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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Das schlimme Karlchen

schlechte Küche, außerdem noch Professoren, von denen die unangenehmsten
Hofräte und Geheimräte sind und mancherlei Orden haben, während die besten
Karl Vogt hoch verehren, obwohl er uur das Kreuz der Ehrenlegion <von
Gambetta selbst erhalten!) hat. Zahlreiche Briefe sollen dies bestätigen. William
macht seine Sache, so gut er kann. Wir andern haben den Eindruck, als ob
sein Vater trotz der großen Berühmtheit, die uns hier verbrieft wird, doch
Wohl im Herzen seine deutschen Fachgenossen ein wenig beneidet oder doch
glücklich gepriesen hätte. Wie er persönlich zu ihnen stand, wissen wir nicht.
Die meisten Führuugsatteste, die William beibringt, stammen von Franzosen
und Schweizern. Deutsche Namen von Klang und Kundgebungen von einiger
Bedeutung vermissen wir. Der Verfasser erzählt, sein Vater habe die hoch¬
herzige Gewohnheit gehabt, Liebhaber von Autographen ungestört in seinen
Schubladen wühlen zu lassen, und nun sei das Beste verschwunden. schnurrige
Kerle, diese Liebhaber, daß sie gerade bei Karl Vogt die Briefe von deutschen
Professoren suchten und mitnahmen! Oder soll das etwa Williams Auswahl
rechtfertigen? Da steht aber etwas, was ein angesehener deutscher Professor
vor mehr als dreißig Jahren schrieb: zwei Brieflein voller Verehrung und
Zustimmung, wissenschaftlicher und sogar politischer (S. 137). Jetzt kann sie
der berühmte Absender wieder lesen, und dazu Williams Bemerkung, sein Vater
hätte, wenn er diese oder jene "Mitteilung" des Betreffenden gelesen hätte,
auszurufen gepflegt: "Das ist ja haarsträubend! Der Mensch wird verrückt!"
Was würde aber Karl Vogt selbst sagen, wenn er hiervon Kunde haben
könnte? LntMt wrriblö! William erzählt vielerlei aus dem Lande der
Barbaren, vom Hörensagen, wie es scheint, darunter recht komische Dinge, so
z.B. wie der alte Wrangel auf der Schloßterrasse zu Heidelberg sagt: ,,Der
Nachtigall, die da unten sitzt, das singt am schönsten," oder Dorfgeschichten
aus der hessischen Heimat, die allerdings stark retouchirt sind, zum Teil schon
von Karl Vogt selbst, der noch den Anfang seiner Selbstbiographie heraus¬
gegeben hat. Zum Beobachten einfacher Verhältnisse war er nicht harmlos
genug, es fehlte ihm das Lachen des Herzens. Seine Komik hat immer etwas
beißendes. Wenn er idyllisch sein wollte, wurde er platt. Wir selbst erinnern
uns, daß er in deu siebziger Jahren etwas, was er für eine Humoreske hielt,
w das Zeitungsblatt seiner hessischen Heimathstadt einrücken ließ, um sich den
Altersgenosse!, aus allen Ständen, soweit sie ihn gekannt hatten, wieder einmal
ni Erinnerung zu bringen. Er beschrieb nämlich mit einer witzig sein sollenden
Ausführlichkeit die Bereitung eines im Volke allgemein beliebten Nahrungsmittels,
^'s Zwetscheumuses oder, wie man dortzulande sagt, "Quetschenhonigs," ^)



*) Die Zwetsche heißt dort im Volke immer "Quetsche// Der Bürgermeister einer Ge¬
meinde berichtete seinein Kreisrat, er habe so und so viele "Nußbttmne" pflanzen lassen, und
antwortet, als später sein Vorgesetzter statt ihrer Zwetschenbämne sieht, auf dessen Vorhalt klein¬
laut: "Freilich sindxi Quetschebiium, aber der Teufel schreibs!"
