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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Das schlimme Karlchen

und seine Leser waren sehr verstimmt darüber, daß ihr berühmter Landsmann
sie nichts besseren sür wert gehalten hätte. Seine wirklich guten Witze, die immer
scharf und beißend waren, hat man dagegen in Deutschland gern gelesen, und die
satirischen Zuthaten in seinen zahlreichen Schriften naturwissenschaftlichen In¬
halts hat man wahrscheinlich höher gestellt als den Inhalt selbst. Seine Bilder
aus dem Tierleben, seine zoologischen Briefe und vieles andre wird man noch
lange lesen, wenn man Zeit hat, sich eine Erholung zu gönnen. Trotz alles
Grimms und Spotts, womit er Deutschland zeitlebens überschüttete, hat man hier
nicht verlernt, wenn es berechtigt war, mit ihm zu lachen, und man hält ihn
für einen ausgezeichneten Schriftsteller in allerlei Gattungen, namentlich der
satirischen. Als Politiker aber und Kämpfer für Menschenrechte und alles
mögliche, wovon uns William hier vorsaselt, ihn ernsthaft zu nehmen, wäre
in Deutschland allerdings keinem mehr eingefallen. Und wenn die jungen
französischen Historiker, die über Republik und Revolution schreiben wollten,
in Genf bei ihm vorsprachen, um sich bei ihm ihre vuss et'"zu8"zinl>1"z sur 1s
inouveilisut liberal se unitairs no 1848 zu holen, so sagen wir von Herzen:
Wohl bekomms! Aber als Satiriker lassen wir ihn gelten. Das war wohl
ein, wenn nicht der Hauptzug seines Wesens: scharf beobachten, jedem seine
Schwächen abgucken und diese in der Darstellung möglichst wirksam ver¬
werten. Hierin stimmen wir ganz mit William überein: I-a. 8-Mi-s sealt sa,
Mo se it avait lÄt as I'ironiö 8g. äixivins inuso. Aber das bringt auch
Schmerzen. Sogar seine Schweizerbrüder, die Republikaner und Demokraten,
konnten es ihm auf die Dauer nicht recht machen. Als sie ihm 1872 eine
verdiente Gehaltszulage streitig machten, kannte sein Zorn über ihren Krämer¬
sinn keine Grenzen, und sie mußten ihm anstatt 2000 Franken, die er gefordert
hatte, schließlich 6000 geben. Wir lachen über vielerlei satirische Gelegenheits¬
schreiberei aus seinen letzten Lebensjahren, in Versen sowohl wie in Prosa; wir
vergessen dabei, wieviel Ärger in ihm aufgestiegen sein mag, bis ihm der
Schelm im Nacken saß. Noch ganz zuletzt, in einem Feuilleton, das erst nach
seinem Tode erschien, legte er dar, daß die gesamte höhere geistige Kultur der
französischen Schweizer, ihr Kalvinismus, ihre vFliss libro und ihre Litteratur
angesteckt, verderbt und entwertet sei durch den Geist und die Sprache des --
Hebräischen. Sie hätten zuviel in der Bibel gelesen und wären auf diese Weise
hinter den katholischen Franzosen, die sich von der Bibel fernhielten, zurück¬
geblieben. War das Spaß oder Ernst? Wollte er seine Gastfreunde zu guter
Letzt noch einmal recht ärgern, indem er ihr geliebtes x^lois Kävrg.1 in eine
neue Beleuchtung setzte und damit zugleich den echten Franzosen etwas an¬
genehmes sagte? Ähnlich sähe ihm das wohl.

Etwas andres an ihm hat uns gefreut. Ein Jahr vor seinem Tode
fragte eine Pariser Zeitung bei ihm an, was er dazu sage, daß Zola bei den
letzten Wahlen zur Akademie durchgefallen sei. Er antwortete: Wenn ich die


Das schlimme Karlchen

und seine Leser waren sehr verstimmt darüber, daß ihr berühmter Landsmann
sie nichts besseren sür wert gehalten hätte. Seine wirklich guten Witze, die immer
scharf und beißend waren, hat man dagegen in Deutschland gern gelesen, und die
satirischen Zuthaten in seinen zahlreichen Schriften naturwissenschaftlichen In¬
halts hat man wahrscheinlich höher gestellt als den Inhalt selbst. Seine Bilder
aus dem Tierleben, seine zoologischen Briefe und vieles andre wird man noch
lange lesen, wenn man Zeit hat, sich eine Erholung zu gönnen. Trotz alles
Grimms und Spotts, womit er Deutschland zeitlebens überschüttete, hat man hier
nicht verlernt, wenn es berechtigt war, mit ihm zu lachen, und man hält ihn
für einen ausgezeichneten Schriftsteller in allerlei Gattungen, namentlich der
satirischen. Als Politiker aber und Kämpfer für Menschenrechte und alles
mögliche, wovon uns William hier vorsaselt, ihn ernsthaft zu nehmen, wäre
in Deutschland allerdings keinem mehr eingefallen. Und wenn die jungen
französischen Historiker, die über Republik und Revolution schreiben wollten,
in Genf bei ihm vorsprachen, um sich bei ihm ihre vuss et'«zu8«zinl>1«z sur 1s
inouveilisut liberal se unitairs no 1848 zu holen, so sagen wir von Herzen:
Wohl bekomms! Aber als Satiriker lassen wir ihn gelten. Das war wohl
ein, wenn nicht der Hauptzug seines Wesens: scharf beobachten, jedem seine
Schwächen abgucken und diese in der Darstellung möglichst wirksam ver¬
werten. Hierin stimmen wir ganz mit William überein: I-a. 8-Mi-s sealt sa,
Mo se it avait lÄt as I'ironiö 8g. äixivins inuso. Aber das bringt auch
Schmerzen. Sogar seine Schweizerbrüder, die Republikaner und Demokraten,
konnten es ihm auf die Dauer nicht recht machen. Als sie ihm 1872 eine
verdiente Gehaltszulage streitig machten, kannte sein Zorn über ihren Krämer¬
sinn keine Grenzen, und sie mußten ihm anstatt 2000 Franken, die er gefordert
hatte, schließlich 6000 geben. Wir lachen über vielerlei satirische Gelegenheits¬
schreiberei aus seinen letzten Lebensjahren, in Versen sowohl wie in Prosa; wir
vergessen dabei, wieviel Ärger in ihm aufgestiegen sein mag, bis ihm der
Schelm im Nacken saß. Noch ganz zuletzt, in einem Feuilleton, das erst nach
seinem Tode erschien, legte er dar, daß die gesamte höhere geistige Kultur der
französischen Schweizer, ihr Kalvinismus, ihre vFliss libro und ihre Litteratur
angesteckt, verderbt und entwertet sei durch den Geist und die Sprache des —
Hebräischen. Sie hätten zuviel in der Bibel gelesen und wären auf diese Weise
hinter den katholischen Franzosen, die sich von der Bibel fernhielten, zurück¬
geblieben. War das Spaß oder Ernst? Wollte er seine Gastfreunde zu guter
Letzt noch einmal recht ärgern, indem er ihr geliebtes x^lois Kävrg.1 in eine
neue Beleuchtung setzte und damit zugleich den echten Franzosen etwas an¬
genehmes sagte? Ähnlich sähe ihm das wohl.

