Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Das schlimme Karlchen öffentlichen Frage. Der Freiheitskämpfer von 1848 begriff es nicht, daß es Karl Vogt mußte erleben, daß sich alle, die er für seine Freunde und Das schlimme Karlchen öffentlichen Frage. Der Freiheitskämpfer von 1848 begriff es nicht, daß es Karl Vogt mußte erleben, daß sich alle, die er für seine Freunde und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224554"/> <fw type="header" place="top"> Das schlimme Karlchen</fw><lb/> <p xml:id="ID_840" prev="#ID_839"> öffentlichen Frage. Der Freiheitskämpfer von 1848 begriff es nicht, daß es<lb/> die Schleswig-Holsteiner in den sechziger Jahren nicht für eine Ehre ansahen,<lb/> von dem vortrefflichen Dänemark gut und gerecht regiert zu werden. Und<lb/> daß die Eroberung von Elsaß-Lothringen der größte Frevel war, den Deutsch¬<lb/> land begehen konnte, verstand sich für ihn, der fast ganz zum Franzosen ge¬<lb/> worden war, von selbst. Kürzlich hat ihm einer seiner Söhne, der zur Ab¬<lb/> wechslung den Vornamen William führt, ein Denkmal gesetzt in einer etwas<lb/> eigenartigen Biographie, unter dem stolzen Titel: IlÄ vis ä'un Koiuiuö xa.r<lb/> ^V. V. (besser noch wäre gewesen: pg.r un Iioiums). (Stuttgart, Nägele.) Ob<lb/> es ein Ehrendenkmal ist? Die Franzosen werden es ja vielleicht ganz gern<lb/> lesen, was hier ein ehemaliger Deutscher ihren Gegnern nachsagt und nachruft,<lb/> umsomehr als es gewöhnlich mit vielen Komplimenten für sie selbst verbunden<lb/> ist: seine pathetischen Erklcirnngen in Zeitungen und an einzelne Freunde, seine<lb/> Gassenhauer auf die deutschen Siege und ans Kaiser Wilhelm in den schweize¬<lb/> rischen Wurstblättern. Wie sie aber im stillen über diesen Edeln denken mögen,<lb/> der ihnen zu gefallen sein eignes Nest besudelt, sie, deren beste Eigenschaft<lb/> eine glühende Vaterlandsliebe ist, dafür hat William natürlich keine Empfindung<lb/> mehr. Er häuft zusammen, was er in seines Vaters Schubfächern finden<lb/> konnte, und macht sein Buch daraus. Aber er thut uns damit nicht weh.<lb/> Es hat uns vielmehr ein großes Vergnügen bereitet, dieses Denkmal des<lb/> „schlimmen Kärtchens." Unsern Lesern würde es ebenso gehen, wenn sie es<lb/> einmal in der richtigen Stimmung durchblättern wollten.</p><lb/> <p xml:id="ID_841" next="#ID_842"> Karl Vogt mußte erleben, daß sich alle, die er für seine Freunde und<lb/> Genossen im Kampfe der Geister gehalten hatte, Freiligrath, Berthold Auer-<lb/> bach, Bischer, David Strauß, Stahr n. a. mit der neuen Ordnung abfärben,<lb/> zum Teil mit ihren Gedanken sogar dem neuen Reiche dienten. Robert Blum<lb/> hatte ihm in einem Briefe, den er kurz vor seiner Hinrichtung an den Ab¬<lb/> geordneten nach Frankfurt schrieb, seine Familie empfohlen; bald trug es sich<lb/> zu, daß Haus Blum, sein Schützling, Bücher schrieb, in denen er Bismarck<lb/> verherrlichte. Mit den Führern der Sozialdemokratie in London, der „Schwefel¬<lb/> bande," hatte er sich längst überworfen. Der Alte blieb also immer mehr mit<lb/> seinem Groll allein, sein Lachen war gezwungen, sein Witz mag ihm oft wehe<lb/> gethan haben, als dem, gegen den er gerichtet war. In Williams Kopfe<lb/> spiegelt sich die Welt, von der er schreibt, sonderbar. Für ihn ist z. V. der<lb/> Nationalökonvm Adolf Wagner, gegen dessen Vater Rudolf sein eigner Vater,<lb/> der „Asfenvogt," einst kämpfte, Redakteur des Vorwärts (ganz soweit sind<lb/> wir doch noch nicht, denkt der vielleicht), während in dem verlassenen hessischen<lb/> Vaterlande die Menschen, namentlich soweit sie zu der regierenden Klasse gehören,<lb/> keinen auf der Stufe der Anthropoiden zu stehen scheinen, über die der Alte<lb/> 1867 bis 1869 seine Wandervorträge in den deutschen Städten zum Teil mit<lb/> fehr geringem Erfolge hielt. In Deutschland giebt es viel Soldaten und eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