Das schlimme Karlchen

schlechte Küche, außerdem noch Professoren, von denen die unangenehmsten
Hofräte und Geheimräte sind und mancherlei Orden haben, während die besten
Karl Vogt hoch verehren, obwohl er uur das Kreuz der Ehrenlegion <von
Gambetta selbst erhalten!) hat. Zahlreiche Briefe sollen dies bestätigen. William
macht seine Sache, so gut er kann. Wir andern haben den Eindruck, als ob
sein Vater trotz der großen Berühmtheit, die uns hier verbrieft wird, doch
Wohl im Herzen seine deutschen Fachgenossen ein wenig beneidet oder doch
glücklich gepriesen hätte. Wie er persönlich zu ihnen stand, wissen wir nicht.
Die meisten Führuugsatteste, die William beibringt, stammen von Franzosen
und Schweizern. Deutsche Namen von Klang und Kundgebungen von einiger
Bedeutung vermissen wir. Der Verfasser erzählt, sein Vater habe die hoch¬
herzige Gewohnheit gehabt, Liebhaber von Autographen ungestört in seinen
Schubladen wühlen zu lassen, und nun sei das Beste verschwunden. schnurrige
Kerle, diese Liebhaber, daß sie gerade bei Karl Vogt die Briefe von deutschen
Professoren suchten und mitnahmen! Oder soll das etwa Williams Auswahl
rechtfertigen? Da steht aber etwas, was ein angesehener deutscher Professor
vor mehr als dreißig Jahren schrieb: zwei Brieflein voller Verehrung und
Zustimmung, wissenschaftlicher und sogar politischer (S. 137). Jetzt kann sie
der berühmte Absender wieder lesen, und dazu Williams Bemerkung, sein Vater
hätte, wenn er diese oder jene „Mitteilung" des Betreffenden gelesen hätte,
auszurufen gepflegt: „Das ist ja haarsträubend! Der Mensch wird verrückt!"
Was würde aber Karl Vogt selbst sagen, wenn er hiervon Kunde haben
könnte? LntMt wrriblö! William erzählt vielerlei aus dem Lande der
Barbaren, vom Hörensagen, wie es scheint, darunter recht komische Dinge, so
z.B. wie der alte Wrangel auf der Schloßterrasse zu Heidelberg sagt: ,,Der
Nachtigall, die da unten sitzt, das singt am schönsten," oder Dorfgeschichten
aus der hessischen Heimat, die allerdings stark retouchirt sind, zum Teil schon
von Karl Vogt selbst, der noch den Anfang seiner Selbstbiographie heraus¬
gegeben hat. Zum Beobachten einfacher Verhältnisse war er nicht harmlos
genug, es fehlte ihm das Lachen des Herzens. Seine Komik hat immer etwas
beißendes. Wenn er idyllisch sein wollte, wurde er platt. Wir selbst erinnern
uns, daß er in deu siebziger Jahren etwas, was er für eine Humoreske hielt,
w das Zeitungsblatt seiner hessischen Heimathstadt einrücken ließ, um sich den
Altersgenosse!, aus allen Ständen, soweit sie ihn gekannt hatten, wieder einmal
ni Erinnerung zu bringen. Er beschrieb nämlich mit einer witzig sein sollenden
Ausführlichkeit die Bereitung eines im Volke allgemein beliebten Nahrungsmittels,
^'s Zwetscheumuses oder, wie man dortzulande sagt, „Quetschenhonigs," ^)



*) Die Zwetsche heißt dort im Volke immer „Quetsche// Der Bürgermeister einer Ge¬
meinde berichtete seinein Kreisrat, er habe so und so viele „Nußbttmne" pflanzen lassen, und
antwortet, als später sein Vorgesetzter statt ihrer Zwetschenbämne sieht, auf dessen Vorhalt klein¬
laut: „Freilich sindxi Quetschebiium, aber der Teufel schreibs!"