Etwas andres an ihm hat uns gefreut. Ein Jahr vor seinem Tode
fragte eine Pariser Zeitung bei ihm an, was er dazu sage, daß Zola bei den
letzten Wahlen zur Akademie durchgefallen sei. Er antwortete: Wenn ich die


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[0310] Das schlimme Karlchen und seine Leser waren sehr verstimmt darüber, daß ihr berühmter Landsmann sie nichts besseren sür wert gehalten hätte. Seine wirklich guten Witze, die immer scharf und beißend waren, hat man dagegen in Deutschland gern gelesen, und die satirischen Zuthaten in seinen zahlreichen Schriften naturwissenschaftlichen In¬ halts hat man wahrscheinlich höher gestellt als den Inhalt selbst. Seine Bilder aus dem Tierleben, seine zoologischen Briefe und vieles andre wird man noch lange lesen, wenn man Zeit hat, sich eine Erholung zu gönnen. Trotz alles Grimms und Spotts, womit er Deutschland zeitlebens überschüttete, hat man hier nicht verlernt, wenn es berechtigt war, mit ihm zu lachen, und man hält ihn für einen ausgezeichneten Schriftsteller in allerlei Gattungen, namentlich der satirischen. Als Politiker aber und Kämpfer für Menschenrechte und alles mögliche, wovon uns William hier vorsaselt, ihn ernsthaft zu nehmen, wäre in Deutschland allerdings keinem mehr eingefallen. Und wenn die jungen französischen Historiker, die über Republik und Revolution schreiben wollten, in Genf bei ihm vorsprachen, um sich bei ihm ihre vuss et'«zu8«zinl>1«z sur 1s inouveilisut liberal se unitairs no 1848 zu holen, so sagen wir von Herzen: Wohl bekomms! Aber als Satiriker lassen wir ihn gelten. Das war wohl ein, wenn nicht der Hauptzug seines Wesens: scharf beobachten, jedem seine Schwächen abgucken und diese in der Darstellung möglichst wirksam ver¬ werten. Hierin stimmen wir ganz mit William überein: I-a. 8-Mi-s sealt sa, Mo se it avait lÄt as I'ironiö 8g. äixivins inuso. Aber das bringt auch Schmerzen. Sogar seine Schweizerbrüder, die Republikaner und Demokraten, konnten es ihm auf die Dauer nicht recht machen. Als sie ihm 1872 eine verdiente Gehaltszulage streitig machten, kannte sein Zorn über ihren Krämer¬ sinn keine Grenzen, und sie mußten ihm anstatt 2000 Franken, die er gefordert hatte, schließlich 6000 geben. Wir lachen über vielerlei satirische Gelegenheits¬ schreiberei aus seinen letzten Lebensjahren, in Versen sowohl wie in Prosa; wir vergessen dabei, wieviel Ärger in ihm aufgestiegen sein mag, bis ihm der Schelm im Nacken saß. Noch ganz zuletzt, in einem Feuilleton, das erst nach seinem Tode erschien, legte er dar, daß die gesamte höhere geistige Kultur der französischen Schweizer, ihr Kalvinismus, ihre vFliss libro und ihre Litteratur angesteckt, verderbt und entwertet sei durch den Geist und die Sprache des — Hebräischen. Sie hätten zuviel in der Bibel gelesen und wären auf diese Weise hinter den katholischen Franzosen, die sich von der Bibel fernhielten, zurück¬ geblieben. War das Spaß oder Ernst? Wollte er seine Gastfreunde zu guter Letzt noch einmal recht ärgern, indem er ihr geliebtes x^lois Kävrg.1 in eine neue Beleuchtung setzte und damit zugleich den echten Franzosen etwas an¬ genehmes sagte? Ähnlich sähe ihm das wohl. Etwas andres an ihm hat uns gefreut. Ein Jahr vor seinem Tode fragte eine Pariser Zeitung bei ihm an, was er dazu sage, daß Zola bei den letzten Wahlen zur Akademie durchgefallen sei. Er antwortete: Wenn ich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/310>, abgerufen am 27.09.2024.