedens am heutigen Tage freuen, und im übrigen die Hände in den Schoß<lb/>
legen, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, und bei<lb/>
uns zu Hause nur schön alles beim Alten lassen? Wer sieht nicht, daß das<lb/>
der Anfang vom Ende wäre!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_991"> Nein, das deutsche Reich ist nicht von unsern Großvätern ersehnt, von<lb/>
den Vätern in seinem jetzigen Zustande geschaffen worden, damit wir es nun<lb/>
bequem haben und über Theorien weitergrübeln können, sondern es verpflichtet<lb/>
uns, weiter kräftig zu handeln und den Rest der Welt nicht vergebe» zu lassen,<lb/>
ohne daß auch der Deutsche sein richtig gemessenes Teil davon erhält. Und<lb/>
auf richtiges Maß und Gewicht wollen wir sehen und dabei mitreden. In<lb/>
einer engen Verbindung mit Österreich in wirtschaftlicher und politischer Be¬<lb/>
ziehung vertreten wir eine Bevölkerung von hundert Millionen, und bei<lb/>
kräftiger Organisation sind wir dann den Anforderungen jeder Lage vorläufig<lb/>
gewachsen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_992"> Sehr langsam ist bei den Deutschen erst in diesem Jahrhundert politisches<lb/>
Verständnis in weitern Kreisen wieder erwacht; zum großen Teil leidet das<lb/>
verehrte Publikum entweder an Kurzsichtigkeit, die nur den eignen Kirchturm<lb/>
sehen kann und die Hand auf das Portemonnaie hält, oder an einem fern¬<lb/>
sichtigen Idealismus und Kosmopolitismus, der über den ersten Stein auf<lb/>
dem Wege stolpert. Aber in dem stetigen Aufsteigen ist nichts so wichtig, wie das<lb/>
Aufsteigen von Stufe zu Stufe. Wie oft haben hochstrebende deutsche Führer<lb/>
ihr Ziel verfehlt, weil sie vermeinten, es in einem Sprunge erreichen zu<lb/>
können.</p><lb/>
          <quote> In den Himmel zu springen, das ist nicht verboten,<lb/>
Doch die es versuchen, mögen sich hüten,<lb/>
Den Hals zu brechen,</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_993"> läßt Jordan seinen Siegfried warnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_994"> Das kleindeutsche Programm hat seiue Erfüllung gefunden, aber wir<lb/>
empfinden schon heute, daß es auf die Dauer den Entwickluugsansprüchcn<lb/>
unsers Volks nicht mehr genügt. Im engen Zusammenschluß des deutschen<lb/>
Reichs mit Österreich gehen auch Österreichs orientalische Interessen zum größten<lb/>
Teil auf uns über; nur durch diesen Zusammenschluß gewinnt Österreich die<lb/>
Hoffnung auf eine neue und bessere Zukunft. Für Österreich im deutschen<lb/>
Reiche, für das deutsche Reich in Österreich und im Orient liegt die Abrundung<lb/>
zu einem selbständigen Wirtschaftsgebiet, nur so können wir unsre Bevölkerung<lb/>
auch bei allen Kricgseveutualitäteu selbst längere Zeit ernähren, dort soll unser<lb/>
Bevölkerungsüberschuß Aufucchme finden, ohne der Nation verloren zu gehen,<lb/>
ein Punkt, der nachgerade anfängt, ernste Bedenken zu rechtfertigen, und von<lb/>
^ahr zu Jahr dringender wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_995" next="#ID_996"> So stehen die beiden Mächte abermals, wie schon so oft, vor der Wahl,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Antiker und moderner Militarismus Friedens am heutigen Tage freuen, und im übrigen die Hände in den Schoß legen, wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, und bei uns zu Hause nur schön alles beim Alten lassen? Wer sieht nicht, daß das der Anfang vom Ende wäre! Nein, das deutsche Reich ist nicht von unsern Großvätern ersehnt, von den Vätern in seinem jetzigen Zustande geschaffen worden, damit wir es nun bequem haben und über Theorien weitergrübeln können, sondern es verpflichtet uns, weiter kräftig zu handeln und den Rest der Welt nicht vergebe» zu lassen, ohne daß auch der Deutsche sein richtig gemessenes Teil davon erhält. Und auf richtiges Maß und Gewicht wollen wir sehen und dabei mitreden. In einer engen Verbindung mit Österreich in wirtschaftlicher und politischer Be¬ ziehung vertreten wir eine Bevölkerung von hundert Millionen, und bei kräftiger Organisation sind wir dann den Anforderungen jeder Lage vorläufig gewachsen. Sehr langsam ist bei den Deutschen erst in diesem Jahrhundert politisches Verständnis in weitern Kreisen wieder erwacht; zum großen Teil leidet das verehrte Publikum entweder an Kurzsichtigkeit, die nur den eignen Kirchturm sehen kann und die Hand auf das Portemonnaie hält, oder an einem fern¬ sichtigen Idealismus und Kosmopolitismus, der über den ersten Stein auf dem Wege stolpert. Aber in dem stetigen Aufsteigen ist nichts so wichtig, wie das Aufsteigen von Stufe zu Stufe. Wie oft haben hochstrebende deutsche Führer ihr Ziel verfehlt, weil sie vermeinten, es in einem Sprunge erreichen zu können. In den Himmel zu springen, das ist nicht verboten, Doch die es versuchen, mögen sich hüten, Den Hals zu brechen, läßt Jordan seinen Siegfried warnen. Das kleindeutsche Programm hat seiue Erfüllung gefunden, aber wir empfinden schon heute, daß es auf die Dauer den Entwickluugsansprüchcn unsers Volks nicht mehr genügt. Im engen Zusammenschluß des deutschen Reichs mit Österreich gehen auch Österreichs orientalische Interessen zum größten Teil auf uns über; nur durch diesen Zusammenschluß gewinnt Österreich die Hoffnung auf eine neue und bessere Zukunft. Für Österreich im deutschen Reiche, für das deutsche Reich in Österreich und im Orient liegt die Abrundung zu einem selbständigen Wirtschaftsgebiet, nur so können wir unsre Bevölkerung auch bei allen Kricgseveutualitäteu selbst längere Zeit ernähren, dort soll unser Bevölkerungsüberschuß Aufucchme finden, ohne der Nation verloren zu gehen, ein Punkt, der nachgerade anfängt, ernste Bedenken zu rechtfertigen, und von ^ahr zu Jahr dringender wird. So stehen die beiden Mächte abermals, wie schon so oft, vor der Wahl,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/334>, abgerufen am 27.09.2024.