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[0309] Das schlimme Karlchen schlechte Küche, außerdem noch Professoren, von denen die unangenehmsten Hofräte und Geheimräte sind und mancherlei Orden haben, während die besten Karl Vogt hoch verehren, obwohl er uur das Kreuz der Ehrenlegion <von Gambetta selbst erhalten!) hat. Zahlreiche Briefe sollen dies bestätigen. William macht seine Sache, so gut er kann. Wir andern haben den Eindruck, als ob sein Vater trotz der großen Berühmtheit, die uns hier verbrieft wird, doch Wohl im Herzen seine deutschen Fachgenossen ein wenig beneidet oder doch glücklich gepriesen hätte. Wie er persönlich zu ihnen stand, wissen wir nicht. Die meisten Führuugsatteste, die William beibringt, stammen von Franzosen und Schweizern. Deutsche Namen von Klang und Kundgebungen von einiger Bedeutung vermissen wir. Der Verfasser erzählt, sein Vater habe die hoch¬ herzige Gewohnheit gehabt, Liebhaber von Autographen ungestört in seinen Schubladen wühlen zu lassen, und nun sei das Beste verschwunden. schnurrige Kerle, diese Liebhaber, daß sie gerade bei Karl Vogt die Briefe von deutschen Professoren suchten und mitnahmen! Oder soll das etwa Williams Auswahl rechtfertigen? Da steht aber etwas, was ein angesehener deutscher Professor vor mehr als dreißig Jahren schrieb: zwei Brieflein voller Verehrung und Zustimmung, wissenschaftlicher und sogar politischer (S. 137). Jetzt kann sie der berühmte Absender wieder lesen, und dazu Williams Bemerkung, sein Vater hätte, wenn er diese oder jene „Mitteilung" des Betreffenden gelesen hätte, auszurufen gepflegt: „Das ist ja haarsträubend! Der Mensch wird verrückt!" Was würde aber Karl Vogt selbst sagen, wenn er hiervon Kunde haben könnte? LntMt wrriblö! William erzählt vielerlei aus dem Lande der Barbaren, vom Hörensagen, wie es scheint, darunter recht komische Dinge, so z.B. wie der alte Wrangel auf der Schloßterrasse zu Heidelberg sagt: ,,Der Nachtigall, die da unten sitzt, das singt am schönsten," oder Dorfgeschichten aus der hessischen Heimat, die allerdings stark retouchirt sind, zum Teil schon von Karl Vogt selbst, der noch den Anfang seiner Selbstbiographie heraus¬ gegeben hat. Zum Beobachten einfacher Verhältnisse war er nicht harmlos genug, es fehlte ihm das Lachen des Herzens. Seine Komik hat immer etwas beißendes. Wenn er idyllisch sein wollte, wurde er platt. Wir selbst erinnern uns, daß er in deu siebziger Jahren etwas, was er für eine Humoreske hielt, w das Zeitungsblatt seiner hessischen Heimathstadt einrücken ließ, um sich den Altersgenosse!, aus allen Ständen, soweit sie ihn gekannt hatten, wieder einmal ni Erinnerung zu bringen. Er beschrieb nämlich mit einer witzig sein sollenden Ausführlichkeit die Bereitung eines im Volke allgemein beliebten Nahrungsmittels, ^'s Zwetscheumuses oder, wie man dortzulande sagt, „Quetschenhonigs," ^) *) Die Zwetsche heißt dort im Volke immer „Quetsche// Der Bürgermeister einer Ge¬ meinde berichtete seinein Kreisrat, er habe so und so viele „Nußbttmne" pflanzen lassen, und antwortet, als später sein Vorgesetzter statt ihrer Zwetschenbämne sieht, auf dessen Vorhalt klein¬ laut: „Freilich sindxi Quetschebiium, aber der Teufel schreibs!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/309>, abgerufen am 26.06.2024.