Das schlimme Karlchen
öffentlichen Frage. Der Freiheitskämpfer von 1848 begriff es nicht, daß es
die Schleswig-Holsteiner in den sechziger Jahren nicht für eine Ehre ansahen,
von dem vortrefflichen Dänemark gut und gerecht regiert zu werden. Und
daß die Eroberung von Elsaß-Lothringen der größte Frevel war, den Deutsch¬
land begehen konnte, verstand sich für ihn, der fast ganz zum Franzosen ge¬
worden war, von selbst. Kürzlich hat ihm einer seiner Söhne, der zur Ab¬
wechslung den Vornamen William führt, ein Denkmal gesetzt in einer etwas
eigenartigen Biographie, unter dem stolzen Titel: IlÄ vis ä'un Koiuiuö xa.r
^V. V. (besser noch wäre gewesen: pg.r un Iioiums). (Stuttgart, Nägele.) Ob
es ein Ehrendenkmal ist? Die Franzosen werden es ja vielleicht ganz gern
lesen, was hier ein ehemaliger Deutscher ihren Gegnern nachsagt und nachruft,
umsomehr als es gewöhnlich mit vielen Komplimenten für sie selbst verbunden
ist: seine pathetischen Erklcirnngen in Zeitungen und an einzelne Freunde, seine
Gassenhauer auf die deutschen Siege und ans Kaiser Wilhelm in den schweize¬
rischen Wurstblättern. Wie sie aber im stillen über diesen Edeln denken mögen,
der ihnen zu gefallen sein eignes Nest besudelt, sie, deren beste Eigenschaft
eine glühende Vaterlandsliebe ist, dafür hat William natürlich keine Empfindung
mehr. Er häuft zusammen, was er in seines Vaters Schubfächern finden
konnte, und macht sein Buch daraus. Aber er thut uns damit nicht weh.
Es hat uns vielmehr ein großes Vergnügen bereitet, dieses Denkmal des
„schlimmen Kärtchens." Unsern Lesern würde es ebenso gehen, wenn sie es
einmal in der richtigen Stimmung durchblättern wollten.
Karl Vogt mußte erleben, daß sich alle, die er für seine Freunde und
Genossen im Kampfe der Geister gehalten hatte, Freiligrath, Berthold Auer-
bach, Bischer, David Strauß, Stahr n. a. mit der neuen Ordnung abfärben,
zum Teil mit ihren Gedanken sogar dem neuen Reiche dienten. Robert Blum
hatte ihm in einem Briefe, den er kurz vor seiner Hinrichtung an den Ab¬
geordneten nach Frankfurt schrieb, seine Familie empfohlen; bald trug es sich
zu, daß Haus Blum, sein Schützling, Bücher schrieb, in denen er Bismarck
verherrlichte. Mit den Führern der Sozialdemokratie in London, der „Schwefel¬
bande," hatte er sich längst überworfen. Der Alte blieb also immer mehr mit
seinem Groll allein, sein Lachen war gezwungen, sein Witz mag ihm oft wehe
gethan haben, als dem, gegen den er gerichtet war. In Williams Kopfe
spiegelt sich die Welt, von der er schreibt, sonderbar. Für ihn ist z. V. der
Nationalökonvm Adolf Wagner, gegen dessen Vater Rudolf sein eigner Vater,
der „Asfenvogt," einst kämpfte, Redakteur des Vorwärts (ganz soweit sind
wir doch noch nicht, denkt der vielleicht), während in dem verlassenen hessischen
Vaterlande die Menschen, namentlich soweit sie zu der regierenden Klasse gehören,
keinen auf der Stufe der Anthropoiden zu stehen scheinen, über die der Alte
1867 bis 1869 seine Wandervorträge in den deutschen Städten zum Teil mit
fehr geringem Erfolge hielt. In Deutschland giebt es viel Soldaten und eine
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |