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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

ein Volk von Ackerbauern und Schafzüchtern, ohne Kapital und ohne Schulden.
Aber von der Negierung dieser Königin an entwickelte sich mit wunderbarer
Schnelligkeit ihr Handel und brachte ihnen Reichtümer. Gleichzeitig legte
Gresham, ein kluger Großkaufmann und Spekulant, dabei treuer Diener feines
Vaterlandes, deu Grund zu einer guten Finanzwirtschaft. Die Stuarts waren,
wie alle schlechten Regenten, auch schlechte Wirte und stürzten England in den
Bankrott. (Als Gegenstück mag man Heinrich IV. ins Auge fassen; er ist der
einzige französische König nach 1500, der etwas getaugt hat, und er ist auch
der einzige, der sich von seinem Sully hat leidlich geordnete Finanzen schaffen
lassen.) Ein dem Holländischen ähnlicher, ja ihn noch übertreffender Staats¬
kredit wurde in England erst nach der Revolution von 1689 begründet.
"Macaulay hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß England erst
so spät dem Beispiele Frankreichs und der Niederlande hinsichtlich der fundirten
Anleihen gefolgt ist. Diese Verwunderung zeigt aufs neue, welche Schwierig¬
keiten selbst große Geschichtschreiber bei Beurteilung einfacher wirtschaftlicher
Vorgänge zu überwinden haben. Eine fundirte Schuld konnte nicht entstehen,
so lange Krone und Parlament noch mit einander um die Herrschaft im Staate
kämpften. Erst nach der Revolution wurde der englische Staat das, was die
Republik der Vereinigten Niederlande schon längst geworden war: eine wirk¬
liche Körperschaft fest mit einander verbundner Individuen, ein dauerhafter
Organismus. Seitdem erst konnte sich in England ein eigentlicher Staats¬
kredit entwickeln, wie er andrerseits freilich auch in Frankreich dadurch geschaffen
worden war, daß der Monarch schon durch sein bloßes Wort seine Unter¬
thanen ohne weiteres für seine Schulden haftbar machen konnte. Aber durch
ein wichtiges Moment unterschied sich der englische Staatskredit sowohl von
demjenigen Frankreichs, wie auch von dem der Vereinigten Niederlande: er
stand unter der Kontrolle der Öffentlichkeit. England war das erste Land,
das in seinem Finanzwesen diesen großen Grundsatz einführte, dessen Bedeutung
man übrigens in den Niederlanden schon frühzeitig empfunden hatte. Um sie
richtig zu würdigen, braucht man nur an die Kette unausgesetzter Täuschungen
zu denken, denen jeder Versuch, die Finanzlage eines Staates kennen zu lernen,
bei der sonstigen Geheimniskrämerei notwendig unterliegen mußte. Ein Finanz¬
wesen, wie es sich seit jener Zeit in England entwickelte, konnte freilich durch
das Licht der Öffentlichkeit nur gewinnen, während bei den meisten andern
Ländern das Gegenteil wohl mit Recht befürchtet werden mußte."

Anleihen von der Größe der französischen und der spanischen konnten
nicht von einzelnen Geldleuten, auch nicht von bloßen für den einzelnen Fall
gebildeten Konsortien, sondern nur durch die organisirte Heranziehung der im
Lande verstreuten kleineren Kapitalien aufgebracht werden, und für den regel¬
mäßigen Verkehr zwischen Gläubigern und Schuldnern war ein Kapitalmarkt
notwendig, die Börse. Das Wort dursg. wurde für eine regelmäßige Ver¬
sammlung von Kaufleuten zuerst in Brügge gebraucht, die Sache aber ist erst


Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

ein Volk von Ackerbauern und Schafzüchtern, ohne Kapital und ohne Schulden.
Aber von der Negierung dieser Königin an entwickelte sich mit wunderbarer
Schnelligkeit ihr Handel und brachte ihnen Reichtümer. Gleichzeitig legte
Gresham, ein kluger Großkaufmann und Spekulant, dabei treuer Diener feines
Vaterlandes, deu Grund zu einer guten Finanzwirtschaft. Die Stuarts waren,
wie alle schlechten Regenten, auch schlechte Wirte und stürzten England in den
Bankrott. (Als Gegenstück mag man Heinrich IV. ins Auge fassen; er ist der
einzige französische König nach 1500, der etwas getaugt hat, und er ist auch
der einzige, der sich von seinem Sully hat leidlich geordnete Finanzen schaffen
lassen.) Ein dem Holländischen ähnlicher, ja ihn noch übertreffender Staats¬
kredit wurde in England erst nach der Revolution von 1689 begründet.
„Macaulay hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß England erst
so spät dem Beispiele Frankreichs und der Niederlande hinsichtlich der fundirten
Anleihen gefolgt ist. Diese Verwunderung zeigt aufs neue, welche Schwierig¬
keiten selbst große Geschichtschreiber bei Beurteilung einfacher wirtschaftlicher
Vorgänge zu überwinden haben. Eine fundirte Schuld konnte nicht entstehen,
so lange Krone und Parlament noch mit einander um die Herrschaft im Staate
kämpften. Erst nach der Revolution wurde der englische Staat das, was die
Republik der Vereinigten Niederlande schon längst geworden war: eine wirk¬
liche Körperschaft fest mit einander verbundner Individuen, ein dauerhafter
Organismus. Seitdem erst konnte sich in England ein eigentlicher Staats¬
kredit entwickeln, wie er andrerseits freilich auch in Frankreich dadurch geschaffen
worden war, daß der Monarch schon durch sein bloßes Wort seine Unter¬
thanen ohne weiteres für seine Schulden haftbar machen konnte. Aber durch
ein wichtiges Moment unterschied sich der englische Staatskredit sowohl von
demjenigen Frankreichs, wie auch von dem der Vereinigten Niederlande: er
stand unter der Kontrolle der Öffentlichkeit. England war das erste Land,
das in seinem Finanzwesen diesen großen Grundsatz einführte, dessen Bedeutung
man übrigens in den Niederlanden schon frühzeitig empfunden hatte. Um sie
richtig zu würdigen, braucht man nur an die Kette unausgesetzter Täuschungen
zu denken, denen jeder Versuch, die Finanzlage eines Staates kennen zu lernen,
bei der sonstigen Geheimniskrämerei notwendig unterliegen mußte. Ein Finanz¬
wesen, wie es sich seit jener Zeit in England entwickelte, konnte freilich durch
das Licht der Öffentlichkeit nur gewinnen, während bei den meisten andern
Ländern das Gegenteil wohl mit Recht befürchtet werden mußte."

Anleihen von der Größe der französischen und der spanischen konnten
nicht von einzelnen Geldleuten, auch nicht von bloßen für den einzelnen Fall
gebildeten Konsortien, sondern nur durch die organisirte Heranziehung der im
Lande verstreuten kleineren Kapitalien aufgebracht werden, und für den regel¬
mäßigen Verkehr zwischen Gläubigern und Schuldnern war ein Kapitalmarkt
notwendig, die Börse. Das Wort dursg. wurde für eine regelmäßige Ver¬
sammlung von Kaufleuten zuerst in Brügge gebraucht, die Sache aber ist erst


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[0286] Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen ein Volk von Ackerbauern und Schafzüchtern, ohne Kapital und ohne Schulden. Aber von der Negierung dieser Königin an entwickelte sich mit wunderbarer Schnelligkeit ihr Handel und brachte ihnen Reichtümer. Gleichzeitig legte Gresham, ein kluger Großkaufmann und Spekulant, dabei treuer Diener feines Vaterlandes, deu Grund zu einer guten Finanzwirtschaft. Die Stuarts waren, wie alle schlechten Regenten, auch schlechte Wirte und stürzten England in den Bankrott. (Als Gegenstück mag man Heinrich IV. ins Auge fassen; er ist der einzige französische König nach 1500, der etwas getaugt hat, und er ist auch der einzige, der sich von seinem Sully hat leidlich geordnete Finanzen schaffen lassen.) Ein dem Holländischen ähnlicher, ja ihn noch übertreffender Staats¬ kredit wurde in England erst nach der Revolution von 1689 begründet. „Macaulay hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß England erst so spät dem Beispiele Frankreichs und der Niederlande hinsichtlich der fundirten Anleihen gefolgt ist. Diese Verwunderung zeigt aufs neue, welche Schwierig¬ keiten selbst große Geschichtschreiber bei Beurteilung einfacher wirtschaftlicher Vorgänge zu überwinden haben. Eine fundirte Schuld konnte nicht entstehen, so lange Krone und Parlament noch mit einander um die Herrschaft im Staate kämpften. Erst nach der Revolution wurde der englische Staat das, was die Republik der Vereinigten Niederlande schon längst geworden war: eine wirk¬ liche Körperschaft fest mit einander verbundner Individuen, ein dauerhafter Organismus. Seitdem erst konnte sich in England ein eigentlicher Staats¬ kredit entwickeln, wie er andrerseits freilich auch in Frankreich dadurch geschaffen worden war, daß der Monarch schon durch sein bloßes Wort seine Unter¬ thanen ohne weiteres für seine Schulden haftbar machen konnte. Aber durch ein wichtiges Moment unterschied sich der englische Staatskredit sowohl von demjenigen Frankreichs, wie auch von dem der Vereinigten Niederlande: er stand unter der Kontrolle der Öffentlichkeit. England war das erste Land, das in seinem Finanzwesen diesen großen Grundsatz einführte, dessen Bedeutung man übrigens in den Niederlanden schon frühzeitig empfunden hatte. Um sie richtig zu würdigen, braucht man nur an die Kette unausgesetzter Täuschungen zu denken, denen jeder Versuch, die Finanzlage eines Staates kennen zu lernen, bei der sonstigen Geheimniskrämerei notwendig unterliegen mußte. Ein Finanz¬ wesen, wie es sich seit jener Zeit in England entwickelte, konnte freilich durch das Licht der Öffentlichkeit nur gewinnen, während bei den meisten andern Ländern das Gegenteil wohl mit Recht befürchtet werden mußte." Anleihen von der Größe der französischen und der spanischen konnten nicht von einzelnen Geldleuten, auch nicht von bloßen für den einzelnen Fall gebildeten Konsortien, sondern nur durch die organisirte Heranziehung der im Lande verstreuten kleineren Kapitalien aufgebracht werden, und für den regel¬ mäßigen Verkehr zwischen Gläubigern und Schuldnern war ein Kapitalmarkt notwendig, die Börse. Das Wort dursg. wurde für eine regelmäßige Ver¬ sammlung von Kaufleuten zuerst in Brügge gebraucht, die Sache aber ist erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/286>, abgerufen am 18.06.2024.